Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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Als ich, an einem heißen Juni-Mittag von Thale kommend, in den Speisesaal des Hôtel *** in Suderode trat, war die Table d’hôte schon im vollen Gange. Zwei lange Tafeln waren vollständig besetzt und mit Noth und Mühe ward mir an einer derselben noch ein bescheidenes Plätzchen zugewiesen. Die Teller klapperten, die Kellner flogen, und das Essen war erträglich. Wider Erwarten, denn im Allgemeinen ißt man nirgends schlechter und erbärmlicher, als in den Speisesälen der sogenannten Curorte, namentlich Mittel- und Norddeutschlands. Die Wirthe scheinen sich vollständig darauf zu verlassen, daß bei ihren Gästen hauptsächlich die gute Luft ihre Wirkung thue, oder sie glauben, daß die meisten derselben nur durch üppiges Wohlleben im Winter ihre Gesundheit beeinträchtigt haben, und unterwerfen sie nun auf eigene Faust einer Hungercur, deren Gründlichkeit nicht das Leiseste zu wünschen übrig läßt. Sie zwingen ihre Gäste zu derselben theils durch das geringe Maß von Speisen, welches sie ihnen überhaupt zuführen, theils durch die nichtswürdigste Zubereitung, welche sie den Speisen angedeihen lassen. Was sie hierin leisten, wird allein noch übertroffen durch die geradezu monumentale Unbefangenheit, mit welcher sie sich für diese Hungercuren so unverschämte Preise bezahlen lassen, daß man glauben könnte, in Rom bei Nazarri oder in Paris bei Vefour gespeist zu haben. Aber ich weiß, man speist dort billiger. Das Lächerlichste bei der ganzen Sache ist, daß die meisten Gäste, als ob es sich um ein seltenes und festliches Vergnügen handle, alltäglich auch noch in großer und feierlicher Salontoilette, so zu sagen in Paradeuniform zu diesen traurigen Mahlzeiten sich versammeln und so bestrebt sind, einen heitern und gefälligen Anblick bei einem Vorgang zu bieten, zu welchem man schicklicher Weise in melancholischem Traueranzuge erscheinen sollte.
Der Wein war matt oder meine Kehle von der langen Fahrt durch Hitze und Staub zu sehr ausgetrocknet, und ich fragte den Kellner, ob ich Eis erhalten könnte. Bevor er geantwortet, bot mir ein gegenüber sitzender Herr in der liebenswürdigsten Weise an, von dem Eiskühler, der bereits vor ihm stand, Gebrauch zu machen. Ich nahm dankend an. Mein Gegenüber war ein junger Mann, von etwa fünfundzwanzig Jahren, schlank und hochgewachsen mit breiten Schultern; sein blonder Schnurrbart hob sich, gleich den blonden Augenbrauen, leuchtend von der tiefgebräunten Farbe des schmalgebauten Gesichtes ab, dem namentlich die vornehm geschnittene Nase und der keck aufgeworfene Mund einen aristokratischen Ausdruck gaben. Die tadellose und scharf abgegrenzte Weiße des obern Theils der Stirne bewies, daß die braune Hautfarbe nur die Folge eines häufigen Aufenthaltes im Freien war. Die merkwürdige Locke aber, welche in der nur unserem herrlichen Kriegsheer eigenthümlichen Weise rechts und links über dem Ohr weg glatt gegen das Auge hingekämmt war und sofort an Caserne und Commißbrod erinnerte, deutete vielleicht darauf hin, daß ihr Träger dem Militärstande angehöre. Aber die Annahme konnte auch irrig sein; denn unter der strammen preußischen Zucht hat die männliche Jugend diesseits der Mainlinie schon lange gelernt, an dieser eigenthümlichen Haarform Gefallen zu finden und, dienstpflichtig oder nicht, mit ihr zu coquettiren, wie mit Allem, was zur Uniform gehört.
Das Merkwürdigste war, daß ich meinem Gegenüber schon irgendwo glaubte begegnet zu sein. Je länger ich mir seine Züge betrachtete, desto bekannter wollten sie mir scheinen. Auch die Stimme und seine kurze, hastige Art des Sprechens glaubte ich schon gehört zu haben und zwar bei irgend einem leidenschaftlichen Anlaß in heftiger Erregung. Ich zerbrach mir vergeblich den Kopf und beruhigte mich endlich dabei, daß ich mich täuschen müsse. Auch war dies das Beste, was ich thun konnte. Denn der Herr mir gegenüber nahm nach der einfachen, doch verdienstlichen Höflichkeit, die er mir erwiesen, weiter keine Notiz von mir, und ich fand das begreiflich, da ich ihm für die Gesellschaft, deren er sich bereits erfreute, doch keinen Ersatz hätte bieten können.
