Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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„Das wird ein kaltes Weihnachtsfest!“
Er sprach's und sprang zur Bahn hinaus
Und stellte rasch die Weiche fest.
Schon hörte man des Zugs Gebraus
„Noch einen Zug. – dann hab' ich Ruh'
und eile meinen Lieben zu.
Es schlafen Frau und Kinder warm,
Das Jüngste in der Mutter Arm.
Sie träumen nun den schönen Traum
Vom freudenreichen Weihnachtsbaum.“ –
Sein einsam Haus in Dunkelheit
Liegt eine halbe Stunde weit.
Hinüber sendet er den Blick ...
Bestürzt, entsetzt fährt er zurück:
„Sprüh'n dort nicht Funken über's Dach?
Schläft Alles fest? Ist Niemand wach?
Wer rettet? Ich – ich darf es nicht;
Mich fesselt hier die harte Pflicht.
Der nächste Zug muß erst vorbei ...
Wie? Hör' ich ferne nicht Geschrei?
Unmöglich! – Sieh, die Flamme bricht
Zum Dach hinaus mit Dampf und Licht.
Wer rettet? – Ich, ich kann ja nicht,
Ich darf ja nicht, mich hält die Pflicht.
Der Zug, er kommt noch immer nicht ...“
Und endlich kommt der Zug heran.
Verzweifelt steht, doch fest der Mann;
Dann eilt er schnellen Schritts feldein. –
Sein Haus, umlodert von den Flammen,
Nun bricht's mit dumpfem Krach zusammen.
Die Frau? Die Kinder? – Hört, sie schrei'n! –
Sie schrei'n – Gottlob! sie blieben sein.
Das kaiserliche Reichsgesundheitsamt. Das deutsche Impfgesetz fordert durch den Impfzwang eine Aufopferung des Einzelnen für das Wohl der Allgemeinheit, wie es zeither kein Gesetz zu verlangen wagte. Mußte der Staat eine solche Einschränkung der persönlichen Freiheit erzwingen, so war es seine Pflicht, nicht nur dafür zu sorgen, daß ein aus dem Impfen entspringender Nachtheil durchaus vermieden, sondern durch eine sich anschließende Statistik die Nothwendigkeit des Impfgesetzes auch klar bewiesen würde. Keines der vorhandenen Reichsorgane konnte zur Erfüllung dieser Doppelpflicht genügen; schon aus diesem Grunde war ein eigenes Amt erforderlich, und es trat nun sofort das von vielen Seiten längst vergeblich ersehnte Reichsgesundheitsamt in's Leben.
Bereits am 6. April 1870 wurden zwei hierauf bezügliche Petitionen dem Bundeskanzler vom Reichstage dringend zur Berücksichtigung empfohlen; beide erstrebten die Bildung einer Behörde, welche die Aufgabe hat, die allgemeine medicinische Statistik im Norddeutschen Bunde zu reguliren, beziehentlich allgemeine sanitätliche Maßnahmen in Hinsicht auf Entstehung und Verbreitung von Krankheiten anzuregen. Das Programm der neuerrichteten Behörde schloß sich direct an den Inhalt dieser Petitionen an; es wurde ausdrücklich betont, daß dasselbe einen rein berathenden Einfluß ausübe und keine Executivgewalt übernehme. Es ist dem Reichskanzleramt direct untergeordnet, unterstützt es im Gebiete des Medicinalwesens, hat die Entwickelung der öffentlichen Gesundheitspflege überall zu verfolgen und eine allgemeine medicinische Statistik für ganz Deutschland zu begründen. Der Zusammensetzung nach besteht es aus einem Director und zwei Mitgliedern, zwei Bureaubeamten, einem Kanzleisecretär und einem Kanzleidiener; an die Spitze wurde ein höherer Militär- und behandelnder Arzt des Fürsten Bismarck, Dr. Struck, gestellt. Zu bedauern bleibt nur, daß, wie auch im Reichstage angeführt wurde, den Mitgliedern nicht das Recht des unmittelbaren Vortrages bei dem Reichskanzler zusteht; zur Begründung medicinischer Fragen ist dieses ein unbedingtes Erforderniß.
