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Seite:Die Gartenlaube (1877) 260.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


fügte er, sich an Bandmüller wendend, hinzu. „Es wäre ja möglich, daß inzwischen dieser elende Regen aufhörte und das Volk in der nöthigen Zahl sich einfände. Uebrigens wundert mich doch, daß keine Polizei hier umher spionirt.“

„Der sind hier so ziemlich die Hände gebunden,“ lachte der Fabrikleiter.

Sie gingen schnellen Schrittes über die Wiese; um sie herum rannte und stolperte es, und der Triumphbogen war im Nu völlig verlassen. Die Glocken läuteten noch, als sie schon zwischen den Häusern hingingen.

Plötzlich hörten sie eilige Schritte hinter sich, und der Friese fühlte sich am Rockschoße erfaßt. Als er sich umwandte, erblickte er einen jungen Burschen, der sich ganz außer Athem gelaufen hatte.

„Nun?“ fragte Harro erstaunt.

„Sie möchten einmal mitkommen, Herr. Dort unten in einem Hause ist Jemand, der auf Sie wartet.“

„Auf mich? – Gehaben Sie sich einstweilen wohl, Herr Bandmüller. Ich werde von hier aus in den Wiedenhof gehen, sobald ich mit dem Unbekannten gesprochen.“

Er winkte dem Fabrikleiter nachlässig mit der Hand, der ihm einen Blick voll tödtlichen Hasses nachsandte, danach aber begann diesen die Neugier zu stacheln. Er kehrte gleichfalls um und sah den Friesen mit dem Burschen zuletzt in ein gewöhnliches Wirthshaus treten. Als er wie zufällig sich der Thür dieses Hauses näherte, fuhr er wie von einer Natter erschreckt zurück.

Im Hausflure standen zwei Polizeibeamte mit blanker Waffe.

Er eilte mit großen Schritten ein Stück die Straße hinauf, in deren Pfützen und Gossen der Regen Blasen trieb.

„Himmel und Hölle,“ fluchte er, „das ist sicher ein Stückchen von Donner. Und dabei kann ich ohne diesen Goliath nichts anfangen. Jetzt ist Alles aus, rein aus. – Ich kümmere mich um nichts mehr. Halt! Vielleicht – ich könnte die Leute das Fuchseisen aufbrechen lassen. Versteht sich; an den Anfang gehört ohnehin ein Bastillesturm. Alter Freund von Chicago, verschwinden sollst Du, denn es wäre doch möglich, daß ein gewisser armer Teufel in Deinem Gedächtnisse auftauchte, der mir ähnlich sieht. Aber vorläufig bist Du noch nicht zu entbehren. Ein schöner Tag, der mir die verrückte Zigeunerin und den Mann da auf einmal in den Weg führt! Dem Zufall ist wahrhaftig nicht zu trauen“ –

Der Friese war von dem Burschen, der ihn geführt, in der leeren Gaststube allein gelassen worden; sie lag auf der Hofseite. Als sich längere Zeit Niemand hatte blicken lassen, öffnete er die Thür zu einem Nebenzimmer, in dem er ein Geräusch vernahm.

Vor ihm standen zwei Männer in Polizeiumform, und zwei Klingen blitzten ihm auf einmal entgegen.

„Zurück!“

Der Hüne maß die beiden Wachtmeister mit verächtlichem Blicke.

„Elende Schergen, glaubt Ihr, daß ich mich vor diesen Federmessern – –“

Eine Hand legte sich hinten auf seine Schulter. „Im Namen des Gesetzes – Sie sind mein Gefangener, Herr Harro – ich weiß, daß Sie so heißen. Versuchen Sie keinen gewaltsamen Widerstand! Ich habe Leute genug, um ihn zu brechen.“

Es war Donner, der den Friesen triumphirend fixirte.

Im Nu hatte dieser den Commissar ergriffen und schüttelte ihn mit Riesenkraft in der Luft. „Kommt her, Gesindel! Mit dieser Keule hier schlage ich Euch die Bratspieße aus den Händen,“ wandte er sich an die Wachtmeister, die entsetzt zurücktraten.

Ein Pfiff, und ein halb Dutzend Beamte standen hinter dem gereizten Löwen. Als er sich umsah, gewahrte er mehrere Pistolen im Anschlag.

„Viel Hunde sind des Hasen Tod,“ sagte er bitter lachend, indem er den Commissar auf die Füße stellte.