Es war ein bildschönes Mädchen von zwanzig oder einundzwanzig Jahren, gewiß nicht älter, gleichfalls distinguirt in der Erscheinung, aber doch von einer gewissen Einfachheit in der Kleidung, die mir nicht zu ihrem Gebahren, zu ihrem Wesen und, muß ich beifügen, nicht einmal zu der Vornehmheit ihres Begleiters passen wollte. Daß Beide nicht durch Zufall hier an der Table d’hôte nebeneinander gerathen waren, war klar; sie gehörte, wie man beim ersten Blicke gewahren mußte, so genau zusammen, wie nur irgend ein berühmtes Liebespaar; ja, sie tranken sogar vor aller Welt aus einem Glase, oder doch aus einer Flasche, die in eben demselben glänzenden, feucht angelaufenen Weinkühler stand, dessen Mitbenutzung der Herr mir vorhin angeboten.
Die Unterhaltung der beide jungen Leute war eine äußerst lebhafte und animirte, heiter und übermüthig. Sie lachten und schwatzten beständig. Sie schienen von der ganzen Welt umher nichts zu sehen, nichts zu wissen. Sie kümmerten sich nicht um die viele hundert Augen, welche von den Breit- und Querseiten der langen Table d’hôte beständig voll spöttischer und alberner Neugier auf sie gerichtet waren. Sie glaubten allein zu sein. Sie waren Beide glücklich; sie waren Beide jung und schön.
Von dem, was sie miteinander sprachen, verstand ich wenig oder nichts. Um so mehr, als der Herr selbst, wie ich schon andeutete, in jenen kurzen, abgerissenen, stoßweisen Sätzen sprach, die jedem kunstvolleren Periodenbau mit principieller Verachtung aus dem Wege gehen, im Lakonismus des Telegraphen und der Postkarte eigentlich ihr Ideal sehen müssen und sich häufig bei Menschen finden, die an kurzes Befehlen und imperatives Auftreten gewöhnt sind. Man hält deshalb auch diese Sprechweise, bei der ich immer den Eindruck empfangen, als ob mir alle Worte wie Felsblöcke einzeln an den Kopf geworfen würden, gern für blaublütig und junkerhaft. Aber auch sonst hatte meine beiden Tischnachbarn offenbar keine Ursache, ihre Geheimnisse bis zu mir über die Tafel herüber zu schreien, was auch nicht schön gewesen wäre. Sie flüsterten, und das Einzige, was ich zunächst erlauschte, war, daß das Mädchen Magda hieß – ein Name, für den ich immer geschwärmt habe. Sonst sah ich nur, daß die beiden Herzen in heller Liebesgluth standen und daß ihnen das helle Liebesglück aus den Augen leuchtete. Es war kein Wunder. Wenn das schöne Mädchen schweigend, in den Stuhl zurückgelehnt, dasaß, die weißen schmalen Hände im Schooße gefaltet oder sie im Spiele mit einem rosafarbenen Bande umwickelnd, die Augen sittsam niedergeschlagen und nur mit dem heitern Zucken ihres winzigen, kirschrothen Mundes verrathend, daß ihr kein Wort ihres Begleiters verloren gehe; wenn dieser, die Spitzen seines blonden Schnurrbartes mit der ringgeschmückten Hand immer kecker drehend, mit seinen blauen lichten Augen immer verwegener lachend und mit den ebenso kirschrothen Lippen immer übermüthigere Scherze plaudernd und die Sätze immer kürzer und immer hastiger herausstoßend, sich endlich dicht an sie heranneigte, wie um dem Mädchen das allerletzte und allerwichtigste Geheimniß zu vertrauen: dann schlug die schöne Magda rasch und plötzlich die grauen, großen, schalkhaften Augen zu ihrem Begleiter auf, und eine Flamme so tollen und leidenschaftlichen, frohen Glückes loderte aus ihnen, daß wohl kein Herz hätte widerstehen können. Und doch wußte sie immer ihren Cavalier durchaus in Schranken zu halten, mit jener reizenden Coquetterie, mit der man einen Vogel am Faden flattern läßt, und mit so großer Sicherheit, daß sie ihn, als er bei der zweiten oder dritten Flasche seinen Arm vertraulich über die Stuhllehne legte, sofort mit kaum merkbarem Winke veranlaßte, eben diesen Arm sofort wieder zurückzuziehen, aber nicht, ohne daß sie ihn, wie ich ganz wohl beobachtet habe, vorher durch ein leichtes Zurückbeugen ihres schönen Kopfes zwei- oder dreimal recht zärtlich gedrückt hätte. Es ist dann kein großes Verdienst, zu thun, was ein schönes Mädchen will.
Gleich darauf spickte sie den vor ihr liegenden Kork einer Weinflasche geschickt mit ein paar Dutzend Zahnstocher und stellte ihn so vor ihren Begleiter.
„Ein Stachelschwein,“ sagte dieser scharfsinnig.
„Ein Stachelschwein,“ bestätigte die schöne Magda kopfnickend, „ich schenk’ es Ihnen.“
„Danke,“ sagte der also Beschenkte trocken, zog die sämmtlichen Zahnstocher wieder aus dem Korke und ließ das auf diese
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 454. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_454.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)