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Seite:Die Gartenlaube (1877) 457.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


wenigstens nicht ganz, und das konnte kein Behagen wecken, zumal wenn man an die kitzlige Spitze der Degen dachte, die so schmal und lang von den wunderbaren Taillen der Officiere niederhingen, und wenn man den grenzenlosen, blaublütigen Hochmuth sah, mit welchem sie durch ihr blitzendes Augenglas auf das Bürgerpack herabsahen, das hier Bier trank und Kuchen aß.

„Heeren Sie, ich will Sie emol was sagen,“ flüsterte der Dosendreher K. von der Schloßgasse in Dresden, der vom vielen Dosendrehen schon ein wenig buckelig geworden war, seinem Nachbar zu und hielt seine beiden mageren Hände vor den Mund wie ein Schallrohr, „heeren Sie, die Beden gefallen mer aber gar nicht.“

„Mir och nicht,“ flüsterte der Andere ebenso scheu, und dann duckten sie sich alle Zwei und machten sich so klein wie möglich.

(Schluß folgt.)




Wildschützen- und Jägerleben im Hochgebirge.


Längst schon hat die Poesie das charakteristische Treiben des „Wildschützen“ in ihren Bereich gezogen, und eine tausendfältige Colorirung dieser eigenartigen Erscheinung inmitten unseres Culturlebens vermochte derselben den Stempel der Romantik aufzudrücken, sodaß Mancher eine geheime Bewunderung des kühnen Jägers, der zur Erreichung seiner ritterlichen Ziele sich nicht scheut, dem Gesetze den Fehdehandschuh hinzuwerfen, nicht unterdrücken kann. Er sieht den unerschrockenen treffsichern Waidmann, von der unbändigen, dem wildesten Freiheitsgefühle entspringenden Jagdlust getrieben, in Wäldern und auf Bergen der Spur des Wildes folgen, obschon ihn die härtesten Strafen bedrohen; er sieht ihn mit der Beute auf dem Rücken, alle Netze der Verfolger umgehend oder durchbrechend, triumphirend in seine Hütte zurückkehren und malt sich mit einer gewissen Theilnahme das Behagen aus, welches der glückliche Freischütz empfindet, wenn er nach dem gefährlichen Gange vielleicht mit den Seinen die köstlichen Bissen verzehrt. Ein Bischen Conflict mit den Gesetzen wird dem naturwüchsigen Abenteurer nicht hoch angerechnet, da ja die romantischen Eigenschaften den die Gesellschaft kaum berührenden Fehler um ein Bedeutendes überragen. So hat die Anschauung des Volkes den Wildschützen nach und nach eine Rolle zugestanden, zu welcher scheinbar außerordentliche physische und moralische Vorbedingungen nöthig sind, die aber, vom nüchternen Standpunkte aus betrachtet, auch von den zweideutigsten Individuen mit dem größten Erfolg durchgeführt wird.

Im oberbairischen Gebirge wimmelt es jetzt noch immer von Leuten solchen Schlages, und doch sind die Zeiten längst vorüber, in denen der Stutzen als charakteristisches Merkmal eines echten Gebirgssohnes gelten konnte. Der Oberländer hält zwar viel auf Schießübungen im ausgedehntesten Maße, die zu den hauptsächlichsten Volksbelustigungen zählen, allein die praktische Anwendung der in dieser Richtung erworbenen Fertigkeit verlegt er mehr auf die Schieß- als auf die Wildstände, und in den meisten Fällen sind es nur durchweg unlautere Motive, welche denselben zum Wildern treiben.

Seitdem die sommerlichen Wanderungen der Städter das Gebirge als allgemeines Ziel erkoren haben, ist die Nachfrage nach Wildpret eine ungeheure geworden, und mancher in Verlegenheit befindliche Wirth sieht bei Deckung seines Bedarfes von der verfänglichen Frage über den redlichen Erwerb des Kaufobjectes ab. Dadurch ist vielen arbeitsscheuen Burschen ein Weg geöffnet, auf bequemere Weise als im Dienste der Landwirthschaft sich die Mittel zur Befriedigung der gesteigerten Lebsucht zu erwerben, und in Folge dessen haben wir es zum größten Theile weniger mit Wildschützen als mit Wilddieben zu thun, die ihr Handwerk oft compagnieweise und selten mit der Rücksicht betreiben, welche der Wildschütze nie außer Acht läßt. Solche Raubvögel kennen keine Schonzeit und nehmen Alles mit, was da kreucht und fleugt.

