Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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Volksmenge mit gemeinen Verwünschungen und Witzen beantworteten. Zugleich wurden vier Männer mit Schwert und Strang hingerichtet. Jeder einzelne von ihnen kam auf einem Karren, zur Seite zwei Mönche, unter starker bewaffneter Bauernescorte nach der Richtstätte. Die drei nachfolgenden armen Sünder konnten sehen, wie Meister Hans des Ersten Kopf erst nach zwei Fehlhieben absäbelte. Der letzte baumelte nachher am Galgen hin und her.“
Der Graf that sich immer etwas zu gut darauf, daß er Keinen habe hinrichten lassen, der nicht zuvor seine Schuld – immer nur Spitzbübereien – eingestanden hatte. Aber über den Segen dieser rohen Justiz, deren Profoß er mit so vieler Begeisterung war, gerieth er selbst in Zweifel. Die Todesurtheile schreckten so wenig ab, wie alle die anderen Strafen; Mancher fiel dem Grafen in die Hände, der schon anderwärts unterm Galgen gestanden und in seiner Todesangst begnadigt worden war, gleichwohl aber das Sünderleben nicht eher gelassen hatte, als bis es ihm schließlich doch genommen worden. In einem Todesurtheil von 1804 klagte er über einen Delinquenten, der in neunzig Diebstählen „dem Publicum einen Schaden von 1572 Gulden 31 Kreuzer zugefügt“, daß derselbe sich „von seiner diebischen Laufbahn weder durch die Hinrichtung seines Stiefvaters, noch durch den zu Heidenheim erstandenen Arrest habe abschrecken lassen.“
Wie der Schrecken der „Jauner“, so war der „Malefizschenk“ aber auch der Gegenstand ihrer haßerfüllten Rachsucht. Sie hatten ihm nicht allein sein schönes Schloß in Dischingen niedergebrannt, ohne daß er zu seinem Grimm die Thäter ausfindig machen konnte, sondern auch sein Lustschloß im Walde von Bach ausgeraubt und im Innern furchtbar verwüstet. Diesen Schaden verschmerzte er aber in dem Augenblick, da er einmal auf der Landstraße ein paar junge Strolche erblickte, deren Hosenzeug er als Stoff von dem Ueberzug seiner zerschlagenen Möbel in Bach erkannte. Er ließ sie greifen und kam damit richtig den Thätern auf die Spur. Sein Leben stand in steter Gefahr, und immer nur seine Wachsamkeit, seine Unerschrockenheit und Körperkraft rettete ihn davor. Nachts fuhr er einst im Vierspänner von einem Ball in Ulm zurück. Am Galgen vor dieser Stadt lauerten ein paar Gauner auf ihn, um ihn „kalt zu machen“. Der eine warf eine Handgranate in seinen Wagen, ohne daß sie jedoch Schaden anrichtete, da der Graf und sein Kutscher blitzschnell auf die Straße gesprungen waren; dann brachten die pfeilschnell dahinfliegenden Pferde Beide aus dem Bereich der Attentäter. Ein ander Mal erwarteten ihn drei entschlossene Kerle, als er von Sigmaringen kam, mitten auf dem Wege und fielen seinen Pferden in den Zügel; der Graf riß seinen Hirschfänger heraus und sprang unter sie, worauf der Schrecken sie doch in die Flucht jagte. Bei einer ähnlichen Gelegenheit nahm er mit eigener Hand drei Wegelagerer gefangen und brachte sie in seiner Kutsche nach Dischingen. In Laupheim überfiel er eine Spitzbubenhochzeit; die ganze berüchtigte Gesellschaft mußte ihm gebunden auf seinem eigenen Schlitten folgen; einer dieser Gauner hatte ihm noch durch einen Sprung aus dem Fenster, zwei Stock hoch herunter entwischen wollen, aber der Graf besann sich nicht lange, sprang hinter ihm her und packte ihn am Boden. Er wie sein Opfer hatten keinen Schaden bei diesem Fenstersprung genommen; im Uebrigen bekam es dem Gefangenen freilich schlecht, und er wird wohl die Leiter zum Galgen haben besteigen müssen.
