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Seite:Die Gartenlaube (1877) 287.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Freund Hausmann hat sich, seit eine Feuersbrunst vor Jahren mit einem bedeutenden Theile der Stadt seine Wohnung in Asche legte, ein stattliches Haus vor dem Thore gebaut; aus den Fenstern desselben genießt man eine Aussicht, die ihres Gleichen sucht. Von dem Kranze dicht bewaldeter Hügel und Berge, welche die Gemarkung Horn einrahmen, sieht man dort mehr als ein Drittheil, und jedenfalls das schönste Drittheil. Gen Süden ragen aus dem Waldgewirre ein paar steil abfallende Berge hervor, der stundenweiten Entfernung halber in Dust verschleiert. An sie schließen sich nach Westen zu in langgestreckten Wellenlinien, im Hintergrunde wieder von höheren Kuppen überragt, niedrigere Hänge, die sich an einem Punkte bis auf eine Viertelstunde der Stadt nähern. Gerade da aber, wo sie das thun, wird der Blick gefesselt von ein paar grauen Kolossen, die aus dem Blättermeere hervorlugen. Es sind die Externsteine (S. Jahrg. 1862, S. 381), jene Felsengruppe, in der der Sandstein, das Knochengerüst des Teutoburger Waldes, sich an die Oberfläche drängt.

In den paar Tagen, die ich bei Hausmann verweilte, habe ich diese Umgebung von Horn mit meinem freundlichen Wirthe fleißig durchstreift. Während das Auge sich labte an den in herbstlicher Farbengluth strahlenden Laubmassen, während die Lunge sich erfrischte auf den ozonduftigen Waldwegen, bot sich mir zugleich die willkommene Gelegenheit, mich über die Zustände und Schicksale des Fürstenthums Lippe zu orientiren und die Lücken meiner eigenen Kunde davon zu ergänzen. Hausmann ist damit ganz genau vertraut. Die mittelalterliche Justizverfassung des Ländchens gestattet es dem Richter, macht es ihm des spärlichen Gehalts wegen wohl auch nöthig, neben seinem richterlichen Berufe die advocatorische Praxis zu treiben. Natürlich nur außerhalb des richterlichen Bezirks. So ist denn Hausmann ein vielbeschäftigter Rechtsanwalt. In denjenigen Fällen, wo es darauf ankommt, mit Energie und ohne Rücksicht aufzutreten, wendet man sich aus den entlegensten Winkeln des Landes an ihn. Wer einen Proceß gegen die fürstliche Domainenkammer hat, kommt zu ihm. Wer irgend eine einflußreiche Person im Lande verklagen muß, ersucht den Stadtrichter von Horn, seine Sache zu führen. Daß den Bauern und den Gemeinden das Jagdrecht auf eigenem Grund trotz Flotten-Fischer und Oheimb und Flottwell auf processualischem Wege gerettet oder vielmehr wiedererobert wurde, ist Hausmann’s Verdienst. In den Tagen, in denen ich bei ihm war, kam durch Besuche oder einlaufende Briefe die Rede auf mehrere interessante schwebende Processe. Da hatte ihn um seine Hülfe ein Vater ersucht, dessen Knabe als Scheibengucker vom Sohne eines in Detmold sich aufhaltenden deutschen Generalconsuls a. D. zum Krüppel geschossen war und dem die gebotene Entschädigung von fünfhundert Thaler nicht genügend erschien. Da streitet er als Anwalt einer Bauerschaft gegen die fürstliche Domainenkammer, welche althergebrachte Holzlieferungen unter sonderbaren Vorwänden einstellen will. Auch jener merkwürdige Proceß, welcher bereits zu einem Kriege en miniature geführt hat und seiner Zeit im preußischen Abgeordnetenhause zur Sprache kam, ruht gegenwärtig in seiner Hand. Es ist die Sache des Colonus Romke bei Lippstadt, dem die Verwaltung des lippeschen Fräuleinstiftes daselbst einen am Flüßchen Glenne gelegenen Zipfel Weidelandes abstreitet und eines schönen Tages mit bewaffneter Mannschaft occupirte. Der streitige Zipfel Weideland liegt auf der Grenze der preußischen Provinz Westfalen und Lippes, und als die preußischen Gerichte unter Berufung auf den Grenzregulierungsvertrag sich für incompetent erklärten, wandte sich der preußische Colonus Romke an Hausmann, damit dieser seine Sache vor den lippeschen Gerichten führe. Hausmann hat, nachdem er sich an Ort und Stelle instruirt, den Proceß übernommen und bereits eine vorläufige für seinen Clienten günstige Entscheidung erstritten. Noch einen tieferen Einblick als die advocatorische Praxis hat dem Stadtrichter von Horn aber seine hervorragende Betheiligung an den Verfassungskämpfen des Landes in die Verhältnisse desselben verstattet.

