Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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Als die Krisis ihren Höhepunkt erreicht hatte und Rumänien veranlaßt wurde, mit der Pforte zu brechen, ohne daß die Russen sich noch im Lande zum ausreichenden Schutze befanden, da mag wohl eine Weile den Bukarestern unheimlich zu Muthe gewesen sein. Man bedenke auch – ein kühner Tscherkessen-General, der mit seinen wilden Schaaren bei Giurgewo über die Donau gesetzt hätte, würde damals leicht bis zur Hauptstadt vorgedrungen sein, und er hätte immerhin Zeit genug gehabt, die schöne, üppige „Stadt der Freuden“ zu bulgarisiren. Wenn man den Eifer in Betracht zieht, mit welchem die Baschi-Bozuks die Hühnerhöfe und die Scheunen der armseligen Rajah-Dörfer ausraubten, kann man sich leicht eine Vorstellung von der Thätigkeit machen, welche die erwähnten Herren angesichts der preiswürdigen Beute der Magazine in der Calea Mogosaï entwickelt haben würden. Doch glücklicherweise kam es nicht so. Die Tscherkessen blieben fein drüben jenseits des großen Wassers, und jetzt stehen zwischen dem Donaustrande und dem sechszig Kilometer davon entfernten Bukarest Redouten, Belagerungsgeschütze und eine starke Abtheilung der russischen Armee. Man fühlt sich daher auch geborgen und grämt sich nicht im Geringsten. Die rumänische Hauptstadt ist im strengsten Sinne des Wortes der Wartesalon des Kriegsschauplatzes, aber in diesem Wartesalon geht es festlich und gemüthlich zu. Morgen vielleicht mag der Wind, wenn er etwas schärfer bläst, wie sonst das Echo der gegen Rustschuck drohenden Kanonensalven hierher bringen und übermorgen die Stadt sich mit Verwundeten anfüllen, aber heute wird geplaudert, promenirt und cokettirt, und wenn man Abends vor den Conditoreien sitzt inmitten der aufgeputzten Herren und Damen, die mit der vollständigsten Seelenruhe ihr Eis oder ihr Dulciates, von unzähligen Gläsern Eis-Wasser begleitet, verzehren, so fragt sich unwillkürlich unsereins, was er hier suche und ob der ganze Krieg nicht ein Gebilde der Phantasie sei. Vor allem freut sich Bukarest des herrlichen Sommers, der nach langem Zögern endlich seine verklärenden, blumenduftenden, allerdings etwas heißen Strahlen spendete.
Bukarest ist ein Aufenthalt, den man im Sommer genießen muß. Ohne die goldige Juni-Sonne verschwindet der ganze eigenthümliche Reiz der Decoration dieser Stadt. Um die Hauptader, um den Ring, den Boulevard von Bukarest, die Calea Mogosaï, welche einen durchaus großstädtischen Charakter hat, laufen in der Kreuz und in der Quere eine Menge sich in's Unendliche ausdehnende Straßen, wo sich kleine Villen, Cottagen, manchmal auch niedrige, aber graziöse Bretterhütten aneinanderreihen, aber alle mit wohlgepflegten Gärten versehen. Das Leben im Freien ist für den Bukarester ein Bedürfniß, so lange es eben die Witterung erlaubt; mag das Häuschen, in dem er wohnt, noch so unansehnlich, die Stuben noch so eng sein – ein freier Raum mit schattigen Lorbeerbäumchen und dem saftigen Rasenplatz muß sich dabei befinden. Die meisten dieser Häuser haben ein einziges Stockwerk, welches nur durch wenige Dielen über dem Erdboden erhöht dasteht, und da die Fenster fast immer geöffnet sind, so hat der Vorübergehende einen sofortigen Einblick in das behäbig und elegant ausgestattete Innere, sowie in das gesellige Leben der rumänischen Familie. Aber auch für die Wenigen die keinen Garten zum Privatgebrauch haben, ist gesorgt. Außer dem großen Promenade-Ort mitten in der Stadt, dem Cismé-Su-Garten und dem kleineren Episcopal-Garten hat jede Restauration ein Sommerlocal im Freien, wo bis spät in die Nacht hinein die braunen Naturvirtuosen, die Zigeuner, für musikalische Unterhaltung sorgen. So genießt man in Bukarest beinahe alle Annehmlichkeiten eines Landaufenthaltes mit sämmtlichen immer mehr und mehr sich ausbildenden Bequemlichkeiten einer Stadt. Ja, man könnte sich sogar die Illusion gönnen, daß man statt einer Kriegsfahrt eine Badereise nach irgend einer der fashionabelsten Stationen unternommen hat, wenn man den Reichthum, den Glanz und namentlich die Eleganz der Toiletten in Betracht zieht. Es ist bekannt, daß Rumänien sich in vielen Beziehungen Frankreich zum Muster genommen und bis auf die Krisen, die häufigen Minister- und Beamtenwechsel, Staatsstreiche und dergleichen, die an der Seine normale Ereignisse sind, gewissenhaft nachahmt. Da versteht es sich von selbst, daß, während die Männer in politischer Richtung dem französischen Modell nachstreben, die Damen die Pariser Moden nicht etwa copiren, sondern mit denselben genau Schritt halten. Man muß aber der Bukarester Damenwelt das Zeugniß ausstellen[WS 1], daß sie den Pariser Putz mit ebenso großer verführerischer Kunst zu tragen weiß wie ihre Vorbilder. Die feinen Gesichtszüge der walachischen Frauen, in denen griechische Schönheit und italienische Anmuth innig mit einander verschmolzen, sind für die jetzigen Moden wie geschaffen. Aber es geht eben hier mit den Damen wie mit den Bukarester Gesammt-Eindrücken: die Sommertoilette steht auch den Evastöchtern hier am besten, und man kann sich schwerlich eine Bukarester Grazie ohne den Strauß frischer, blühender Rosen am Busen denken.
