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Seite:Die Gartenlaube (1877) 264.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

vier oder fünf Cameraden, die nun gemeinschaftlich die Kugel wieder in’s Rollen bringen. Am richtigen Platze angekommen, wird sodann mit den starken gezähnten Vorderfüßen, die wie ein Grabscheit wirken, ein Loch in die Erde gegraben, die Kugel hineingesenkt und die Erde wieder darüber hingescharrt.

Wir haben, wie gesagt, aus der Fülle der dargelegten Ermittelungen für heute nur den einen Punkt hervorgehoben und glauben, es wird Vielen neu sein, wenn sie hören, daß es sich nicht mehr um Vermuthungen oder Phantasien, sondern um wissenschaftlich beglaubigte Feststellungen handelt, wenn in gewissem Sinne von einem Sprechen der Thiere mit einander die Rede ist. Im Uebrigen aber bietet Büchner in seinen Schilderungen aus dem Geistesleben der Insecten noch eine so erhebliche Zahl anderweitiger Beobachtungen und Aufschlüsse merkwürdigster Art, daß wir uns im Weiteren noch einmal auf das Feld dieser vielfach so offen sich bietenden und doch noch den Meisten dunkel gebliebenen Lebenssphäre begeben werden. Nur eine bessere Aufklärung über das Seelen- und Empfindungsleben unserer thierischen Mitgeschöpfe, an sich schon ein unerschöpflicher Quell reichster Belehrung und Erhebung, wird allmählich zu einer von Sentimentalität freien, aber achtungs- und rücksichtsvolleren Behandlung der Thiere führen und damit unendlich veredelnd auf die Gesittung und Humanisirung der zukünftigen Geschlechter zurückwirken. Das wissenschaftliche Material zu einer solchen Erweiterung unseres Gesichtskreises ist in sehr ausgedehntem Maße geliefert. Machen denkende Menschen sich dasselbe nur theilweise zu eigen, so werden sie es gewiß nicht mehr als eine Uebertreibung belächeln können, wenn ein bewährter Kenner dieses Naturbereiches sagt: „Bei jedem Schritte auf dem ungeheuren Gebiete des Thierstudiums kommt man von Ueberraschung zu Ueberraschung, da man bei den Thieren Alles das wiederfindet, was man soeben erst in den geheimsten Falten des menschlichen Geistes und Herzens entdeckt hat. Die Temperamente und Leidenschaften, alle guten und schlechten Eigenschaften des Menschen steigen nacheinander vor uns aus dem weiten Meere des thierischen Lebens empor, und überall zeigt sich dem erstaunten Beobachter das treue Abbild unseres ganzen gesellschaftlichen, künstlerischen, wissenschaftlichen und politischen Lebens.“




Wilhelm von Humboldt’s „Freundin“.
Authentische Mitteilungen von ihrem Neffen.


Ueber die persönlichen Verhältnisse, in welchen die durch Wilhelm von Humboldt’s „Briefe an eine Freundin“ berühmt gewordene Frau Doctorin Charlotte Diede gelebt, sind vielfache Irrthümer verbreitet. Das Publicum befindet sich trotz des regen Interesses, welches die Briefe seit ihrer Veröffentlichung fortwährend gefunden haben, noch immer in einem gewissen Dunkel über die Person der „Freundin“. Zum Theil gilt dies auch von einem Aufsatze, den die „Gartenlaube“ in ihrer Nr. 45, S. 716 bis 718 vom Jahre 1869 veröffentlicht hat.

Ich theile über die Beziehungen Wilhelm von Humboldt’s zu seiner Freundin mit, was ich darüber als Verwandter der Letzteren weiß, und sehe es als einen Act, ja als eine Pflicht der Pietät gegen die Doctorin Diede an, so manchen Unrichtigkeiten und wohl gar Verdächtigungen, welche in Anschauung ihrer und zugleich anderer dabei Betheiligter vorgekommen und von Vielen geglaubt worden sind, entgegen zu treten, wenn nicht schon an und für sich das Leben einer Frau, welche ein Wilhelm von Humboldt eines solchen Reichthums von Briefen werth hielt, interessant genug wäre, um den Lesern und Leserinnen derselben einige nähere Nachrichten darüber wünschenswerth erscheinen zu lassen.

