Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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Mitgetheilt von Robert Keil.
Kein Heldenleben, sondern ein Dulderleben ist es, welches wir im Nachstehenden unsern Lesern vorführen wollen, das Leben eines armen Lehrers.
Von französischen Emigranten abstammend, wurde im Jahre 1779 im Dörfchen Taupadel bei Jena Friedrich Krauße als der Sohn eines Schulmeisters geboren. Vom dreizehnten Jahre an besuchte er das Gymnasium zu Weimar, wurde aber durch die damals übliche mechanische Unterrichtsmethode nur langsam gefördert. Zu einiger Fertigkeit gelangte er, wie er selbst gesteht, zunächst nur in Schelmereien. Bei seiner besondern Vorliebe für Geschichte und Geographie, seinem fleißigen Studium derselben und der eifrigen Lectüre guter deutscher Bücher gewann er aber doch allmählich eine ihn vor vielen Mitschülern auszeichnende geistige Bildung und war so in den Stand gesetzt, nebenbei durch Unterrichten kleiner Kinder in einigen Familien sich einen geringen Erwerb zu verschaffen, der ihn vor Hunger schützte.
Damals war Herder Präsident des Oberconsistoriums und Schulephorus zu Weimar. Durch Herder’s Söhne, seine Schulcameraden, war Krauße in Herder’s Wohnung und Garten eingeführt worden, und bei jenem rühmlichen Streben gelang es ihm, die Gewogenheit des großen Mannes in hohem Grade, zu erlangen.
Wohl erfüllte ihn die Sehnsucht, den akademischen Studien zu folgen, doch die ärmlichen Vermögensumstände seines Vaters erlaubten die Ausführung so kostspieligen Planes nicht. Im Jahre 1799 mußte er, neunzehn Jahre alt, sich bequemen, Landschullehrer-Substitut zu werden. Zwar wurde er durch die Gunst Herder’s, der ihn vor dem Versauern und Verbauern schützen wollte, in die Nähe der Residenz Weimar, nach dem Dörfchen Klein-Kromsdorf versetzt, wo er durch Empfehlung desselben auch Gelegenheit zu Privatunterricht erhielt; dennoch fühlte er sich, weil seinen Gönnern und Lehrern, seinen Freunden entrückt, nicht glücklich. Nach mancherlei trüben Erfahrungen, aber geschützt von dem freisinnigen, humanen Herder, wurde er nach Verlauf einiger Jahre als Schullehrer nach Frankendorf (zwischen Weimar und Jena) versetzt und hatte dort im Jahre 1806 die furchtbaren Leiden zu erdulden, welche die Jenaer Schlacht im Gefolge hatte.
Nach vergeblichen Versuchen, sich in Jena den höheren Studien zu widmen und nachdem er sich eine Zeit hindurch in Weimar als Schullehrer, Abschreiber und Concipient kümmerlich ernährt, ging er, zweiunddreißig Jahre alt, unter’s Militär. Es war im Jahre 1812. Der russische Krieg stand bevor; das Contingent Herzog von Weimar mußte gegen Rußland mit zu Felde ziehen. Auch unser Krauße trat den verhängnißvollen Marsch nach Rußland an. Durch Polen gelangte er bis nach Wilna und bis Oßmiana, jener Stadt, wo der von der Berezina kommende Napoleon, hätte er sich nur um eine Stunde verspätet, in die Hände der Russen gefallen wäre. Zugleich mit den elenden Resten der retirirenden grande armée, jener aus allerlei Nationen gemischten, jämmerlich anzusehenden disciplinlosen Masse, die sich bei gräßlichster Kälte und unter beständigen Verlusten auf wildem Rückzuge befand, kam Krauße nach Wilna zurück, wurde aber, als kurz darauf die Russen in Wilna eindrangen, auf der Flucht in der Nähe dieser Stadt von Kosaken verwundet und gefangen genommen. Mit tausenden von Leidensgefährten hatte er in einem Klosterhofe bei Wilna, dann aber in Wilna selbst und später auf dem Transporte bis Pleskow den unsäglichsten Jammer, das entsetzlichste Elend zu erdulden, bis er endlich in Riga seine Freiheit wieder erlangte.
Im Jahre 1813 aus der russischen Gefangenschaft in seine Heimath zurückgekommen, mußte er schon am dritten Tage nach seiner Ankunft in Weimar mit dem zweiten Landwehrbataillon nach Frankreich marschiren. Nachdem er auch aus diesem Feldzuge glücklich zurückgekehrt, wurde ihm das Amt des Inspektors der ersten Strafanstalt des Landes übertragen. Auch in dieser wichtigen Stellung wußte er mit treuer Pflichterfüllung und unermüdlicher, unverdrossener Thätigkeit echte Humanität zu verbinden. Das Leben hatte ihn gestählt, hatte die Kernnatur, die ihm innewohnte, zur vollen Ausbildung gebracht; seine Erfahrungen hatten ihn zu klarer Lebensanschauung und menschenfreundlichsten Maximen gelangen lassen. Von solchen Anschauungen geleitet, erfüllte er durch lange Jahre seine ernste Pflicht mit Milde; es war ihm auch ein Genuß, sich in die Tage der Jugend, die Zeiten seines Unglücks im Geiste zurückzuversetzen und in stillen Abendstunden die Geschichte seiner Jugend und insbesondere seiner Leiden in russischer Gefangenschaft niederzuschreiben.
