Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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Freude am Leben so voll und rein auf uns herniedersenkt, wie ein heiterer sonniger Traum – so lange eben die Sonne lacht. Ja, so lange die Sonne lacht und die waldigen Höhen zu fröhlichen Bergfahrten einladen oder auf den Badepromenaden sich ein buntes Kaleidoskop frisch pulsirenden Lebens entwickelt, das uns auf Schritt und Tritt in wallenden Locken, freundlichen Grüßen und vielsagenden Blicken aus allen Gängen der Anlagen entgegenblitzt.
Aber wenn eines Morgens die Sonne nicht mehr lacht, wenn am Nachmittage der Himmel erst sanft und leise einige Tropfen herniedersendet aus seiner Höhe, um dann in Strömen herabzugießen, was er an Wasserüberfluß besitzt – zwei – drei und vier Tage lang, daß man keinen Hund hinausjagt in die sonst prächtigen Berge, und wenn man Tag für Tag auf das enge Stübchen beschränkt ist mit dem wackligen Schreibtische und der stets eingetrockneten Tinte, und die Briefe der Angehörigen von Hause oder die Zeitungen zum zweiten und dritten Male durchlesen sind und schließlich die Langeweile aus allen Ecken und Enden der vier Wände grinsend auf uns herniederschaut – was dann – was dann?
Für diese langathmigen und deprimirenden Stunden giebt es nur ein Mittel das Gespenst des Ennuyirtseins zu vertreiben – eine gute, anregende Lectüre. Eine Reihe passender Schriften dazu vorzuschlagen, ist der Zweck dieser Zeilen. Aber der Arzt hat ausdrücklich – auch bei geistiger Speise – nur leichte Kost für die Zeit der Cur verordnet, und so wollen wir dieser Ordre gemäß auch nur leichte, aber frische und wohlschmeckende Speisen auftischen.
Das novellenlesende Publicum machen wir zuvörderst auf die bekannte Brigl’sche Reisebibliothek aufmerksam, welche in reicher Auswahl und zu dem billigen Preise von ein Mark per Band kürzere abgeschlossene Erzählungen bringt, deren Verfasser zu den gerngelesenen Novellisten der Neuzeit gehören. Mützelburg, Friedrich Friedrich, Schlägel, Streckfuß und viele Andere lieferten Beiträge. Auch die kleine, jüngst entstandene humoristische Bibliothek: Tutti-Frutti von Siegmey liefert mancherlei Frisches und Pikantes.
Den Reisenden, welche ihre Sommerfrische in den österreichischen Bädern und Alpen abhalten und zum Schlusse die schöne Kaiserstadt an der Donau besuchen, möchten wir die „Wiener Spaziergänge“ von Spitzer dringend empfehlen. Spitzer ist – neben Stettenheim und den Gelehrten des Kladderadatsches – augenblicklich unbestritten der feinste Satiriker und Humorist und sein Witz von einer wahrhaft ätzenden und vernichtenden Schärfe. Wer davon getroffen wird, kann seine Knöchelchen im Schnupftuche nach Hause tragen. Keiner hat die Thorheiten der Zeit und namentlich die Wiener Zustände mit so viel Talent und geistiger Ueberlegenheit gegeißelt, wie dieser Autor, dessen scharfer Blick für alles Lächerliche, dessen Rücksichtslosigkeit, wo er Schlechtes findet, dessen trockener Humor und urkomische Vergleiche einen Reiz auf die Lachmuskeln ausüben, dem man unmöglich widerstehen kann. Ein herzliches Lachen aber soll ja schon halbe Gesundheit bedeuten, „also, meine Herrschaften – ein wenig Spitzer“.
Eine Specialität – wie Karlsbad selbst – ist der in der Nähe des dortigen Sprudels lebende Arzt Dr. Fleckles jun., den Lesern der „Gartenlaube“ und der Leserwelt überhaupt als pseudonymer Julius Walter hinlänglich bekannt. Auch er gebietet bei einem sprudelnden Humor über eine geistreiche Schalkhaftigkeit, die äußerst ergötzliche Pikanterien zu Tage fördert, und seine „Sprudelsteine“, die wir den zwanzig- bis dreißigtausend Badegästen, die jährlich die Tepelstadt besuchen, zur Animirung einer fröhlichen Badestimmung warm empfehlen möchten, enthalten wahrhaft blendende Skizzen und Schilderungen. Man lese nur die „Polnischen Juden im Bade“, „Die sterbende Saison“, „Karlsbad im Schnee“ etc.