Eine der ausgefeimtesten Diebinnen jener Zeit, der 1770er und 1780er Jahre, spielte ihm einen Streich, der ihm lange ein schweres Herzeleid bereitete. Wie gewöhnlich war er (1782) zum Geburtstag des Herzogs Karl von Württemberg nach Ludwigsburg geladen worden und dorthin gegangen, die Tasche tüchtig mit Gold gefüllt, um, wie gewöhnlich nach der Tafel, im Schlosse zu spielen. Den Zug des Hofes in die Capelle machte er, wie immer, in dem rothen, goldverbrämten Kleide seines Standes mit; in der Tasche des Galafracks befand sich die schwere Rolle mit Ducaten. So schritt er stolz durch die in den Gängen des Schlosses gaffende Menge, die ehrerbietig den gewaltigen „Malefizschenk“ grüßte. Beim Gottesdienst aber, als er seine Dose hervorholte, merkte er zu seinem Entsetzen, daß ihm die Ducatenrolle in der Tasche fehlte. Er war außer sich darüber, namentlich weil er nun nicht spielen konnte und er außerdem von den Hofleuten gefoppt wurde. Seine Ehre schien ihm tief verletzt, denn die Hofleute wollten den Diebstahl nicht recht glauben. Alle seine Vigilantenmacht bot er deshalb auf, um den Spitzbuben, der ihm dies angethan, in seine Gewalt zu bekommen. Als er ausgekundschaftet, daß die sogenannte schwarze Liesel sich um diese Zeit in Ludwigsburg umhergetrieben, ließ er den Verdacht nicht ruhen, daß diese vielbekannte Diebin ihre Hand in seine Tasche habe fahren lassen. Fünf Jahre lang verfolgte er ihre Spur, bis er endlich des verschmitzten Weibes wirklich in Baiern habhaft wurde. Mit triumphirender Miene empfing er sie in seinem Zuchthaus zu Dischingen und ließ sie dann so hartnäckig inquiriren, daß sie die ganze Geschichte ihrer letzten zwanzigjährigen Verbrecherlaufbahn haarklein gestehen mußte, aber von dem Taschendiebstahl in Ludwigsburg wollte sie durchaus, zum höchsten Kummer des Grafen, nichts einräumen. Ihr Proceß endigte aber ohnedies mit einem Todesurtheil. Als der Graf selbst es ihr im Gefängniß verkündigte, redete er ihr noch einmal ernstlich wegen der ihm gestohlenen 1700 Gulden in Ducaten und Maxd’or in’s Gewissen und setzte hinzu: „Wenn sie jedoch in die Ewigkeit übergehen wolle mit der Schuld auf dem Gewissen, daß sie ihn vor dem ganzen Hof in Unehre gebracht habe, so möge sie es auf sich nehmen.“ Die schwarze Liesel gestand nun erst recht nicht. Erst später legte sie ihrem Beichtvater ein vollständiges Bekenntniß ab und gab an, daß sie die Ducaten in einem Schächtelchen im Ludwigsburger Arsenal, wo sie durch die Kanoniere Eingang fand, unter einem Haufen Kanonenkugeln verborgen und gelegentlich immer davon genommen habe. Man fand in der That noch einen Rest des Geldes am bezeichneten Orte, und nun ließ sie der „Malefizschenk“ mit Ruhe an seinen Galgen henken.
An siebenzig Jahre alt, war der Graf noch immer ein gewaltiger Herr, „dessen Stimme wie Donner schallte“, als das Schlimmste sich ereignete, was er sich jemals hätte vorstellen können. Napoleon räumte mit fast allen kleinen Herrschaften im schwäbischen Kreise auf, um Baden, Baiern und vorzugsweise Württemberg damit zu vergrößern, und so wurde auch Graf Schenk von Castel im Jahre 1806 aus einem deutschen Reichsgrafen ein Vasall des neuen Königs von Württemberg. Dies ging dem stolzen Herrn schon sehr nahe, und er fügte sich mit schwerem, innerem Groll in dieses Schicksal am Ende seiner Tage. Aber der härteste Schlag war dies noch lange nicht; denn die neuen Verhältnisse änderten zunächst wenig in der Justizherrlichkeit des „Malefizschenken“. Nach wie vor führte er seine Processe, bevölkerte er sein Zuchthaus und ließ köpfen und henken in Dischingen, „pardonnirte“ auch Manchen wie sonst. Wohl vierzig Jahre lang hatte er dieses Ehrenamt nun schon versehen und glaubte nicht anders, als desselben auch bis an seinen Tod mit Ehren walten zu können.
Da traf ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel im Jahre 1808 ein Rescript des Königs Friedrich von Württemberg, welches dem Grafen von Schenk alles Recht absprach, der höchsten Staatsgewalt zuwider, eigenes Gericht zu führen. Ein Amtsverweser des Königs wurde nach Dischingen geschickt, nicht allein um die Zuchtanstalt daselbst aufzulösen und den Gerichtsbarkeiten des „Malefizschenk“ ein Ende zu setzen, sondern auch um eine Untersuchung gegen denselben zu führen, wegen der „würklich schreienden Ungerechtigkeiten und über alle Begriffe gehenden Unordnungen, Willkürlichkeiten und Verzögerungen“ bei der dortigen Verwaltung der Criminal-Justiz. Das war dem alten Grafen denn doch zu viel. Er konnte zwar dem Hoheitsrecht Württembergs nichts entgegenstellen, aber er richtete sich in seinem ganzen reichsgräflichen Stolze auf, um gegen die Schmach einer solchen Untersuchung zu protestiren.
König Friedrich, „der alte König“, wie man ihn nannte, verstand indeß in dieser Beziehung gar keinen Spaß; einen Vasallen in seinem Hochmuthe zu ducken, ließ er aus dem Grundsatze, daß er allein der Staat sei, am wenigsten sich nehmen. Er hielt deshalb die Untersuchung gegen den Grafen aufrecht, und derselbe mußte sich wegen einer Menge Anklagen von Mißbrauch seiner Gewalt verantworten, wie sie die Denunciation gegen ihn geschleudert hatte. Zum großen Theil mit Unrecht, wie der Graf nachwies. Selbst die Sträflinge, die in seinem Zuchthause gesessen hatten und die man deswegen – zur schwersten
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_386.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2019)