Wer das Leben und Treiben dieser Hauptstadt am besten beurtheilen will, der verfüge sich zwischen sechs und acht Uhr Abends nach der Chaussee Kisselew, der Landstraße, die nach Plojeschti führt und die zur Zeit der russischen Occupation von 1828 vom Gouverneur Grafen Kisselew angelegt wurde. Den Anfang dieser Landstraße (in einer Ausdehnung von etwa zwei Kilometer) bildet eine schattige Promenade, wo sich während der erwähnten zwei Stunden Alles einfindet, was entweder einen Wagen besitzt oder einen solchen zu miethen im Stande ist. Hat man mit einem gesellschaftskundigen Cicerone diese Strecke befahren, so kennt man das ganze Bukarest, die Bojaren-, die Finanz-, die politische und die galante Welt. Selbstverständlich wimmelt es jetzt auf der Chaussee von Uniformen. Die rumänischen Officiere zeichnen sich durch den vornehmen Schnitt ihrer Montur und den Chic, mit welchem sie dieselben tragen, aus. Die Infanterie-Uniform ist an und für sich ziemlich einfach; die Uniform der Artillerie ist bei den Officieren eine getreue Copie der französischen, mit Einschluß der zierlichen, silberbeschlagenen Patronentasche. Die Cavallerie dagegen und die Adjutanten des Fürsten sind mit wahrhaft theatralischem Pomp ausstaffirt: rothe Waffenröcke mit schwarzen Schnüren, sehr eng anliegende Lederhosen von der Sorte, wie sie Graf d'Artois wünschte, als er seinem Schneider erklärte: „Wenn ich in die Hose hineinfahre, so nehm ich sie nicht“, hohe ungarische Stiefel mit Verzierungen und auf dem Kopfe eine Fellmütze mit Reiherfeder. Denken Sie sich dazu bald ein melancholisch-schwärmerisches, bald ein recht martialisches Gesicht, und Sie haben den rumänischen Cavallerie-Officier fertig.
Viel einfacher dagegen nehmen sich hier die Russen aus, deren Montur vom Feldzuge bereits sehr stark gelitten hat, sodaß sie im Vergleiche zu ihren rumänischen „Waffenbrüdern“ defect und staubig wie die Graskäfer aussehen. Waffenbrüder? Hm, hm, ich habe ebenso wenig auf der Chaussee einen russischen Officier mit einem rumänischen in demselben Wagen fahren wie ich solche in der Stadt zusammen an einem Tische sitzen gesehen. Doch – eine Ausnahme muß gemacht werden. Als wir zur Stadt zurückfuhren, wirbelte uns eine gewaltige Staubwolke entgegen. Indem dieselbe sich zertheilte, erblickten wir einen Vorreiter in reicher Livrée und hinter demselben einen vierspännigen Galawagen, darin aber auf dem nämlichen Kissen einen rumänischen und einen russischen Officier. Hinter dem Wagen trabte eine Abtheilung von Leibgensd'armen, superbe Burschen, sechs Fuß hoch, stramm und von imponirendem militärischem Aussehen, eine Leibwache, wie der Beherrscher einer Großmacht sie sich nicht schöner wünschen könnte. Die beiden Insassen des Wagens waren Fürst Karl von Rumänien und der von Plojeschti herübergekommene Generalissimus der russischen Armee, Großfürst Nicolaus Nicolajewitsch. Verkörpert sich in der Reckengestalt des russischen Großfürsten der strenge, unbeugsame Mann des Schwerts, bei dem jede einzelne Bewegung auf die Gewohnheit des Befehlens hinweist, so verräth die von dem schwarzen Vollbarte umrahmte lebhafte Physiognomie des rumänischen Souveräns ein geistreiches, mit zäher Energie gepaartes
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: ausstelleu
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 436. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_436.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)