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Seite:Die Gartenlaube (1877) 357.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

No. 22.   1877.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Im Himmelmoos.
Von Herman Schmid.


1.


In den baierischen Bergen – wir wollen den Ort nicht näher bezeichnen – liegt ein kleines reizendes Thal – da heißt es „im Himmelmoos.“

Der Name stammt von einem Moospflänzchen, dessen flachsblaue Blumen an die Farbe des Himmels erinnern und das dort einmal den ganzen Boden so dicht überdeckte, als wäre ein riesiger Teppich ausgebreitet oder als spiegele das Firmament sich auf dem Grunde wieder, wie auf einer Wasserfläche. Heute ist die Pflanze längst verschwunden, aber der Name blieb. Jetzt ist überall fester Boden und üppig grünende Wiese, wo früher der nahe liegende Bergsee sich heran gedrängt. Es ist, als habe das Gebirge absichtlich seine Flanken nach rechts und links wie Arme ausgebreitet, um von den Fruchtbäumen und dem aus ihnen emporragenden Hausgiebel jeden Windstoß oder rauhen Luftzug abzuhalten – darum blühen in dem kleinen Thalwinkel die Kirschbäume früher und tragen süßere Frucht als draußen am See, und wenn gegen das Dorf zu noch der Schnee liegt und kaum der Eisbart an den Dachrinnen zu tropfen beginnt, ist es bei dem Bauern im Himmelmoos schon „awer“ (aper, schneefrei); der Abhang ist wie überschüttet von Schneeglocken, Maßliebchen und Schlüsselblumen.

Der Himmelmooser Hof ist ein schönes, stattliches Bergbauernhaus, um so reiner in der alten Form derselben erhalten, als keine Straße, sondern nur ein durchaus nicht verlockender Feldweg zu ihm führt, er also fern und seitab von der großen Strömung liegt, welche Alles, was ihr im Wege steht, stürzt oder abschleift oder durch Unterspülung von selber fallen macht. Dennoch unterscheidet sich das Gebäude von den Wohnungen der gewöhnlichen Bauern dadurch, daß es an der Ecke der Vorderseite einen runden, erkerartigen Vorbau zeigt, der, bis zum oberen Stockwerke emporsteigend, dort wie ein Thurm mit einem eigenen Kuppeldache abschließt und so dem ganzen Gebäude, zumal von ferne gesehen, die Eigenart einer Capelle oder eines Klösterleins verleiht. Auch die Abgelegenheit des Ortes und seine fast lautlose Stille unterstützen den Eindruck, wer aber, dadurch verlockt, näher kommt, dem werden die Klosterbilder bald verschwinden vor denen einer frischen, allseitigen Thätigkeit, eines lustigen Fleißes, dem die Arbeit nicht eine lästige Nothwendigkeit, sondern ein Bedürfniß der Kraft ist, die sich in ihrem Schaffen erproben und sich selbst genügen will. Wenn auch der vielleicht erwartete weichliche Weihrauchduft verflattert, weht dafür die gesunde kräftige Bergluft, der frische Athemzug einer fest gegründeten und deshalb von Freude und Friede überströmenden Häuslichkeit.

Das war nicht immer so. Als der Himmelmooser, dessen Kopf und Bart bereits aussehen, als wäre er durch den Reif einer kalten Winternacht gewandert, noch einen braunen Krauskopf trug, da war es eine Zeit lang, als sei das Glück und der Friede des Hauses mit den Schwalben auf die Wanderschaft gegangen.

Damals, an einem schönen Spätsommertage, ging es „Im Himmelmoos“ ganz besonders lebhaft her. Wagen um Wagen voll Grummet rollte auf die Tenne, um die Viertel der riesigen Scheune mit ihren duftenden Schätzen zu füllen; im Obstgarten ging es emsig daran, die früher reifenden Arten von Aepfeln und Birnen zu „brocken“, damit sie nicht abfielen und schadhaft würden; an der Hausecke aber stand ein leichtes Baugerüst, und ein paar Maurergesellen waren beschäftigt, den Erkerthurm aufzuführen, mit welchem der Bauer seinen Hof verschönern wollte. Schon stieg die Grundmauer aus dem Boden hervor; große Haufen von Sand und Ziegelsteinen waren daneben aufgeschichtet, und unweit der Seitenthür des Hauses qualmte aus einer großen, mehr als mannstiefen mit Brettern ausgeschlagen und mit einem Bretterrande versehenen Grube der Dampf des gebrannten Kalkes empor, der, mit dem aufgegossenen Wasser kämpfend, seine flammenlosen Gluthen löschte. Von allen Seiten regte und rührte es sich, und als vom Hausdache her das Mittagsglöcklein rief, wollte die Reihe der Ehehalten, der Arbeiter und der für den Obstgarten gedungenen Kinder gar kein Ende nehmen.

An allen Ecken und Enden aber, wo sich etwas regte und rührte, war auch eine hagere kräftige Männergestalt sichtbar, welche von einem Arbeitsplatze zum andern wanderte, um zu überwachen und anzuordnen, was nöthig war oder schien. Die Arme und Hände über dem Rücken zusammengelegt, schritt der Mann meist schweigend hin und wieder; die Blicke, die er herum sandte, schienen für Alle eine genügende Aneiferung zu sein. Wenn er sich nur von ferne zeigte, flogen die Heugabeln mit ihren Bürden noch einmal so schnell, die Obstkörbe füllten sich wie durch Zauber, und das Gemäuer stieg, als ob es von selbst aus der Erde wüchse. Der Anblick des Alten hatte wohl etwas an sich, was diese Erscheinung erklärte. Er war ein hochgewachsener, stattlicher Mann, aber Alles an ihm war knochig und scharf und ward es noch mehr durch die eckige Raschheit seiner Bewegungen. Mit der von Arbeit und Wetter gebräunten Farbe hatte er das Ansehen eines knorrig gewordenen Eichstammes, der, wenn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_357.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)