Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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und Stadtverordnete Streckfuß, und last but not least Julius Rodenberg, der Redacteur der so rasch emporblühenden „Deutschen Revue“. Den Schluß bilden die drei geistreichen Damen, Frau Remy, Schweichel und Glaßbrenner-Peroni[WS 1], die berühmte Lehrerin der dramatischen Kunst, aus deren Schule die ersten Talente unserer Zeit, Frau Charlotte Wolter, Seebach, Gabillon etc. hervorgegangen sind.
Der Polizeicommissar kam.
„Herr Geheimrath?“
„Haben Sie einige Leute zur Hand?“
„Ein paar Wachtmeister.“
„Wenn Herr Hornemann, den ich hierher gebeten habe, bei seinem Weggange ohne meine Begleitung den Corridor draußen betritt, so verhaften Sie ihn und halten ihn bis zum Eintritte der Dämmerung“ – er sah nach der Uhr –, „also eine Stunde etwa, hier zurück! Bewachen Sie ihn im Sitzungszimmer! Später schaffen Sie ihn ohne Aufsehen in’s Polizeigefängniß hinüber!“ –
Karl Hornemann befand sich mit einem der Stadtdiener auf dem Wege zum Rathhause. Wo der Weg vom Canal abbog, holte ihn ein Mann in Bauernkleidung ein, keuchend vom Lauf, die hohen Stiefel mit Koth bespritzt.
„Ich habe etwas an Sie abzugeben, Herr Hornemann.“
„Ah!“ sagte der Pascha, der den Mann zu kennen schien. „Was giebt es denn?“
Er brach ein Schreiben auf und erblickte die großen Schriftzüge Harro’s:
„Hurrah! die Drachenköpfe sind billig wie die Brombeeren. Wenn Du noch einen Funken Liebe für mich hast, so lade mich zu Eurem Tanze! Es zuckt mir in den Beinen. Hier bin ich; ich kann nicht anders. Gott helfe mir, Amen! Grüße Deine wunderschöne Schwester und sage ihr, die Zigeuner wären auch wieder da. Gegeben im Hospitium der Erlenfuhrt. H…o.“
Der Pascha, dachte nach.
„Einen Gruß von mir, und das Weitere würde sich finden.“
Er riß, während der Bote sich entfernte, das Schreiben in Streifen und Stückchen, that die paar Schritte zum Wasser und warf die Papierstückchen in den Canal. Der feuchte Thauwind streute sie wie einen Schwarm weißer Tauben aus einander, ehe sie niederfielen.
Die beiden Löwen zu den Seiten der breiten Rathhaustreppe glotzten ihn tückisch an, und als er durch den Säulenschmuck des Vestibüls der inneren Treppe zusteuerte, begegnete er Donner, der ihn mit zweideutigem Lächeln begrüßte. Desto verbindlicher war der Empfang, den er bei dem Geheimrath fand. Der Gegensatz der beiden Männer, die in dem schon nicht mehr ganz hellen Raume Aug’ in Auge einander gegenüber saßen, war interessant genug, – hier der Volksmann mit seiner zwanglos originellen Erscheinung, der diesmal jedoch gegen seine sonstige Art das Käppchen in der Hand hielt, dort der weltmännisch feine, tadellos modern gekleidete Vertreter der Regierung.
„Wir sind in gewissem Sinne Gegner, Herr Hornemann,“ begann der Geheimrath lächelnd, „obwohl unsre Ziele im Grunde auf das Nämliche hinauslaufen: das Wohl unsres gemeinsamen Vaterlandes. Mir persönlich scheint dasselbe am besten verbürgt durch die größtmöglichste Achtung vor den staatlichen Einrichtungen und Gesetzen, einen starken einheitlichen Staatswillen, der in der Person des Herrschers verkörpert ist, ein tüchtiges Beamtenthum und ein gut geschultes, schlagfertiges Heer. Sie dagegen suchen das Heil vielleicht in einer deutschen oder preußischen Republik, in einem steten Ringkampf aller Individuen, um ihrem Eigenwillen die möglichste Geltung zu verschaffen –“
„Erlauben Sie mir, den Gegensatz schärfer zu präcisiren!“ fiel der Pascha wie unwillkürlich ein; „Sie unterscheiden anders oder sollten es wenigstens correcter Weise thun; sie haben hier einen Herrscher, der zum Befehlen geboren ist und dessen Werkzeuge eine Militärmacht und ein Beamtenthum bilden, und dort so und so viel Unterthanen, welche zum Gehorsam geboren sind; ich dagegen kenne nur eine Summe freier Staatsbürger, welche kraft angebornen Menschenrechts sich selbst befehlen und sich selbst gehorchen. Uebrigens bin ich mit einem Bunde constitutioneller deutscher Staaten zufrieden. Für das Ideal einer Republik sind wir weder intellektuell noch moralisch reif; die Republik würde die Unordnung sein.“
Wieder lächelte der Geheimrath, fein, wie ein Diplomat lächelt.