Die Doctorin Charlotte Diede, geb. Hildebrand war – dies bemerke ich zur Legitimation meiner Mittheilungen über sie – die leibliche Schwester meiner Mutter, zugleich Cousine meines Schwiegervaters und dessen vertraute Freundin von Jugend auf. Ich bin unter ihren nahen Verwandten der einzige noch Lebende und habe sie in Kassel seit dem Jahre 1824 bis zu ihrem Ableben oft genug besucht, mit ihr persönlich von Angesicht zu Angesicht häufig verkehrt, vielfache Unterredungen mit ihr gehabt und bei ihr manche von W. von Humboldt an sie eigenhändig geschriebene Briefe gelesen. Sie war unter den sieben Kindern des Pastors und Superintendenten Friedrich Ernst Hildebrand zu Lüdenhausen im Fürstenthum Lippe-Detmold und seiner Ehefrau Dorothee Sophie Falkmann (einer Tochter des Oberförsters Falkmann zu Blomberg, später zu Siekholz bei Blomberg) das dritte Kind, laut des Kirchenbuchs zu Lüdenhausen im Jahre 1769 geboren und daselbst am 22. Mai desselben Jahres getauft. Ihre vollständigen Taufnamen waren Ernestine Charlotte Marie und ihre Gevatterinnen Charlotte Luise Falkmann zu Blomberg und die Regierungsräthin Valentini zu Detmold.

Charlottens Vater, mein Großvater, war ein viel gelehrter, tief denkender, in der Ideenwelt lebender, sogar in Traumvisionen zuweilen bis zum magnetischen Hellsehen sich vertiefender Mann. Mit Glücksgütern gesegnet, machte er in eigener Equipage Badereisen. Bekanntlich war es 1788 zu Pyrmont, wo damals Charlotte Hildebrand und Wilhelm von Humboldt sich zum ersten Male sahen und kennen lernten. Später sah sie ihn nur noch einmal, da er auf einer Reise von Berlin nach Paris sie auf einen Tag in Kassel besuchte. Für solche Leser der Briefe, welche Pyrmont kennen und besuchen, mag vielleicht, die Notiz einiges Interesse haben, daß die erste Begegnung Beider in der Hauptallee stattfand und zwar an der Bank unter der größten, heute noch dort befindlichen Linde, nahe der Eingangsthür zu dem kleinen Concertsaale (späterhin Spielsaale, jetzigem Lesezimmer). Hier war Nachmittags zur Zeit des Kaffeetrinkens Charlottens Lieblingssitz. Der Baum wird unter Bekannten mitunter auch heute noch die „Humboldt-Linde“ genannt. Außerdem hatten sie noch besonders bevorzugte Plätze, wo sie gern zu verweilen pflegten, z. B. die Bank unter der Linde am Südende der Hauptallee, östlich von dem Fontaine-Bassin, von der man die Aussicht auf das fürstliche Schloß hat, sodann auch eine Bank neben dem jetzt durch zahlreiche Goldfische und zur Curzeit durch blühende Nymphäen sich auszeichnenden Fischweiher an dem Westende der Cursaal-Allee mit der Aussicht nach dem Dorfe Holzhausen etc., vornehmlich aber weilten sie gern auf dem Königsberg, da, wo das Denkmal zur Erinnerung an den dortigen Aufenthalt des Königs Friedrich’s des Zweiten errichtet worden.

Charlottens Mutter war eine ausgezeichnete Hausfrau und vielbegabte Erzieherin ihrer Kinder, besonders der Töchter. Der Bruder der Mutter, Charlottens Onkel – er stand im Dienste des genialen Grafen Wilhelm von Schaumburg-Lippe – war der Oberförster Falkmann zu Baum bei Bückeburg. Dessen Vater, Charlottens Großvater, war in dem bückeburgischen Domanialforste Blomberg-Siekholz beamtet gewesen. Dieses Verhältniß führte die Hildebrand’schen Kinder von Lüdenhausen mitunter nach Baum, wo sie in Waldesluft gern verweilten.

Zu Hause wurden sie mit einem für Landpredigerfamilien nicht gewöhnlichen Aufwande erzogen. Während der Vater den Söhnen und Töchtern streng wissenschaftlichen und selbst gelehrten Unterricht in umfassender Weise ertheilte, wurde für die Töchter eine Gouvernante aus der sogenannten französischen Schweiz gehalten, um dieselbe fremde lebende Sprachen, vornehmlich die französische, auch praktisch erlernen zu lassen: zur Zeit, da Charlotte und ihre drei Jahre jüngere Schwester (meine Mutter) heranwuchsen, ein Fräulein Hofmaier, welche später, in gleicher Eigenschaft, aus dem ländlichen Predigerhause von Lüdenhausen nach Kassel kam, um dort bei der Erziehung der Kinder des Landgrafen von Hessen in gleicher Eigenschaft zu dienen.

Als Charlotte zu jungfräulicher Blüthe herangewachsen war, kam mein Großvater in den traurigen Fall, sich einer lebensgefährlichen Bauchoperation unterziehen zu müssen. Unter nahen Verwandten im Lippe’schen waren einige Aerzte besten Rufes und Ansehens. Diese riethen aber, und er selbst entschloß sich, die Operation durch den als besonders geschickten Operateur damals berühmten Regimentsarzt Meyer in Rinteln (eine Meile entfernt von dem Dorfe Lüdenhausen) ausführen zu lassen, was mit glücklichstem Erfolge geschah.

Unmittelbar hieran schloß sich ein Verhältniß, welches für Charlottens fernern Lebensweg durchaus entscheidend wurde. Der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_264.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)