Als das Alter herannahte, zog er sich nach dem Dörfchen Gaberndorf zurück, wo er eine Ziegelei erworben hatte. Hier, am Abhange des Ettersbergs, auf einem der schönsten Aussichtspunkte in Weimars Umgebung, verlebte er die Jahre des Alters, geehrt und viel besucht von seinen Freunden. Noch sehe ich ihn vor mir, den guten Alten, wenn ich, zur Bergeshöhe hinauf gewandert, bei ihm in die einfache Stube trat, deren Fenster die weite Aussicht über das Thal und bis hin nach den Bergen des Thüringer Waldes boten. Dort am Fenster saß er im Anblicke der frischen Frühlingsnatur, oder er durchmaß, hoher stattlicher Statur, Papiere aus längst vergangenen Tagen in der Hand, mit kräftigen Schritten das Zimmer.
So genoß er in stiller Beschaulichkeit den in voller, reicher Entwickelung prangenden Sommer, wie den Winter mit seinem Eise und Sturme und der blitzenden Schneedecke. So sah er von seinem Stübchen Tag für Tag, Jahr für Jahr die Natur in ewig schönem Wechsel sich verjüngen. Und war auch ihm selbst, dem Freunde der Natur, dem greisen Eremiten, keine körperliche Verjüngung beschieden – im Geiste war er jung und frisch geblieben, und mit dieser Geistesfrische lebte er seinen Erinnerungen, bis ein Tag kam, der ihm mit dem Leben auch die Erinnerungen auslöschte und den guten Alten auf dem Friedhofe des Dörfchens in die stille Gruft bettete.
In seinem Nachlasse fand sich das Manuscript seiner Lebenserinnerungen, seiner Jugend und seiner Erfahrungen und Leiden in russischer Gefangenschaft. Von seinem Enkel Robert Krauße, dem Leipziger Maler, wurde mir das Manuscript zur Bearbeitung übergeben. Mit besonderm Interesse habe ich diesen Auftrag übernommen – sind doch namentlich die Wilnaer Vorgänge fast furchtbarer und gewaltiger nochmals selbst die vorausgegangenen Ereignisse bei dem Uebergange über die Berezina, und giebt es doch in der gesammten auf den Feldzug von 1812 bezüglichen Literatur meines Wissens keine einzige Schrift, welche jene entsetzlichen Zustände und Vorgänge in so genauem Detail und so wahrheitsgetreuer und erschütternder Anschaulichkeit schildert, wie die Krauße’sche Aufzeichnung. Als ein Beitrag zu der Geschichte jener ewig denkwürdigen Tage wird von mir die Bearbeitung des Krauße’schen Manuskripts unter dem Titel „In russischer Gefangenschaft“ demnächst veröffentlicht werden. Aus der Lebensskizze, die ich dem Buche als Einleitung gegeben habe, und aus den russischen Tagen mögen folgende wenige Bruchstücke als anschauliche Bilder hier Platz finden. Lassen wir Krauße selbst von seiner Schulmeisterzeit, von Herder und dessen Schutz, von den Erlebnissen bei der Jenaer Schlacht und von den entsetzlichen Vorgängen in Wilna erzählen!…
Wurden auch, erzählt Krauße, während der Schulstunden in meinem Dörfchen Kleinkromsdorf durch die Beschäftigung mit den von mir geliebten Schulkindern die Grillen aus meiner Seele verscheucht, ja kehrte auch bisweilen Frohsinn in mein Inneres zurück, so fühlte ich mich doch nach den Schularbeiten einsam und gleichsam verlassen. Um das Drückende und Niederbeugende meiner Lage noch zu erhöhen, richteten sich auch Anfeindungen gegen mich von einer Seite her, von welcher mir Ermuthigung und Freude hätte kommen sollen. Unbekannt mit der damaligen Etiquette der Landgeistlichkeit, hatte ich nämlich versäumt, einem in der Nähe meines Dorfes wohnenden Geistlichen, der meine Schule alljährlich zu besuchen hatte, und der Gemahlin desselben meine Aufwartung zu machen, und damit einen Fehler begangen, der mich in verdrießliche Händel verwickelte und mir nie vergessen wurde. Von meiner Lehrweise nahm man den Stoff her, mich bei der geistlichen Oberbehörde zu verdächtigen. Mein Senior war ein Mann
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_316.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)