Sein Witz und Humor aber werden noch überboten durch die feine Beobachtungsgabe, mit der er das Karlsbader Leben und die dortigen Gesellschaftsgruppen schildert, oder wie ein guter Maler mit flüchtigen Strichen wunderbar ähnliche Portraits der dort flanirenden Persönlichkeiten auf das Papier wirft. Hier tritt nicht nur der Humorist und Satiriker zu Tage – mit sittlichem Ernst und einer oft warmen, liebevollen Gestaltungsgabe werden uns Figuren vorgeführt, die in Körper und Geist mit photographischer Treue und scharf und plastisch wie in Erz gegossene Kunstwerke uns entgegentreten. Sein „Erinnerungsblatt an Dawison“, seine „Karlsbader Photographien“ und die in den neuen Sprudelsteinen abgedruckten „Todte und Lebende in Karlsbad“ sind nach dieser Richtung kleine Meisterstücke. – Für die hoffentlich wenigen Regentage der nächsten Zeit wird das vorläufig genug sein.
Der Krieg. III. (Mit Landkarte S. 373.) Es wird nun an der Zeit sein, einen Blick auf die Schauplätze zu werfen, auf denen die kommenden Ereignisse zunächst ihren Verlauf nehmen werden. An der Donau, und zwar an ihrem untersten Theile, wo, etwa zwanzig deutsche Meilen von der Pontus-Küste, die weitläufigen Delta-Landschaften mit ihren Sumpfflächen, Binsenwäldern und Dünenhügeln sich ausdehnen, trafen, wie in Nr. I. und II. berichtet ist, bereits am Tage nach der Kriegserklärung die ersten russischen Truppen ein. Galatz und Braila waren die Objecte dieser Vorrückung. Hier bildet die Donau, nach ihrer Schwenkung von Czernawoda ab, ihre nördlichste Ausbuchtung, indem sie kurz zuvor den Sereth und etwas weiter stromab den Pruth aufnimmt. Alles Land ringsum ist mehr oder weniger sumpfige Niederung, zumal zur Zeit der Hochwässer, wo der gewaltige Strom sich über die niedrige Lehmstufe des walachischen Ufers erhebt und das Tiefland stundenweit überschwemmt. In solchem Falle sind die rumänischen Uferstädte, wie Kalarasch, Oltenitza, Giurgewo u. A. m., übel daran, und daß diese Gefahr eine alljährliche sei, beweisen schon die eigenthümlichen Pfahlbauten – Wächterhütten auf hohen Pfeilern –, die sich aus dem Weidengebüsch erheben.
Weit günstiger gelegen ist die bulgarische Uferseite. Nur die Dobrudscha trägt ein kahles, ödes Gepräge – eine Landschaft ohne Bäume, nur meilenweite Grasung und darauf die Kegelhütten tatarischer Colonisten. Silistria selbst liegt auf flachem Gestade, dahinter aber trifft der Blick allenthalben bebuschte oder sonst im üppigsten Grün prangende Hügel, gekrönt von den verschiedenen Außenforts, von denen namentlich die Arab-Tabia einen guten Klang in der Kriegsgeschichte hat. Stromauf wird die Uferstufe immer höher. Im Allgemeinen ist sie kahl; die geradlinige Silhouette wird nur von Windmühlen in ganzen Reihen oder von türkischen Wachthäusern unterbrochen, die Städte und Ortschaften selbst aber tauchen stets aus dem bezauberndsten Gartengrün auf. Dies gilt namentlich von Rustschuk, mit seinen schimmernden Häuserterrassen, welche zwischen schattenden Laubkronen die Lehmböschung hinanklettern bis zur Höhe des „Sary Bair“, dem stark befestigten Castellberge.
