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Seite:Die Gartenlaube (1877) 325.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

No. 20.   1877.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Eine schwarze Kugel.
Erzählung von A. Godin.
(Fortsetzung und Schluß.)


4.

Es war fast zwei Jahre später; im Hochsommer, als auf dem schönen Besitz der Familie Barner eine heitere Festlichkeit ausklang. Die Mutter hatte Nachbarn und Freunde zur Feier des siebenundzwanzigsten Geburtstages ihres Hermann geladen und zugleich das Erntefest begangen. Kurz zuvor war der reiche Getreidesegen welcher sich vom Strome hügelaufwärts zog, glücklich eingebracht worden, und dem Brauche gemäß, den der nun in Gott ruhende Stammherr ein Menschenalter hindurch geübt, ward das Schnitter- und Gutsvolk geladen, am Sonntag, welcher der Arbeitswoche folgte, auf dem grünen Uferplan einen Mittagsschmaus und ein Tänzchen zu genießen.

In diesem gedeihlichen Jahre fiel der Erntesegen so früh, daß die Wiegenfeier des jungen Gutsbesitzers mit dem ländlichen Feste vereinigt werden konnte. Nun war der laute Tag zur Rüste gegangen. Das Zelt aus Laubgewinden, auf dessen improvisirtem Bretterboden Dorf- und Stadtkinder in gleicher Fröhlichkeit getanzt und gesprungen, stand verlassen; die Gäste hatten sich zerstreut. Nur eine dem Hause Barner näher befreundete Familie war auf besondere Einladung der Hausfrau zurückgeblieben, nachdem sich der größere Kreis aufgelöst.

Die Gruppe saß auf der Terrasse, welche Haus und Garten verband und Ausblick nach dem das Grundstück begrenzenden Strome bot, und genoß mehr oder weniger, je nach Stimmung und Individualität, das eigenthümliche Behagen, welches nach geräuschvoller Lust so labend aus der Stille aufgeht. Schon war der Mond emporgestiegen; er stand gerade über dem nahen, dicht am Ufer gelegenen Dorfe, das von Bäumen überhangen wie in Schlummer hingestreckt erschien. Verlassene Nachen lagen am Ufer festgekettet, gegen dessen Böschung die plätschernde Welle leise schlug. Von jenseits des Wassers träumten die mit Gebüsch und Weinlaub umkränzten Berge herüber. Unwillkürlich wurde das Gespräch mit gedämpfter Stimme geführt; kein lauter Ton, kein Auflachen mochte zu den duftdurchströmten Schatten stimmen, die sich rings ergossen, hier und dort von Mondesglanz übersilbert.

Hermanns Nachbarin, ein schönes Mädchen, deren reiches Blondhaar in der schwankenden Beleuchtung der Windlichter wie Gold schimmerte, schien vom Zauber des Ortes und der Stunde ganz umsponnen zu sein; sie erwiderte dem jungen Wirthe nur kurze, vereinzelte Worte. In ihrem blauen Auge glühete jener Funke, der jugendliche Züge so wundersam durchgeistigt.

Als vom Dorfe das Aveläuten herüberklang, stand sie auf und trat bis zum Rande der Terrasse vor. Hermann sah ihr lächelnd nach und folgte ihr, von einem leuchtenden Blicke Frau Barner's begleitet. War es der Stolz der Mutter, der aus diesem Blicke sprach? Die Erscheinung des jungen Mannes, Haltung und Ausdruck hatten wesentlich gewonnen, seit wir ihm zuletzt begegneten. Zur jugendlichen Elasticität und Anmuth hatte sich Kraft gesellt, der schöne Jünglingskopf sich zu dem eines Mannes ausgeprägt. Als er neben dem schlanken Mädchen stand, sie kräftig überragend, erschienen Beide als ein erlesenes, wie für einander geschaffenes Paar. Dieser Gedanke mochte wohl auch in Denen aufsteigen, welche am Tische zurückgeblieben; die Mütter der beiden jungen Leute tauschten einen vielsagenden Blick.

Das Aveläuten, welches im Sommer von Monat zu Monat eine Stunde später erklingt, bis es mit den abnehmenden Tagen wieder aufwärts rückt, hatte an das Verrinnen der Zeit gemahnt, denn die Gäste mußten, um nach Hause zu gelangen, noch ein paar Stunden Nachtfahrt zurücklegen. So ließ man denn einspannen, und bald gaben Barners den Freunden das Geleit; als diese bereits im Wagen saßen, eilte Hermann, einem raschen Impulse folgend, in das Haus und brachte von dort einen der frischen Rosensträuße, welche die Tafel geschmückt hatten. Als die schöne Blondine ihn aus seiner Hand empfing, erröthete sie tiefer als das Herz der Rose, und einer jener Blicke, die aus dem Grunde der Seele empor zu tauchen scheinen, traf den jungen Mann.

Er schritt nachdenklich an der Seite seiner Mutter den kurzen Weg nach der Terrasse zurück, während das Rollen der Räder im Thale verklang. Als sich die Beiden an der vorigen Stelle niederließen, verlöschte ein plötzlicher Lufthauch das Windlicht; sie fachten es nicht wieder an, jedes von ihnen hing eigenen Gedanken nach, bis Frau Barner endlich halblaut sagte: „Hermann?“

Er rückte ihr näher, und strich leise über ihre Hand hin. „Dank für den schönen, stimmungsvollen Tag!“ sagte er herzlich; „nur Du verstehst es, ein Fest zu schaffen, das dem Gemüthe wohlthut.“

„Ein schöner Tag, ja!“ erwiderte sie zögernd; „und doch hat er nicht erfüllt, was ich im Stillen erhoffte: er möchte ein glücklicher Tag werden.“ Indem sie seine Hand erfaßte, fuhr sie wärmer fort: „Es giebt Dinge, so zart, daß man vielleicht nicht daran rühren sollte, aber – das Leben ist so kurz, das Glück so leicht versäumt – warum es nicht festhalten, wenn es dicht neben uns steht, uns so lieb und verheißungsvoll anblickt? Hermann willst Du mir nicht bald eine Tochter geben?“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_325.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)