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Seite:Die Gartenlaube (1877) 356.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


um etwas Holz für den Herd zu spalten; da sei sie von ihrem Krankenlager aufgesprungen, aus der Kammer geschlüpft, und als eine halbe Minute später ihr Sohn zurückgekehrt, da sei das Gift schon in der Pfanne gewesen und sie wieder auf ihrem Krankenlager. Als sie dann weiter gesehen habe, welche Wendung die Dinge nahmen, da habe sie wohl ihre unselige That tausendmal verflucht, und doch habe die entsetzliche Furcht vor dem Tode sie immer und immer abgehalten, durch ein Geständniß das Leben und die Ehre ihres Sohnes zu retten. –

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich diese Nachricht in der ganzen Stadt. Der alten Mörderin war der Proceß nicht mehr zu machen, denn wenige Stunden schon nach ihrem Geständnisse stand sie vor dem höchsten Richter über alle Welten, aber die Ehre des unschuldig Gerichteten sollte, soweit dies möglich, wiederhergestellt werden. Seine Leiche wurde aus dem ‚Verbrecherviertel‘ in den Friedhof übergeführt, dahin, wo auch andere ehrliche Menschen den ewigen Schlaf schlafen. Ein unabsehbares Geleite folgte dem Todten, und die ganze Stadt bemühte sich, ihm die letzte, die verdiente Ehre zu erweisen. Als die Menge sich nach dieser Trauerfeierlichkeit verlaufen hatte, knieten noch zwei junge Frauen betend vor dem frisch aufgeworfenen Hügel; es waren die beiden Freundinnen, in deren Gesellschaft der Unglückliche seinen letzten Tag verlebt hatte. –

Das ist die Geschichte, und darum werde ich immer bis in die Seele hinein traurig, wenn ich für die Beibehaltung der Todesstrafe streiten höre; als ob es nicht hundertmal besser wäre, zehn Schuldige zu milde zu bestrafen, als auch nur einen Unschuldigen seines Lebens und seiner Ehre für immer zu berauben!“ Mit diesen Worten beschloß der Architekt seine Geschichte; die ganze Gesellschaft hatte mit tiefer Theilnahme zugehört. Nun war jede weitere Diskussion abgeschnitten. Alle schienen es zu fühlen: Wozu noch Argumente suchen, wenn sie mit so furchtbarer Klarheit schon vor Augen liegen?

Balduin Groller.


Blätter und Blüthen.

Die Farbenblindheit in der Schule. Die Farbenblindheit, auf welche in neuester Zeit mehrfach die allgemeine Aufmerksamkeit gelenkt worden ist, vermag bekanntlich für die mit diesem Fehler des Gesichtssinnes Behafteten recht unangenehme Folgen herbeizuführen, falls dieselben in den Eisenbahndienst einzutreten oder ihr Brod als Seeschiffer zu erwerben beabsichtigen. Es dürfte daher ganz zeitgemäß und als eine den Betreffenden erwiesene Wohlthat erscheinen, wenn schon die Schule in gewissen Zeiträumen Untersuchungen auf die Farbenblindheit vorzunehmen sich bewogen fühlen wollte, damit in den Farbenblinden bei Zeiten die nothwendige Selbstkenntniß eintritt, und dieselben von der Wahl eines für sie unmöglichen Berufes abgehalten werden. Diese Erwägung hat den Unterzeichneten veranlaßt, im Vereine mit mehreren Collegen in den oberen Schulclassen unserer kleinen, aber bedeutenden Seestadt eine Prüfung auf Farbenblindheit vorzunehmen. Ich erlaube mir, das dabei Beobachtete in Kürze mitzutheilen.

Die Untersuchung geschah vermittelst handgroßer Zettel bunten Papiers, welche alle Farben des Regenbogens und noch einige Mischfarben trugen. In Betracht kamen von den vorhandenen fünfzehn Schulclassen mit achthundertsechszehn Zöglingen nur die obersten acht, worunter fünf Knaben- und drei Mädchenclassen. Bei jüngeren oder geistig weniger entwickelten Kindern trifft die Untersuchung auf bedeutende Schwierigkeiten, da Kinder die Farben verhältnißmäßig sehr spät und sehr schwer kennen und unterscheiden lernen. Selbst bei den älteren bedurfte es oft wiederholter Versuche, um ganz sicher zu gehen; bei einigen konnte überhaupt kein sicheres Resultat erreicht werden. Sie bezeichneten diese oder jene Farbe ganz richtig, schienen aber bei späterem Vorzeigen über dieselbe Farbe durchaus nicht im Klaren zu sein.

Als sicherstes Zeichen einer theilweisen Farbenblindheit glaubte ich die Unsicherheit betrachten zu müssen, mit welcher Einzelne, nachdem sie ohne Zögern Blau und Gelb richtig angegeben hatten, zu rathen, umherzutappen und sich zu widersprechen anfingen, sobald ihnen Roth und Grün vorgezeigt wurde. Einen solchen unsichern Passagier ließ ich an die Wandkarte von Europa treten und forderte ihn auf, ein blau colorirtes Land zu zeigen. Sofort wies er auf das dunkelblaue deutsche Reich, dann auf das wasserblaue Italien. – Nun ein gelbes! – Skandinavien – ganz richtig. Nun ein grünes! – Rath- und hülflos irrte der Zeigefinger von Land zu Land und haftete unschlüssig einen Augenblick auf dem etwas zweifelhaft dunkelgelb gefärbten Ungarn, eilte aber, durch die ausbrechende Heiterkeit der Mitschüler eingeschüchtert, sofort weiter und blieb mit großer Sicherheit auf dem – ziegelrothen Britannien stehen. Als ich darauf ein rothes Land zu sehen verlangte, wurde mir mit beneidenswerthem Selbstgefühle das – erbsengrüne Dänemark gewiesen.

