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Seite:Die Gartenlaube (1877) 446.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


weniger als elegant und viele Correspondenten, namentlich englischer Blätter, können sich nur mit großem Widerwillen entschließen, es zu tragen. Es erinnert lebhaft an die Schilder der Eisenbahnpackträger.

Soeben, wo ich diese Zeilen schließen will, langt die Nachricht an, daß die Wässer der Donau, des Sereth und des Pruth, im rapiden Fallen begriffen sind. Seit zwei Wochen hat es in Bukarest nicht geregnet; der Schnee auf den Bergen ist nun beinahe ganz geschmolzen – einige Tage noch, und die rumänischen Flüsse werden wieder träge und ruhig in ihren gewundenen Betten dahinfließen, als wären sie nie im Stande, Eisenbahndämme zu zerstören und Brücken fortzureißen. Dies wird aber das Signal sein für die ersten Uebergangsversuche der russischen Armee über die Donau. Wo werden sie stattfinden? Das ist eine große Frage, die alle Gemüther beschäftigt. Vielleicht weiß es der Leser schon, wenn ihm diese Zeilen unter die Augen kommen.

Sß.




Blätter und Blüthen.


Verlorene Ehre. (Mit Abbildung Seite 433.) Der Holzschnitt, den wir unter vorstehendem Titel bringen, bedarf nur weniger Worte der Erläuterung; er erklärt sich, wie das rechte und echte Genrebild es thun soll, selber. Eine Scene, die leider im Leben nicht selten vorkommt, die Ablieferung zweier verhafteten Verbrecher am Gefängniß, ist hier in echt künstlerischer Weise aufgefaßt und dargestellt worden. Der Schließer schlurft in seinen schweren Hausschuhen heran, um die eisenbeschlagene Pforte zu öffnen; der Gensd’arm berichtet flüchtig den beiden am Zechtisch sitzenden Beamten von seinem gelungenen „Fange“; in diesem kurzen Momente der Rast an der Schwelle des Kerkers läßt der Künstler das volle Licht auf die Gestalten und Züge der beiden Gefangenen fallen. Der Blick des Beschauers wird besonders durch den Jüngeren gefesselt, den Größeren von Beiden. Er ist in der That der Schwerpunkt des Bildes, und auf ihn concentrirt sich das Interesse. Der mit ihm zusammengekoppelte schlottrige Gesell, der alte Lump mit den matten Augen und den geschwollenen Wangen, ist ein „Verlorener“ im weitesten Sinne des Wortes: er hat längst die Ehre und im Fuselgenuß sich selbst verloren; er bleibt gleichgültig bei dem Rasseln der Schlüssel. An ihm ist nichts mehr zu enträthseln. Sein Gefährte dagegen, ein Mann in der Fülle der Kraft, ist ersichtlich noch ein Neuling auf diesem Pfade; sein Ehrbewußtsein ist noch nicht erloschen; seine Faust ballt sich; seine Züge verrathen den Sturm in seinem Innern. Was für Gefühle sind es, unter deren Druck die Muskeln dieses Gesichtes sich krampfhaft verziehen? Ist es Entrüstung, die sich im Rechte und die Diener des Gesetzes im schreiendsten Unrecht glaubt? Ist es ohnmächtiger Trotz, der in dem gefesselten Manne noch einmal aufwallt? Ist es das Schuldbewußtsein, das hier an dieser düsteren Pforte und angesichts dieser Gruppe naiv oder ängstlich blickender Kinder wuchtiger auf das Gewissen drückt? Wir wollen es dem Beschauer überlassen, das zu entziffern.

Eduard Schulz, dessen Pinsel das wirkungsvolle Oelgemälde, dem unser Holzschnitt nachgebildet ist, schuf, lebt in Düsseldorf. Geboren im Jahre 1831 im Lande Jülich, sollte er Officier werden und wurde auf die Cadettenanstalten zu Bensberg und zu Berlin geschickt. In der letzteren Stadt jedoch entwickelte sich unter dem Anblick der künstlerischen Sammlungen in dem Knaben eine unwiderstehliche Leidenschaft für die Kunst, eine Leidenschaft, welche dem Vater die Erlaubniß abpreßte, daß der Sohn den Beruf wechseln dürfe. Auf der Akademie in Düsseldorf, später in Antwerpen, machte Eduard Schulz seine künstlerischen Studien und arbeitete selbstständig als Portrait- und Historienmaler. Auf dasjenige Feld, das sein eigenster Beruf zu sein scheint, auf das der Genremalerei, trat er jedoch erst vor etwa drei Jahren hinüber. Die Bilder, die er in dieser Richtung bisher malte, sind meist in die Hände von Amerikanern übergegangen. „Verlorene Ehre“ wird demnächst auf die Berliner Ausstellung kommen. Die Schöpfungen unseres Schulz sind von frappanter Wirkung, von kraftvoller Composition und feiner Ausführung, Scenen, aus dem vollen Leben gegriffen, aber bei allem Realismus des Details doch von der Idee beherrscht und vom Hauche des Idealismus durchweht. Eduard Schulz tritt mit ihnen den besten Genremalern der Düsseldorfer Schule ebenbürtig zur Seite.




