Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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No. 27. | 1877. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.
Wildl hatte bei Judika’s Worten eine Empfindung, als ob ihn der Blitz berühre; die Kniee knickten ihm ein; er verstand und faßte das Gehörte nur halb; es war ihm, als ginge ein brausender Wassersturz, der ihm Aug’ und Ohr betäubte, über ihn hinweg. In diesem Zustande vernahm er nur halb, wie Judika erzählte, daß sie, aus dem Amte nach Hause kommend, zu ihrer Verwunderung die vordere Hofthür offen gefunden und auf ihr Rufen keine Antwort erhalten habe. Mit steigender Besorgniß sei sie durch Stube und Schlafkammer des Vaters gelaufen, ohne ihn zu finden, und als sie dann um die Hausecke gegen den hinteren Gras- und Obstgarten gekommen, habe sie das Entsetzliche entdeckt. Die schadhaft gewordenen Bretter der Kalkgrube waren eingebrochen und in der dicken Flüssigkeit lag, über und über davon befleckt, mit dem Kopfe nach unten, der Bauer, ohne sich zu regen oder ein Lebenszeichen von sich zu geben. Auf ihr Geschrei seien die Ehehalten, die eben aus dem Hochamte zurückkehrten, herbeigeeilt, und erst mit ihrer Hülfe sei es ihr gelungen, den schweren Mann aus der Grube emporzuziehen. Leider hatte schon der erste Anblick gezeigt, daß keine Hoffnung mehr bestand, ihn zum Leben zurückzubringen; dennoch war sofort einer der Knechte in’s Dorf zurückgelaufen, um Pfarrer und Bader herbeizurufen. Der Körper war schon beinahe starr und kalt; der Mann war mit Gesicht und Mund in die Masse gefallen und offenbar in wenigen Minuten erstickt. Bis zur Ankunft des Baders hatte man eine Bank in die Nähe des Röhrenbrunnens gestellt, den Todten darauf gelegt und begonnen, ihn vom Kalk zu reinigen. Nirgends war eine Verletzung an ihm zu entdecken. Es konnte kein Zweifel darüber bestehen – der gestern noch so lebensrüstige Himmelmooser war eine Leiche.
Wildl war mit einem lauten Aufschrei des Schmerzes und Schreckens an derselben in die Kniee zusammengebrochen, hatte die herabhängende Hand des Todten erfaßt und überströmte sie mit Thränen, die ihn lange am Reden hinderten.
„Ist es denn möglich, Vater,“ stammelte er dann, „daß Du so geschwind dahingegangen bist, im Zorn und im Unwillen? Ich hab’ es so gut vorgehabt mit Dir, und jetzt ist Alles, Alles dahin. O Vaterl! O, nur noch ein einziges Mal mach’ Deine Augen auf!“
Der Pfarrer und der Bader waren indeß erschienen, mit ihnen der Gerichtsdiener. Er hatte eben im Dorfe Bestellungen zu machen und säumte daher nicht, bei diesem Vorfalle zugegen zu sein, der leicht seine amtliche Thätigkeit erfordern konnte. Der Bader hatte sich sofort mit dem Todten beschäftigt, während der Pfarrer die fast verzweifelnde Judika in ihren lauten Schmerzensausbrüchen zu besänftigen suchte, die andern Dienstboten und Nachbarn aber, deren Zahl immer größer geworden, umherstanden und sich über die Möglichkeit und Entstehung des Unglücks besprachen.
„Was brauchen wir da lange zu fragen?“ sagte der Gerichtsdiener. „Der Alte hat sich den Tod selber mit der Laterne gesucht; das hat er von seiner Knickerei! Vorgestern erst wäre ich bald mit den Brettern eingebrochen und hab’ ihm gesagt, er soll sie richten lassen. Aber sein Geiz und[WS 1] sein Trutz hat es nicht zugelassen. Nun hat er selber daran glauben müssen.“ „Ich weiß nicht,“ entgegnete einer der Knechte, indem er die Stelle kopfschüttelnd betrachtete, „ich mein’ alleweil, wenn er über die Grube gegangen wäre und die Bretter wären unter ihm eingebrochen, dann wäre er mit den Füßen gerade hinunter gefallen; dann hätte er sich am Rande anhalten können. Ich mein’ alleweil, er ist hinein geworfen worden und wohl gar so lange untergehalten, bis er den letzten Schnaufer gethan hat.“
„Aber wer sollte so etwas gethan haben?“ sagte eine der Mägde. „Schelme oder Diebsleute können es nicht gewesen sein; das Haus ist ganz offen, und es ist nirgends ein Schaden zu sehen; Alles ist im besten Zustande, und es fehlt nicht das Geringste.“
„Das kann schon sein,“ erwiderte der Knecht. „Dann sind die Schelme halt versprengt worden und haben keine Zeit gehabt zum Rauben. Da schaut nur her,“ fuhr er, auf den Boden deutend, fort, „da schaut, wie das nasse Gras um die Grube herum vertreten ist; man sieht deutlich die Fußtritte, und obendrein, daß es zweierlei sind. Ich lasse mir’s nicht nehmen – es sind ihrer Mehrere gewesen; der Bauer hat sich gewehrt und mit ihnen gerungen. Darüber ist er auf die Bretter gekommen; die haben nachgegeben, und das haben die Schelme benützt und haben ihn hinuntergestürzt.“
Während Alle emsig die Fußspuren besichtigten, fand der geäußerte Verdacht eine ebenso unvermuthete als unwiderlegliche Bestätigung.
Der Bader war eben mit der Reinigung und Untersuchung der Leiche zu Ende gekommen: er hatte Mund und Kehle so weit als möglich vom eingedrungenen Kalk befreit.
„Todt ist er,“ sagte er dann. „Das ist gewiß. Er kann
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: „nnd“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_447.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)