Nicht minder pittoresk liegt Swistow mit seinem verfallenen Castellthurme, Nikopoli mit seinem dominirenden Uferkegel, dessen Rückenschanze weithin in’s walachische Tiefland auslugt. Widdin bietet bei weitem weniger Reize, ja die Stadt selbst, die im Uebrigen winkelig und in hohem Grade verwahrlost ist, wird durch den Donauwall und seine Bastionen nahezu ganz maskirt. Während nun das walachische Tiefland bis zum Gebirgswall der Karpathen nur mäßig aber constant ansteigt, baut sich die bulgarische Uferstufe rasch zu einer hohen Löß-Terrasse auf, tief durchfurcht von den niederströmenden Bergwässern des dahinter liegenden Balkan. Nahezu auf halbem Wege zwischen Strom und Kettenzug erstreckt sich eine dichtbevölkerte Vorzone mit den Städten Lowatz, Selwi, Tirnowa, Schumla und Bazardschik. Sie sind gewerbfleißige Orte, meist von Bulgaren bewohnt, und besitzen eine mehr oder minder interessante Geschichte. Tirnowa, die alte bulgarische Czarenstadt, war das einstige Bollwerk des Landes, Schumla ist das moderne. Auf dem Wege von Tirnowa durch den Felsenpaß von Jeniköj über die große bulgarische Meßstadt Eski-Dschumaija, trifft man auf den genannten Waffenplatz, dort, wo sich der große Balkanzug in zwei Aeste spaltet (in den Kudschuk- und Emineh-Balkan), eigentlich etwas östlicher und nördlicher hiervon, in einer weitläufigen Thalmulde.
Schumla ist keine Festung nach den gangbaren militärischen Begriffen, sondern ein Waffenplatz. Ein ganzer Kranz von Erdwerken und casemattirten Redouten umgiebt die offene Stadt, die namentlich von den umliegenden Höhen vortheilhaft vertheidigt zu werden vermag. Von hier führt auch der noch relativ gangbarste Paß über den Gebirgswall des Balkan, während sich die meisten der übrigen Communicationen in wilden Felslabyrinthen oder pfadlosem Waldesdickicht verlieren, bis zum jenseitigen Steilhange, von dessen Kante man nahezu allerorts auf die weiten Thal- und Plateaulandschaften Thraciens hinabblickt. Von Schumla ostwärts, der heutigen Bahnlinie entlang, gelangt man, anfangs durch wilde Thalschlucht, später durch sumpfige Niederung, nach Varna, dem zweitwichtigsten Punkte des sogenannten bulgarischen Festungsviereckes Silistria-Rustschuk-Schumla-Varna.
Was heute in Varna, der Küstenstadt, fortificatorischen Werth hat, ist das Werk Blum Paschas, eines Preußen, der gleich seinen hochgestellten Cameraden Grunewald Pascha, Strecker, Malinowski etc. sich für die Entwickelung des türkischen Artillerie- und Geniewesens sehr verdient gemacht hat. Varna liegt überdies von Constantinopel nur vierzehn Stunden Seefahrtzeit entfernt, und da die Türkei durch ihr Flottenmaterial das Schwarze Meer vollkommen beherrscht, ist dieser Seeweg eine Nachschubslinie von keineswegs zu unterschätzendem Werthe. Freilich würde eine strategische Bahn, etwa zwischen Schumla und Adrianopel, die heute nur bis Jamboli am Südfuße des Balkan zieht, ungleich werthvoller sein, aber die Pforte hat so lange an den ausgeführten Tracirungsplänen gemäkelt, bis es zu spät wurde und es vorderhand bei den unwirthlichen Karawanenwegen bleiben mußte.
„Von dieser Stelle sagt die Mär’,
Daß hier der See so tief,
Ja, daß er unergründlich wär’,
Weil dort der Seegott schlief’.
Auffährt er dann und grollt und schreckt.
So sagt die Mär’. Geliebte, sprich
Macht Dir die Tiefe bang?“
„Wohl ist der Abgrund fürchterlich,
Wie leicht man solche Tiefe mißt
Und Eins nur unergründlich ist.“
Da schauen sie einander an
Und wissen’s ganz genau:
So heilig wie die Frau.
Das tiefste Meer ist nirgendwärts
So unergründlich wie das Herz.
Kriegsbilder. Wir können unsern Lesern zum Schluß noch die angenehme Mittheilung machen, daß Original-Aufnahmen vom Kriegsschauplatze nunmehr von unsern Zeichnern eingetroffen sind, und werden wir die Veröffentlichung der interessanten Illustrationen in nächster Nummer beginnen.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_376.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)