Am 15. November 1876 erfolgte die erste Publication des kaiserlichen Gesundheitsamtes über die Epidemien des Auslandes, und am 6. Januar 1877 erschien die erste Nummer des von ihm herausgegebenen Wochenblattes unter dem Titel: „Veröffentlichungen des kaiserlich deutschen Gesundheitsamtes.“ (Fünf Mark pro Semester.) Auszüge aus dieser Zeitschrift sind unseren Lesern in den Tagesblättern häufig zu Gesicht gekommen.
Das Journal ist nicht für medicinische Kreise allein bestimmt. Es behandelt die Erkrankungs- und Sterblichkeitsverhältnisse sowie die dieselben beeinflussenden Ursachen im In- und Auslande und enthält eine regelmäßige Zusammenstellung über die Sterblichkeits- und Todesursachen in den deutschen Städten über fünfzehntausend Einwohner. Unter Annahme von acht Klimakreisen in Deutschland wird der Witterungsgang in denselben (Feuchtigkeit, Temperatur, Luftdruck, Wind) graphisch dargestellt, der Gang der Epidemien genau verfolgt und alle beachtenswerthen Verhandlungen und Fortschritte auf dem Gebiete der Gesundheitspflege besprochen. Als eine fernere Arbeit ist von der neuen Behörde die Untersuchung der Petri'schen Fäcalsteine und im Anschluß daran die Prüfung sämmtlicher für hygieinische Zwecke in Gebrauch gekommener Desinfectionsmittel in Angriff genommen worden. Diesem bei der kurzen Zeit des Bestehens vielversprechenden Anfange muß sich eine Thätigkeit anschließen, welche die Kraft der Beamten auf das Aeußerste in Anspruch nehmen wird. – In den oben erwähnten Petitionen wurde es als dringend wünschenswerth bezeichnet, daß, wie es schon an manchen Orten der Fall ist, in Städten und Landbezirken locale, nicht staatliche Gesundheitsämter von Seiten der betreffenden Gemeinden begründet werden, welche aber mit dem Reichsgesundheitsamte in unmittelbarer Verbindung stehen. Der Nutzen dieser Einrichtung ist offenbar. Ganz Deutschland würde auf diese Weise von einem hygieinischen Netze durchzogen werden, wobei nur zu beklagen wäre, daß wir Zeitgenossen die gestreute Saat nicht würden ernten können. Wenn auch in Deutschland (wie in England die Statistik nachgewiesen hat) mit der Zunahme der Verbesserung der sanitären Verhältnisse eine fortschreitende Erhöhung der Lebensdauer eintritt, so bleibt uns wenigstens das erhebende Bewußtsein, unsern späten Nachkommen das Alter der Patriarchen errungen zu haben.
Zur Beachtung. Aus der Thätigkeit des „Untersuchungs-Bureau's des pharmazeutischen Kreisvereins zu Leipzig“ hat sich ergeben, daß unsre Notiz über diesen Verein die Auffassung zugelassen, als ob die Prüfung verfälschter Lebensmittel u. dergl. durch das genannte Bureau gratis besorgt werde. Wir bemerken deshalb hiermit nachträglich, daß der Verein vom Staate bis dato noch keinerlei Unterstützung erhielt und darum für seine oft ebenso kostspieligen wie zeitraubenden Untersuchungen eine Vergütung beanspruchen muß. Der Vorstand desselben wird ohne Zweifel auf vorherige Anfragen über den betreffenden Kostenpunkt gern Auskunft ertheilen.
Berichtigung. In unsrer Nr. 11. ist in dem Artikel „Parlamentarische Photographien aus Versailles“ Seite 186, zweite Spalte, Zeile 15 von unten, statt „Elba“ natürlich zu lesen: „St. Helena“.