Die vermeintliche Kühnheit wird meistentheils zur wohlüberlegten Schlauheit und in vielen Fällen sogar zur ausgesprochenen Feigheit, indem sich die Wilderer zu Banden vereinigen, um die Aufsicht des Forstpersonals zum mindesten leiblich ungefährlich zu machen. In vereinzelten Exemplaren kommt allerdings auch der Wildschütze noch vor, den die reine Leidenschaft auf die Spur der jagdbaren Thiere treibt, allein ein solcher Freibeuter betreibt sein Geschäft immer auf eigene Rechnung und sieht mit Verachtung auf den Wilddieb herab, er ist aber trotzdem ein ebenso gefährlicher, wenn nicht bedenklicherer Feind des Forstmanns, da ihn die Leidenschaft zu einem entschlosseneren Widerstand treibt und deshalb auch zum Aeußersten fähig macht.

Daß das Forstpersonal in Anbetracht solcher Verhältnisse keinen leichten Standpunkt einnimmt, ist klar, und dabei kommt noch die Denkungsart des Volkes in Betracht, welches den Jagdfrevel kaum, das Gesetz dagegen viel eher als etwas Unrechtes betrachtet und deshalb dem Verfolger eines „Wilpertschützen“ keine Unterstützung gewährt. Der Forstmann ist auf sich selbst angewiesen, und unter Umständen reichen nicht einmal der ausgesprochenste Muth und der unermüdlichste Eifer aus, einen Achtungserfolg in der Berufsthätigkeit zu erringen, wenn der Jäger den Wilderer nicht an Kühnheit und Verwegenheit überbietet. Dadurch allein vermag er sich einen gewissen Respect zu erringen, der ihm sein mühevolles Dasein erleichtert und in manchen Fällen sogar sein Leben retten kann.

Es liegt daher im Interesse des Jägers, sich mit den verrufensten Wildschützen nach allen Richtungen hin zu messen und ihnen seine geistige und physische Ueberlegenheit zu zeigen. Wem dies nicht gelingt, der mag seinem Wirkungskreis in den Bergen Valet sagen; denn seine Stellung wird ihm von Tag zu Tag unerträglicher gemacht werden.

Die Möglichkeit solcher Zustände ist in der besonderen Beschaffenheit des Jagdbezirkes begründet. Wer Gelegenheit hatte, in den Bergen einen sogenannten Jägersteig zu begehen, wird sich eine kleine Vorstellung von den mühsamen Wanderungen des Forstmannes machen können; erwägt man aber weiter, wie viele kaum jemals begangene Passagen der gefährlichsten Art in einem solchen Reviere liegen, die nöthigenfalls doch aufgesucht werden müssen, so mag das Beschwerliche damit illustrirt sein; bedenkt man endlich, daß ein in irgend einer Schlucht liegender Körper Monate, vielleicht Jahre lang unentdeckt bleiben kann, weil keines Menschen Fuß sich dahin verirrt, so lassen sich ohne Mühe nach allen Richtungen hin Schlüsse auf das Gefährliche des Forstschutzdienstes ziehen.

Der Landbewohner, oder richtiger der Bergbewohner, ist mit allen diesen Terrainverhältnissen vertraut, ehe er ihren Schwierigkeiten in Ausübung eines Berufes entgegenzutreten hat; wo soll sich der Bauernjunge in seinen vielen freien Stunden herumtummeln, als in Schluchten und Höhlen, auf Felsen und Hängen? Solche Beschäftigungen aber stählen den Körper und präpariren die Muskeln, so daß die oft wunderbare Ausdauer und Leistungsfähigkeit als nothwendiges Resultat der Gewöhnung erscheinen muß.

Eine eigenartige Beschäftigung trägt ihrerseits gewiß viel dazu bei, den Sinn des in wilder Einsamkeit weilenden Jungen schon frühe auf das gefährliche Gebiet zu lenken, welches später einen so unendlichen Reiz hat. Im Knabenalter schon muß er den Kampf mit Widerwärtigkeiten bestehen, die dem verwöhnten Menschen mit der Zeit unleidlich würden. Man denke an das Leben eines „Gaisbuben“! Was man der abgehärteten Ziege zumuthet, wird auch von ihm verlangt. Hitze, Kälte, Sturm, Regenfluthen müssen ihn gleich unempfindlich finden; ein Stück Brod und höchstens ein wenig Käse, der aber der entfernteste Verwandte des fromage de Brie ist, bilden Tag für Tag die frugale Mahlzeit; es giebt keinen zugänglichen Punkt in seinem Reiche, den er nicht erklimmen oder besuchen muß, und zu solchen Touren ist kein anderes Hülfsmittel an die Hand gegeben, als ein paar Holzsandalen und etwa ein Stock. Daß unter solchen Umständen der Körper abgehärtet wird, ist selbstverständlich, allein das Sich-selbst-überlassen-sein führt noch zur Entwickelung ganz anderer Fähigkeiten aus dem natürlichsten Wege. Die nothwendigen Nachforschungen nach einer verirrten Ziege schärfen die Beobachtungsgabe und das Spürtalent, welche beim Jäger in den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 457. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_457.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)