Diese Kämpfe haben ein volles Vierteljahrhundert gedauert. Sie kamen vor das Forum des alten Bundestages und vor dasjenige des deutschen Reichstages; sie zogen die Aufmerksamkeit von ganz Deutschland auf sich, und wenn sie im Laufe dieses Jahres auch einen formellen Abschluß fanden, so kann man doch leider kaum annehmen, daß die Streitaxt definitiv begraben worden sei.




Eine schwarze Kugel.
Erzählung von A. Godin.[1]

Hört man irgendwie die Bezeichnung „Muttersöhnchen“, so entwirft sich die Phantasie sogleich das Bild eines Jünglings, der Leckerbissen zu schätzen weiß, den Schnupfen fürchtet und sich mit naiver Zuversicht als Mittelpunkt des Stückchens Welt betrachtet, auf welchem er sich gerade befindet. Es giebt aber noch eine zweite Ausgabe dieser Species, ebenso liebenswürdig, wie die erstere fragwürdig ist: Jünglinge, selbst Männer, die ein gewisser Hauch feinen Sinnes umweht wie jener Schatten von Duft, den man zuweilen mit sich fortträgt, nachdem man den Raum, wo er wirklich ausströmte, längst verlassen hat. Fast mit Bestimmtheit läßt sich behaupten, daß solche Männer von früher Jugend auf viel in Gesellschaft einer zartfühlenden und liebevollen Mutter gewesen und dann lebenslang unter diesem Einflusse sowohl ihre Eindrücke empfangen wie sich selbst äußern – namentlich in allen Dingen des Geschmacks und Gefühls.

In diesem Sinne durfte Hermann Barner ein „Muttersöhnchen“ genannt werden. Ihm ward zu Theil, was selbst unter günstigen Verhältnissen nur Wenigen in vollem Maße bescheert wird: eine durchaus glückliche Knaben- und Jünglingszeit. Sein Vater, der sich in reifem Mannesalter verheirathet hatte und zur Zeit der Geburt dieses einzigen Kindes schon ein hohes Amt im Staate bekleidete, fand trotzdem immer Zeit, das Familienleben zu pflegen. Seine Mutter, welche ihre Stellung zur großen Welt fein zu behaupten wußte, sprach ohne Hehl den Grundsatz aus, daß die Rücksicht auf Mann und Kind jeder andern voraus ginge, und handelte danach. Jede Anlage des begabten jungen Menschen ward sorgsam gepflegt, sein Verkehr mit frischen Altersgenossen niemals gehemmt, und während er die Grundlage allgemeiner Bildung empfing, bereiteten ihn die Ferienmonate auf den erwünschtesten Lebensberuf vor, da er dieselben häufig auf dem ansehnlichen Gute seines Großvaters verlebte, welches ihm dereinst als Erbe zufallen sollte. Die Provinzialhauptstadt, deren Regierungscollegium Präsident Barner vorstand, besaß den Vorzug einer Universität, und nach Wunsch des Vaters sollte Hermann dort geeignete Collegien besuchen, ehe er sich der Landwirthschaft dauernd widmete.

Was durch das Leben so fest verbunden war, wurde plötzlich durch den Tod getrennt. Der Präsident erlitt inmitten seiner Vollkraft einen Nervenschlag, der ihn binnen wenigen Stunden den Seinen entriß. Fortan zog sich die Wittwe und zwar für immer von der Welt zurück und lebte mehr als je dem Einzigen, was ihr geblieben. Nachdem Hermann’s Ausbildung nach dem Plane des Vaters beendet war, siedelten Beide auf das Gut des Großvaters Barner über, um dort die Heimath der Zukunft zu gründen. So hatte Hermann sein vierundzwanzigstes Jahr erreicht, ohne jemals länger von seiner Mutter getrennt zu sein, als durch kurze Reisen oder die wiederholten Landwehrübungen, welche ihm die Qualification zum Officier verschafft hattet.

Da kam die Mobilmachung des Jahres 18.., und der junge Landwehrlieutenant wurde einberufen. Schien es auch noch sehr ungewiß, ob ein Krieg wirklich ausbrechen würde, so zitterte doch das Herz der Mutter in tiefem Schrecken, als sie den Liebling ziehen lassen mußte – ein Schreck, den sie vor Hermann zu verheimlichen strebte, denn dieser hatte kein Hehl der Freude, womit er dem ergangenen Rufe folgte. Die Stadt, wohin seine militärische Pflicht ihn führte, war reizvoll gelegen; er hatte dort bereits einmal während seiner letzten Uebungszeit angenehme Wochen verlebt und freute sich auf den cameradschaftlichen Verkehr mit Bekannten – freute sich weit lebhafter noch auf Anderes.

Ein eigenthümliches Dämmern und Träumen war über ihn

  1. Verf. von Kein Herz“.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_287.jpg&oldid=- (Version vom 24.4.2019)