J. L. in Frankfurt a. M. Auf Ihre Anfrage über die Entstehung der Nordlichter müssen wir mit einer kleinen Geschichte antworten. Ein durch seinen Sarkasmus nicht weniger als durch seine Entdeckungen ausgezeichneter Physiker fragte einst beim naturwissenschaftlichen Examen einen Candidaten, den er für seine Ungelehrsamkeit etwas abstrafen wollte: „Wissen Sie vielleicht, wie die Nordlichter entstehen?“ Der Candidat sagte schüchtern: „Ja,“ mußte aber gleich darauf eingestehen, daß er es wieder vergessen habe. „Ach bitte, mein Herr, besinnen Sie sich! Die Sache ist mir sehr wichtig; ich gebe Ihnen eine volle halbe Stunde Zeit, während ich die anderen Herren nach unwichtigeren Dingen frage.“ Mit diesen Worten entließ ihn vorläufig der sehr heiter gewordene Examinator, um, nachdem dem Examinanden in der halben Stunde die Erinnerung nicht wiedergekehrt, mit dem Ausdrucke schmerzlicher Enttäuschung auszurufen: „Ach, was bin ich für ein unglücklicher Mensch! Noch nie bisher hatte es ein Naturforscher sicher zu sagen vermocht, wie die Nordlichter entstehen; hier habe ich nun den Einzigen, der es gewußt hat, und der hat es wieder vergessen.“ Dieses komische Intermezzo soll vor einigen Jahrzehnten gespielt haben. Seitdem sind zahlreiche, mehr oder weniger wahrscheinliche Theorien über die Entstehung der Nordlichter aufgestellt worden, und das Schlimme ist also nicht, daß man überhaupt keine, sondern daß man zu viele Erklärungen hat, unter denen uns, offen gestanden, für jetzt die Auswahl zu schwer ist. Sie finden die begründetsten derselben in der neuesten Auflage von Joh. Müller's „Kosmischer Physik“, deren Studium Jedem anempfohlen werden darf, der sich über die physikalischen Vorgänge im Weltall zu unterrichten wünscht.
Alter Abonnent in Hannover. Wir wissen nicht, worüber wir uns mehr wundern sollen, über Ihre lückenhafte Bildung oder über die Kühnheit, mit welcher Sie es wagen, der gewöhnlichsten Rechenkunst bar, solche maßlose Angriffe gegen einen unserer bewährtesten Mitarbeiter zu schleudern. Sie sind darüber entrüstet, daß ein gesunder kräftiger Mensch circa 4400 Cubikcentimeter Blut besitzen soll, und rechnen dafür 44 Cubikmeter aus. Gehen Sie nochmals in die Volksschule! Da werden Sie lernen, daß ein Cubikmeter etwas anderes ist als ein Meter. Letzteres Maß wird wohl in hundert Centimeter eingetheilt, der Cubikmeter aber enthält netto eine Million Cubikcentimeter. 44 Cubikmeter enthalten nicht 4400, sondern 44,000,000 Cubikcentimeter. Die von unserem Mitarbeiter angegebene Blutmasse ist der zehntausendste Theil des Blutbades, das Sie in Ihrer Voreiligkeit angerichtet haben.
Unbekannt in Stuttgart. Ein Doctor Laurentius existirt in Leipzig nicht. Verfügen Sie also über Ihre Geldsendung von 90 Mark, die wir keinenfalls weiter befördern!
Irma. Es fehlt uns vollständig alle Zeit dazu, Ihre verschiedenen Fragen zu beantworten.
Unbekannt in Brieg. Disponiren Sie über Ihre Liebesgabe für Schrader, die wir nicht mehr annehmen dürfen!
- ↑ Obige volksthümlich gehaltenen Verse, denen wir als der Verherrlichung einer rühmenswerthen Pflichttreue die Aufnahme nicht versagen wollen, gingen uns mit nachfolgendem Begleitschreiben zu:
„Das hübsche Püttner'sche Bild in Nr. 51 der 'Gartenlaube' vorigen Jahres, 'Bahnwärters Weihnachtsabend', fand am 23. December desselben Jahres in einem Ereigniß am Köln-Mindener Bahnhofe in Osnabrück eine Art Gegenstück von ergreifender Wirkung. Das obige anspruchslose Gedicht stellt den Vorgang in thatsächlicher Treue dar. Der Weichensteller Fiß wurde in der geschilderten Weise auf eine harte Probe gestellt, die der pflichttreue Mann heroisch bestand. – Sofort wurden in der Stadt von mehreren Seiten Sammlungen für die durch das Brandunglück geschädigte Familie veranstaltet; es flossen dem Verfasser des Gedichts Beiträge für den 'braven Weichensteller' reichlich zu. Auf Antrag der königlichen Landdrostei hierselbst hat soeben auch die Direction der Köln-Mindener Eisenbahn das Verhalten des Mannes mit einer Belohnung geehrt. Osnabrück, 15. Februar 1877.Dr. A. T. Brück.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_240.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)