Typen der russischen Armee. (Mit Abbildungen S. 441 u. 445.) Aus dem fremdartig-seltsamen Völkergemisch der jetzt in kriegerischer Action befindlichen Armee, aus der bunten Mannigfaltigkeit ihrer vielfach sehr malerischen Gestalten und Trachten, führt unsere heutige Nummer einige an Ort und Stelle von unserm Specialartisten aufgenommene, besonders charakteristische Typen vor. Das Bild des Kosaken ist auch der jüngeren Generation Deutschlands kein fremdes. Man kennt es bei uns aus den Erzählungen bejahrter Leute, die sich noch lebhaft des Grauens erinnern, das diese bärtigen und wild aussehenden Gesellen in den Napoleonischen Kriegen den Bewohnern Deutschlands erregten, als sie mit ihren mächtigen Pelzmützen, ihren rothen Pumphosen und langen Piken auf kleinen katzenähnlichen Rossen in unsere Städte und Dörfer zogen. Ein werthvoller Bestandtheil der Armee ist diese halbbarbarische Soldatenkaste jedenfalls, und zwar durch mannigfache Eigenschaften, namentlich durch die Gewohnheit, von Jugend auf mit Pferd und Waffe umzugehen, sowie durch die wunderbare Schärfe des Gesichts und Gehörs, die sie zu ausgezeichneten Vorposten und besonders für den Krieg mit asiatischen Völkern geeignet macht. Wo sie als Freunde kommen, sind die Kosaken eine mitunter erträgliche, zuweilen sogar gemüthliche Einquartierung. Wehe aber dem Lande, das sie als Feinde, d. h. also unter Umständen auf seinem Boden sehen muß, wo ihnen Mäßigung und Zurückhaltung nicht mit aller Strenge geboten ist! Denn im Herzen des Kosaken brennt nur eine einzige Leidenschaft: die Habgier. Wo es sich um gute Beute handelt, da kennt er keine Menschlichkeit. Möchte unser Vaterland und überhaupt das gesittete Europa von jeder Berührung mit diesen unerläßlichen Begleitern des russischen Heeres für alle Zukunft verschont bleiben!

Von dem Verhalten der Tscherkessen im Falle eines Krieges weiß Europa aus eigener Erfahrung noch nichts. Von einer Cultur im europäischen Sinne kann freilich auch bei ihnen nicht die Rede sein, aber schon ihr Aussehen, ihre Gesichtsbildung und Haltung beleidigt in keiner Weise das Schönheitsgefühl; der Eindruck ihrer Erscheinung ist ein angenehmer, ja vielfach ein interessanter und imposanter. Man weiß, welchen Heldenkampf diese Stämme gekämpft haben, ehe sie unter das moskowitische Scepter sich beugten. Ein Irrthum ist es aber, wenn man glaubt, daß die jetzt in der russischen Armee kämpfenden Tscherkessen-Regimenter nur aus jenen muhamedanischen Bewohnern des Kaukasus und der unmittelbar an seinem Fuße liegenden Gegenden bestehen. Es gehören vielmehr dieser Truppengattung auch die Einwohner eines großen Theiles der russischen Tiefebene zwischen dem Kuban, dem Don und der Wolga an, Tscherkessen im engeren Sinne dagegen sind nur die Daghestan-Tscherkessen, deren Gebiet sich gegen den Kaspischen See, südlich vom Kaukasus hinstreckt, sowie ihre Nachbarn im Westen aus dem Ter’schen Landstriche. Aus diesen Gebieten werden jene zwei rein muhamedanischen Regimenter rekrutirt, die vor Kurzem, theilweise entwaffnet, nach der Festung Akjerman zurückgeschickt wurden, nachdem sie sich Insubordinationen, auch Beschimpfung christlicher Kirchen, hatten zu Schulden kommen lassen. Unserem Correspondenten wird sogar bestätigt, daß einige hundert von ihnen zu den Türken übergegangen sind. Ihre Uniform besteht aus schwarzem Kaftan, blauen Epauletten und blauem Deckel der Schaffellkappe. Außer den muhamedanischen giebt es gemischte und rein griechisch-orthodoxe Tscherkessen-Regimenter. Juden sind wohl überall dabei, doch keineswegs abgesondert; ebenso ist es unrichtig, daß viele von ihnen aus der Jassyer Gegend stammen.




Zu Campe's Charakterbild. Die in den beiden letzten Nummern der „Gartenlaube“ enthaltenen Artikel „Vom Verfasser des deutschen Robinson“ konnten das Leben und Wirken des hervorragend bedeutsamen Mannes nur in einer möglichst scharfen Zeichnung der Haupt- und Grundzüge vorüberführen. Wer ein ausführliches Charakterbild Campe’s gewinnen will, den müssen wir auf die Hauptquelle verweisen, aus der wir vornehmlich den Stoff zu unserer Schilderung geschöpft haben. Es ist dies ein von Dr. J. Leyser verfaßtes biographisches Denkmal, das erst vor Kurzem in zwei stattlichen Bänden (bei Fr. Vieweg und Sohn in Braunschweig) erschienen ist und den Titel führt: „Joachim Heinrich Campe. Ein Lebensbild aus der Zeit der Aufklärung“. Dieses werthvolle und mit sorgfältigster Gründlichkeit durchgeführte Werk stellt uns nicht blos den äußeren Lebensgang Campe’s dar, sondern charakterisirt auch in einer Reihe von Abschnitten die volle Bedeutung seiner vielseitigen Thätigkeit und seines immer hohen Strebens und Werthes. Auszüge aus seinen Briefen und manchen seiner halbverschollenen Schriften, sowie eine große Reihe an ihn gerichteter Briefe hervorragender Zeitgenossen geben dem gediegenen Buche einen besonders fesselnden Reiz. Wer den Kreis seiner Anschauungen gern mit einer erhebenden Menschengestalt bereichert, wer die fortschrittliche Zeitentwickelung an ihren frischen Quellen und reinen Ausgangspunkten zu studiren liebt, dem sei hiermit die Leyser’sche Campe-Biographie als ein gehaltreicher Beitrag zur neueren Literatur- und Culturgeschichte nachdrücklich empfohlen!



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_446.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)