Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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den sogenannten „Treibern“, bedeckt fühlte. Da war kein Besinnen möglich. Blitzschnell hatte ich die Doppelbüchse auf den größten mir erreichbaren Affen in Anschlag gebracht und mit Erfolg gefeuert. Der vermeinte Kulu Hamba stürzte, durch das Unterholz vor dem Zerschmettern geschützt, zur Erde nieder.
Aber auch ich sprang nach abgegebenem Schusse, toller als von Taranteln gestochen, von Schmerzen gepeinigt, aus der gefährlichen Nähe dieser überaus schrecklichen Ameisen, blos mit dem Abwehren derselben beschäftigt. Das jämmerliche Geschrei eines jungen Chimpanse, dem der Vater geraubt, erinnerte mich an den alten Gorilla, der, wie ich mir dachte, nun sicherlich, durch das Klagen herbeigelockt, zum Angriff auf mich schreiten würde.
Meine Situation erschien bedenklich genug, denn obschon ich bereits einen Gorilla geschossen hatte, so war ich doch noch in dem Wahne befangen, den du Chaillu’s Erzählungen in mir erzeugt hatten. Statt des Gorilla erschien indeß mein Begleiter, der, einen Zweig abbrechend, mir wenigstens äußerlich die kleinen Bestien vom Körper peitschte. Nunmehr schoß ich den kleinen Schreihals herunter, welcher allein von der ganzen Gesellschaft zurückgeblieben war und sich in seiner Angst nicht zu helfen wußte. Dies war, so grausam es scheinen mag, ein Act der Nothwendigkeit, da es nicht unmöglich war, daß der alte Gorilla, durch diese Hülferufe in Wuth gesetzt, mich dennoch annehmen konnte. Nach einer Weile war nichts mehr zu befürchten und ich konnte mich von den Hunderten der Ameisen, die sich in mein Fleisch verbissen hatten, reinigen; worauf ich den Jungen, mit der strengen Weisung sich möglichst zu beeilen, nach meinen Leuten sandte. Dieselben harrten meiner mit dem Canoe an einem Bache, der sich lagunenartig tief in den Urwald hinein erstreckte.
Endlich, nach langen martervollen Stunden erschienen, durch mehrfache Rufe herbeigelockt, sechs meiner Galloa-Neger, beluden sich mit den erlegten Thieren und traten nun mit mir den weiten, sehr beschwerlichen Heimweg an. Im Dorfe bei voller Dunkelheit angelangt, wusch ich mir sofort meinen übelzugerichteten Körper mit Wasser, dem ich Salmiakgeist zugesetzt hatte.
Noch war ich damit beschäftigt, als sich vor meiner Hütte ein ganz ausgelassenes Gelächter erhob. Neugierig sehe ich durch die Ritzen und gewahre den Bengel, meinen Begleiter, wie er im Scheine eines großen Feuers vor versammelten Ortsbewohnern mein tolles Gebahren in höchst origineller Weise carikirte, wie ich, den Angriff des Gorilla erwartend, mir die Ameisen abschüttelte und vor Schmerzen herumtanzte. Die Vorstellung war so komisch, daß ich beim Anblicke dieser Scene selbst in Gelächter ausbrach. Natürlich vermehrte dies die Heiterkeit dieser urwüchsigen Naturkinder bis zur Ausgelassenheit, und oft genug noch mußte ich mir selbst von den Kindern durch Pantomimen diese Affaire vergegenwärtigen lassen.
Während eines mehrwöchentlichen Streifzuges in die Aschangolo-Berge, bog ich von einem alten Elephantenpfade, welcher mich zu weit von der Richtung führte, nach Südost in einen schmalen Wildwechsel ein.
Ich mochte denselben wohl eine halbe Stunde verfolgt haben, als ich aus verschiedenen Anzeichen merkte, daß ein Gorilla in der Nähe sein mußte. Meinen nur aus drei Galloa bestehenden Begleitern dies mittheilend, ging ich geräuschlos weiter. Von Zeit zu Zeit blieben wir stehen, um auf das leiseste Geräusch zu hören – da, mit einem Male ertönte hinter mir ein Schrei des mir zunächst gehenden Galloa, und unter dem Zuruf: „Master, look out nbolu Ndsohina!“ (Gieb Acht, Herr, ein großer Gorilla!) warfen die feigen Burschen ihre Lasten fort und ergriffen das Hasenpanier.
Indeß war auch ich durch den Ruf bestürzt und gewahrte erst, nachdem seitwärts ein dumpfes Grollen hörbar wurde, eine dunkle Masse in kaum fünfzehn Schritt Entfernung von mir, sich riesenhaft aufrichten.