Untersucht wurden hundertzweiundsechszig Schüler im Alter von sechszehn bis zehn Jahren und hundertdreiundvierzig Schülerinnen. Unter den Knaben wurden vier Farbenblinde (zweieinhalb Procent) vorgefunden, darunter ein gänzlich Farbenblinder, der nur Weiß und Schwarz, Hell und Dunkel, nicht aber Blau und Gelb, Roth und Grün zu unterscheiden vermochte, und drei Rothblinde, die wohl Blau und Gelb, nicht aber Roth und Grün unterscheiden konnten. Blaublinde schienen nicht vorhanden zu sein.

Höchst merkwürdig mußte es erscheinen, daß unter sämmtlichen hundertdreiundvierzig Mädchen kein einziger Fall von Farbenblindheit constatirt werden konnte. Diese Thatsache ist ganz geeignet, um sozusagen stutzig zu machen. Nur durch umfangreichere Beobachtungen wird dargethan werden können, ob das weibliche Geschlecht an diesem Fehler des Gesichtssinnes weniger oder gar nicht zu leiden habe. Denn die Behauptung, daß derselbe, wie Manche wollen, lediglich auf einer Täuschung beruhe, die durch eine gewisse Gleichgültigkeit des männlichen Geschlechts gegen die Farbe hervorgerufen sei, wird schon durch die eigenthümliche Erscheinung der theilweisen Farbenblindheit widerlegt. Warum sollte ein Mensch, der gegen die blaue und gelbe Farbe nicht „gleichgültig“ ist, gerade der rothen und grünen Farbe gegenüber sich gleichgültig verhalten und nichts von ihnen wissen wollen?

D. in B.


Einen erfreulichen dramatischen Erfolg hat unser geschätzter Mitarbeiter Friedrich Helbig am 3. d. M. mit seinem literar-historischen Lustspiele „Die Komödie auf der Hochschule“ im Neuen Theater zu Leipzig errungen. Das Stück, in dessen Mittelpunkte die feingezeichnete Gestalt des Mathematikers und Epigrammendichters Kästner steht, stellt den reformatorischen Geist des vorigen Jahrhunderts im Kampfe mit den Ueberlieferungen eines in sich selbst zerfallenen, verknöcherten Gelehrtenthums in dramatisch wirksamer Weise dar und erntete den warmen Beifall des Publicums. Wir können diesen Erfolg des liebenswürdigen Freundes unseres Blattes nicht ohne den Wunsch registriren, daß „Die Komödie auf der Hochschule“ ihren Weg auch über die übrigen deutschen Bühnen machen möge.



Die Visitenkarte eines deutschen Künstlers.


Kleiner Briefkasten.

W. H. in W. Wir können von allen bis jetzt zur Versendung gekommenen Kriegskarten überhaupt nur zwei unbedingt empfehlen, die sich durch geschmackvolle Ausführung und Uebersichtlichkeit auszeichnen: die bei Mittler u. Sohn in Berlin erschienene, wahrscheinlich vom preußischen Generalstabe beaufsichtigte Greve’sche Karte, den europäischen und den asiatischen Schauplatz umfassend, und die von Hartleben in Wien ausgegebene größere Farbenkarte des europäische Schauplatzes. Daß die Flemming’schen, Meyer’schen und Perthes’schen Karten ebenfalls Vortreffliches leisten, ist selbstverständlich.

An alle Fragesteller, welche in medicinischen und gesundheitlichen Angelegenheiten unsern Rath in Anspruch nehmen, müssen wir die Bitte richten, dies stets nur unter Beifügung ihrer vollen Adresse zu thun, da, wie leicht zu ermessen, die Antworten sich nicht immer für eine öffentliche Beantwortung an diesem Platze eignen. – Zugleich allen anonymen und pseudonymen Einsendern von Manuscripten hiermit zur Nachricht, daß wir in Folge der schwierigen Zurücksendung solcher Beiträge von heute ab nicht mehr in der Lage sind, dieselben zur Verfügung der Autoren zu halten, vielmehr alle diese Einsendungen, soweit sie nicht zum Druck geeignet, dem Papierkorbe anheimgeben werden.


Zur Beachtung. Für die im Laufe des Jahres erscheinenden einzelnen Nummern unserer „Gartenlaube“ hat eine hiesige renommirte Buchbinderei einen

Sammelkasten

angefertigt, der in Form eines gebundenen Buches den beabsichtigten Zweck vollständig erfüllt und auch durch seinen äußeren Schmuck sich für jedes Zimmer eignet. Wir liefen denselben (inclusive Emballage) mit

2 Mk. 50 Pf.

und bitten etwaige Bestellungen bei den betreffenden Buchhandlungen aufzugeben.

Die Verlagshandlung der „Gartenlaube“.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 356. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_356.jpg&oldid=- (Version vom 15.8.2023)