„Ich lasse Sie krumm schließen,“ rief dieser.

„Unterlassen Sie das lieber, wenn Sie unangenehmen Weitläufigkeiten vorbeugen wollen!“

„Ihr wartet und haftet mir für den Gefangenen. Ich werde Verstärkungen schicken; der Mann bleibt bis zur Dunkelheit vorläufig hier. Wer wagt es, zu lachen?“

Die Gesichter der Leute wurden plötzlich ernst, bis der Abgehende die Thür in’s Schloß geschmettert hatte; dann fielen ein paar sehr wenig ehrerbietige Bemerkungen. Der Friese nahm fortan von seinen Wächtern nicht die mindeste Notiz. Er zog einen der rohen braungestrichenen Wirthstische an das Fenster, nahm auf demselben Platz und blickte, den Kopf voll unruhig schweifender Gedanken, auf den trüben, schmutzigen Hof hinaus, in dem die Regenstrahlen sich kreuzten.

Woher dieser unerwartete Anschlag auf ihn allein? Was mochte nun den Tag über sich abspielen, während er hier saß, ein Gefangener?

Er beobachtete den Himmel, sehnsüchtig nach den lichteren Stellen zwischen den Wolken spähend, um an einem Stückchen Himmelsblau die Hoffnung auf besseres Wetter zu entzünden. Aber die Wolken kamen in ununterbrochener Folge wüst und schwer; sie kamen aus der Richtung der Erlenfuhrt. Und seine Gedanken sprangen wie Blitze von Wolke zu Wolke, weiter und weiter, bis sie plötzlich niedersanken zu der schönen, ernsten Schwester Karl Hornemann’s – zu ihren Füßen. – –

Der Abend kam, und das Wetter war fast unverändert das nämliche geblieben. Von Bramkerken war kein Bote gekommen; die Physiognomie der Stadt war von derjenigen, welche sie unter den nämlichen Witterungsverhältnissen zu anderer Zeit trug, kaum verschieden. Selbst die Wirthshäuser waren nicht auffallend gefüllt; es war in der That, als ob der Regen das Feuer gedämpft, als ob der Rausch unter Einwirkung der kalten Güsse einer völligen Ernüchterung Platz gemacht hätte. Von dem Feste der Union war selbstverständlich keine Rede; was aus den Vorbereitungen geworden, konnte man von der Stadt aus nicht sehen, denn die Berglehne war den ganzen Tag in Nebel gehüllt. Mit Einbruch der Dunkelheit gewann es den Anschein, als wollte der Himmel sich klären. Das Gewölk wurde lichter und ließ den Mond oder ein paar Sterne hindurchblicken.

Es war einige Stunden nach Mitternacht. Der Friese lag auf seiner Matratze in der Zelle des Fuchseisens, in welche man ihn während der Dunkelheit übergeführt hatte – der nämlichen, welche einst Franz Zehren bewohnt hatte – in festem, gesundem Schlafe. Er hörte nicht, wie das Thürschloß leise klirrte, und sah nicht, wie sich eine Männergestalt, mit einer Blendlaterne in der Hand, leise auf ihn zu bewegte. Erst als der Schein des Lichtes ihm ein paar Secunden lang voll auf die geschlossenen Lider gefallen war, begann er zu blinzeln und schlug endlich die Augen auf.

„Halloh, was ist das?“ sagte er und sprang, eine übergelegte Decke von sich streifend, rasch auf die Füße.

„Schweig’!“ flüsterte es dringend. Harro erkannte mit äußerstem Erstaunen Karl Hornemann.

(Fortsetzung folgt.)




Album der Poesien.
Trauer.


Blumen, Vögel, duftend, singend,
Seid doch nicht so ausgelassen,
Ungestüm an’s Herz mir dringend;
Laßt allein mich zieh’n die Straßen!

Vieles ist vorübergangen,
Seit wir uns zuletzt begegnet,
Und es hat von meinen Wangen
Meines Glückes Herbst geregnet.

Winter kam hereingeschlichen
In mein Herz; die Thränen starben,
Und schneeweiß sind mir verblichen
Alle grünen Hoffnungsfarben.

Blumen, Vögel, rings im Haine,
All ihr frohen Bundsgenossen,
Mahnt mich nicht, daß ich alleine
Bin vom Frühling ausgeschlossen!

Nicolaus Lenau.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_260.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)