„Ich halte mich an Ihre letzte Aeußerung; Sie sind ein Freund der Ordnung: reichen Sie mir Ihre Hand und helfen Sie mir, Unordnung zu verhüten! Das Schicksal der schwebenden Fragen wird jedenfalls nicht hier, sondern in Berlin entschieden, und es würde nicht das Mindeste zu dieser Entscheidung beitragen, wenn hier durch einen öffentlichen Tumult für die eine oder andere Anschauung plaidirt würde. Wir haben die Macht, die Ordnung wieder herzustellen; der ganze Ertrag wäre Blut, Leichen, volle Gefängnisse, Familienunglück, dessen Spuren erst eine lange Reihe von Jahren verwischen würde. Sie sind ein verständiger und gemäßigter Mann, kein demagogischer Brausekopf, und ich weiß, daß Ihr Einfluß auf Ihre Partei groß ist; wollen wir Beide uns verbinden, um die Ruhe dieser Stadt zu schützen?“
Er hielt dem Pascha die Hand hin.
Der Ton, welchen der Geheimrath angeschlagen, konnte dem Pascha gegenüber nicht bestrickender gewählt werden. Er wirkte süß benebelnd wie Opium. Aber Karl Hornemann war bei aller Gemüthstiefe ein zu fester Charakter, um sich länger als ein paar Secunden dem ersten Eindruck zu überlassen; seine Hand zuckte, aber sie ließ das Käppchen mit der Troddel nicht los.
„Ich könnte nicht einschlagen, wenn ich auch für meine Person nicht abgeneigt wäre es zu thun. Ich stehe nicht über der Partei, sondern in der Partei; ich bin nur einer der Nervenknoten, in denen das geistige Streben einer großen Menge sich concentrirt. Mehr zu sein, wäre undemokratisch. Will meine Partei die Revolution, so werden Sie mich auf den Barricaden sehen; nur werde ich nach Kräften zu verhindern suchen, daß man zur Unzeit aufsteht. Jeder andere Weg muß zuvor abgeschnitten und das Resultat voraussichtlich ein Erfolg sein.“
Der Geheimrath erhob sich.
„Sie können mir Ihr Ehrenwort nicht geben, daß Sie mit allen Kräften für die Verhütung von Excessen auf Seiten Ihrer Partei einstehen wollen?“ fragte der Beamte ein wenig kühler.
„Nein,“ sagte der Pascha fest.
„Dann bedaure ich, Sie bemüht zu haben.“
Der Geheimrath winkte verabschiedend, und Karl Hornemann verneigte sich ein wenig steif und verließ das Cabinet.
Draußen auf dem Corridore empfing ihn Donner.
„Wollen Sie die Güte haben, mir zu folgen, Herr Hornemann?“ sagte er spöttisch.
Der Pascha warf ihm einen langen Blick zu, in dem sich Ueberraschung malte.
„War es so gemeint?“ versetzte er endlich. „Wohlan, ich will Ihnen Ihren Triumph durchaus nicht trüben.“, Und er schritt an dem Commissar vorüber in die Thür, welche dieser aufstieß.
Einige Minuten später übergab der Geheimrath einem der Schreiber einen Brief mit der Weisung, ihn auf die Post zu schaffen.
„An das königliche Militärkommando zu X.“ las der Schreiber, als er den Corridor hinunter ging.
Die Verhaftung Karl Hornemann’s hatte eine Wirkung, wie sie der Geheimrath Rehling so überraschend und so mächtig nicht erwartet hatte.
Der Zufall wollte es, daß eine Anzahl Arbeiter im Vorbeigehen an der Tracht den Mann erkannte, vor welchem der
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Glaßbrenner-Paroni
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_370.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)