Es war der größte Gorilla, den ich je gesehen, der erste, welcher, ohne anzugreifen, Stand hielt. Hätte diese fürchterliche Bestie meine Bestürzung benutzt, ich wäre verloren gewesen. Auf eine Probe, wie lange dieses gegenseitige Anschauen wohl dauern würde, wagte ich es nicht ankommen zu lassen. Als ich die Doppelbüchse zur Schulter erhob, wurde das rollende Gebrüll bellender; das Trommeln auf die Brust erfolgte in schnellerem Tempo; die struppigen Haare auf dem Kopfe sträubten sich vibrirend, und es schien, als wollte mein schreckliches Gegenüber zum Angriffe übergehen. Hätte ich mich bei guter Zeit vorsichtig zurückgezogen, so bin ich überzeugt, daß der Gorilla mich nicht angenommen haben würde. Es lag dies indeß keineswegs in meiner Absicht, und so zielte ich, meiner Aufregung vollständig Herr geworden, ruhig und sicher nach dem Herzen. Nach abgegebenem Schusse schnellte das Thier, die Arme ausbreitend, als suche es nach einem Stützpunkte, in die Höhe und fiel, sich drehend, auf das Gesicht. Hierbei hatte es eine fünf Centimeter starke Liane erfaßt, und so mächtig war seine Kraft, daß es mit ihr dürre, auch grüne Aeste zur Erde riß.
Sein Gewicht taxirte ich auf über vierhundert Pfund; die Länge betrug 1,90 Meter, die Breite einen Meter. Leider verdarb mir die Haut des Thieres wegen Mangels an conservirenden Mitteln. Holzasche genügt in diesem rasch zersetzenden Klima nicht. Vom Skelete konnte ich nur den Schädel mitführen, da meine drei Leute schon über die Maßen bepackt waren. Ferner waren wir volle fünf Tagemärsche von unserm Bivouak entfernt, und noch hatte ich den eigentlichen Zweck meiner Reise, den südöstlichen und südlichen Lauf des Rembo Ngunie unterhalb der Eugenie-Fälle (der bedeutendste Nebenfluß des Ogowe), nicht erreicht. Wie sollten wir, da blos Sonne und Compas als Wegweiser dienten, den Ort wiederfinden, auf dem der Gorilla gefallen war?
Beigegebenes, von dem Thiermaler Herrn Leutemann nach meiner Angabe gefertigtes, sehr gelungenes Bild stellt diesen gewaltigen Gorilla in Wuth dar, wie er, von mir überrascht, sich zur Wehre setzt und unter fürchterlichem Gebrüll mit den Fäusten auf die mächtige Brust schlägt.
Während meiner zweiten Reise hoffe ich über das Leben und Treiben dieses menschenartigen Affen weitere Erfahrungen zu sammeln.
Trotz des Glückes, dessen Campe in Hamburg sich erfreute, finden wir ihn 1786 zu fester Ansiedelung in Braunschweig, der Hauptstadt seines Geburtslandes. Schon einige Jahre vorher hatte er aus Rücksichten auf sein durch große Anstrengungen erschüttertes Nervensystem das Hamburger Institut auflösen müssen. Mit nur vier Schülern zog er drei Meilen weiter nach einem Dorfe an der Bille, wo er seine Arbeit zwischen der Landwirthschaft und der Erziehung seiner Zöglinge theilte. Von hier aus war Campe dem Rufe nach Braunschweig gefolgt und hatte nun in der That den Boden gewonnen, auf dem seine im Sturm und Drang der bisherigen Lehr- und Wanderjahre gereifte Meisterschaft voll und ganz sich entfalten konnte. Als Schulrath sollte er eine Verbesserung des Schulwesens anbahnen, was freilich an dem Widerstande der „alten Unverbesserlichen“ scheiterte, unter denen eine zelotisch-orthodoxe Geistlichkeit das schürende Element war· Schon in Hamburg hatte derselbe Pastor Götze, welcher Lessing zu denkwürdigem Widerspruche gezwungen, auch Campe zu stören gesucht, aber es blieb dem Hetzer gegen den Privatmann nur das plumpe Stichelwort auf der Kanzel, und dieses verhallte spurlos an den Ohren der aufgeklärten Freunde. In Braunschweig jedoch war das anders; hier sollte der „ketzerische Neuerer“ seine Ideen mit staatlicher Autorität durchführen; hier war eine mächtige Pastorenhierarchie, die in den adeligen Mitgliedern der Landstände Befürchtungen vor der Erleuchtung des Volkes erregte und dem Unternehmen so erhebliche Schwierigkeiten bereitete, daß selbst der Herzog bald den größten Theil seines Lieblingsplanes aufgeben mußte. Nach wie vor aber blieb dieser der unerschütterliche Freund und Beschützer des Mannes, den er gerade wegen seines
Freimuthes und seiner Freisinnigkeit zu sich berufen hatte. Ueberblicken wir die unwidersprechlichen Thatsachen dieses überaus liberalen und zartfühlenden Verhaltens, so kann uns dasselbe nur mit dankbarer Bewunderung erfüllen, und überrascht müssen wir
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_420.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)