Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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No. 25. | 1877. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.
Engerl reichte dabei dem Alten die Hand, der sie festhielt und das Mädchen wie verwundert betrachtete. „Du hast Schneid’,“ sagte er, „das gefällt mir, bist auch aufgeputzt als wenn’s zur Hochzeit ging’. Was hast denn da für Gehäng’ an Deinem Geschnür? setzte er hinzu und faßte den Thaler, um ihn genauer zu betrachten, „das ist wohl gar ein Heckthaler?“
„Ich weiß nit, was für eine Münz’ es ist,“ entgegnete sie, „ich hab’ sie als Kind geschenkt bekommen, und meine Mutter hat gesagt, ich soll sie gut aufheben; sie könnt’ mir vielleicht einmal noch Glück bringen.“
„Leicht möglich!“ sagte der Alte auflachend, „aber wie ist’s – wenn Du Dich nit fürchtest vor mir, möchtest nit zu mir kommen in’s Himmelmoos?“
„Dank’ schön’!“ erwiderte sie, „aber mein Dienstbauer ist mit mir zufrieden und ich mit ihm – und ich mein’, es wär’ nit recht, wenn ich ihn so mir nichts Dir nichts verkehren thät.“
„Es müßt’ ja gerade nicht als Magd sein, daß Du in’s Himmelmoos kämst,“ sagte der Alte etwas leiser, als ob er sich vor dem Tone der eigenen Stimme scheute. „Wie wär’s denn nachher?“
Verwundert sah das Mädchen ihn an und erglühte wieder wie eine eben aufbrechende Rose. Die Antwort ward ihr erspart, denn der Bursche, dem sie den nächsten Tanz zugesagt, kam, sie suchend, herbei und bot ihr den Arm.
Der Bauer kehrte an seinen Platz zurück und sah stumm vor sich hin; nach einer Weile öffnete er den Krug, aber er vergaß zu trinken und hielt ihn mit zurückgeschlagenem Deckel wie geistesabwesend in der Hand. Die Tanzmusik hob an, und erst als sie wieder verstummte, fuhr er wie aus einer Betäubung auf und erhob sich, unbekümmert um die Tischgenossen, die ihm neckend zuriefen, wohin er auf einmal wolle und ob er endlich ausgeschlafen. Auf seine Erwiderung, er wolle dem Tanze zusehn, riefen sie ihm lachend zu, daß der Tanz ja soeben zu Ende gegangen, er aber ging seines Weges und murrte trutzig vor sich hin, dann werde bald ein neuer Tanz beginnen, und er wolle versuchen, ob die alten Beine nicht noch gelenk genug seien, einen frischen Schuhplattler auszuhalten.
Anscheinend ohne Zweck ging er auf dem Rasenplatz umher, wo die jungen Paare sich wieder zu einander reihten oder hier und da das während des Tanzes angesponnene Gespräch fortsetzten.
Plötzlich blieb er stehn, als sei er vom Wege abgekommen und sehe vor seinen Füßen in einen schroff abstürzenden Abgrund.
Wenige Schritte von ihm stand Engerl in eifriger Unterhaltung mit seinem Sohne.
Es war natürlich, daß das Mädchen sogleich den Geliebten aufgesucht hatte, um ihm zu erzählen, welche Begegnung sie eben mit dem Vater gehabt und welch’ räthselhafte Reden er geführt. Wenn er sie auf dem Hofe haben wollte, mußte er ihr gewogen sein, und wenn es nicht in der Eigenschaft einer Magd sein sollte, was konnte er anders gemeint haben, als daß sie ihm eine willkommene Schwiegertochter sein würde? Wilderich zweifelte; Engerl strahlte von Hoffnung – sie sollten die Aufklärung, nach der sie forschten, nur zu bald erhalten.
Plötzlich, wie aus der Erde aufgestiegen, stand der Alte vor dem überraschten Paare.
„Was machst Du da, unnützer Bursch’?“ schrie er Wilderich an. „Auf der Stelle weg von dem Mädel oder ich weise Dir den Weg!“
„Aber Vater,“ stieß Wilderich hervor, der sich in das völlig Unerwartete nicht gleich zu finden vermochte. „Was wollt Ihr denn – das ist ja das Mädel, von dem ich Euch gesagt.“
„Was? Die?“ stammelte der Alte, und die Augen funkelten wie Zünder unter den finstern Brauen. „Niemals, daraus wird nichts. In Ewigkeit nit! Weg, sag’ ich, von dem Mädel, oder ich reiß’ Dich weg.“
Er war vor Wuth so außer sich, daß seine Stimme den Beginn der Musik übertönte und die Anwesenden herbei lockte – verwundert standen sie im Kreise, fragten sich nach der Ursache des Zwistes zwischen Vater und Sohn und flüsterten sich ihre Bemerkungen zu, wie wüthend der Vater sei und wie man wohl sehen könne, von wem der Sohn die oft getadelte Wildheit geerbt habe.
Der Alte schien wirklich seine Drohung ausführen zu wollen: er sprang mit erhobenem Arm auf den Sohn zu, und dieser entging dem Schlage nur dadurch, daß er einige Schritte zurück wich – bleich und bebend klammerte sich das Mädchen an ihn.
„Aber warum denn, Vater – sag’ mir nur warum?“ stieß Wilderich hervor, dem das Blut im Gehirne kreiste und die Besinnung zu rauben begann.
„Das wirst Du schon erfahren,“ tobte der Alte entgegen „Wie wir zwei zusammen stehn, das weißt Du und dabei bleibt’s in alle Ewigkeit. Heirathe wen Du magst – meinetwegen die nächste beste Bettlerin hinter’m Zaun, aber die nit – die kommt niemals als Schwieger in mein Haus.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 413. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_413.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)