Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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innere Thätigkeit bedeutete, konnte von ihm in der Psychologie als einer Bezeichnung für ein besonderes Organ oder für eine besondere Art inneren Lebens nicht die Rede sein.
Aber auch in späteren Zeiten, als wir Herz und Geist zu scheiden gewohnt waren, konnte deshalb das Herz für unsere Psychologie keine geeignete Kategorie mehr sein, weil jene beiden die Theilung des Ganzen nicht erschöpfen; Herz und Geist umspannt in unserer volksmäßigen und dichterischen Sprache den ganzen innern Menschen: wohin sollen wir die Willensthätigkeit setzen? Weder dem Herzen allein, noch dem Geiste allein können wir sie zuzählen.
Das Herz selbst umfaßt ferner im Sinne der Sprache nicht blos, wie ich es oben als eine besondere Kategorie der Psychologie bezeichnet habe, die Gefühle, sondern auch diejenigen geistigen und leiblichen Zustände, welche die Wissenschaft von den Gefühlen unterscheidet und als Affecte bezeichnet. Diesen Unterschied ausführlich darzulegen, darauf muß ich natürlich verzichten; es genüge, daran zu erinnern, daß neben den einfachen Gefühlen von Lust und Leid, von Befriedigung und Unbehagen, neben den Gefühlen, welche idealen Anschauungen folgen und die Seele durch das Gute und Schöne und ihre Gegentheile erregen, daß neben diesen, sage ich, dem Herzen auch jene heftigeren und verwickelteren Erregungen zugeschrieben werden, welche das Gleichgewicht der Seelenthätigkeit mehr oder minder aufheben, die geistige Arbeit erhöhen oder hemmen, steigern oder stören. Hierher gehören Lustigkeit und Ausgelassenheit auf der einen Seite, Traurigkeit und Schwermuth auf der andern, Entzücken und Bewunderung, Zorn und Grimm, Reue und Schreck, Verzweiflung und Begeisterung.
Vor einigen Jahren, bei Gelegenheit der Wiener Weltausstellung und des Besuchs, den die Kaiserin Augusta am Wiener Hofe machte, habe ich meine Leser in jene Salons den Hauses am Ballplatze geführt, von wo aus der österreichische Staatskanzler Fürst Metternich so lange Zeit die Geschicke Europas lenkte. Heute will ich sie in jenes Ministerhôtel am Quai d’Orsay in Paris führen, das für Frankreich und für die Katastrophe von 1870 so verhängnißvoll geworden ist.
Wie man im Jargon der Presse unter der Wilhelmsstraße in Berlin, unter dem Ballplatze in Wien das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten versteht, so in Paris unter dem Quai d’Orsay. Schon durch die Lage an der Seine übertrifft das Gebäude seine Collegen in den beiden andern genannten Weltstädten. Auf dem linken Ufer derselben bildet es einen der imposantesten Prospectpunkte des Concordeplatzes, dieses schönsten Platzes der Welt. Wenn man von der Rue Royale kommt und den Place de la Concorde durchschneidet, so legt sich jenseits der gleichgenannten Brücke in seiner antiken Großartigkeit der Palast des Corps Legislatif vor; rechts daneben, viel discreter als das genannte Gebäude und gleichsam in einem Abhängigkeitsverhältnisse von diesem steinernen Ausdrucke souveräner Volksmacht, schaut aus dichten Baumgruppen, die es vom Lärme und Treiben der Straße abschließen, das Gebäude, in welchem der ganze Apparat der auswärtigen Angelegenheiten Frankreichs mit ihrem Leiter an der Spitze wohnt und arbeitet. Das in modernem italienischem Palaststyle erbaute Vordergebäude ist zur Wohnung des Ministers und zur gesellschaftlichen Vertretung Frankreichs bestimmt. Die Hintergebäude erstrecken sich bis an die Esplanade der Invaliden und an die Rue de l’Université. Der alte Guizot hatte das Hôtel gebaut; er glaubte sich in den vierziger Jahren als Minister den Aeußern ein recht warm-gemüthliches Nestchen bereitet zu haben; die Zeit sah nach nichts weniger als nach Sturm aus, oder vielmehr, er wollte die Vorboten desselben nicht sehen – kurz, als das Haus fertig war, war auch er mit seinem Ministerium zu Ende. Seitdem haben gar viele Minister hier die Wohnung gewechselt, unter der Republik und unter Napoleon dem Dritten. Der letzte war jener diplomatische Don Quixote, jener Herzog von Grammont, der, im Aeußern, wie in seiner Handlungsweise ein Urbild übermüthiger Unbedachtsamkeit, die Geschicke des zweiten Kaiserreichs zu einem so tragischen Ende bringen sollte. Zwischen diesen Räumen am Quai d’Orsay und jenem Pavillon dort in der Ferne, der durch hohe, Jahrhunderte alte Bäume das Tuilerien-Schloß markirt, spielte die Vorgeschichte des Krieges von 1870. Dann schob sich eine dritte Gruppe zwischen beide; das waren die Vertreter des französischen Volkes, die in dem Palaste an der Pont de la Concorde tagten und mit einem Votum Frankreich zum dritten Male zur Republik erklärten.
Der gegenwärtige republikanische Minister der auswärtigen Angelegenheiten ist bekanntlich Herzog Decazes, dessen Vater von Louis Philipp zu dieser Würde erhoben wurde, was für ihn kein Hinderniß war, sich der neuen Ordnung der Dinge zur Verfügung zu stellen.
Mit dem Sturze des alten französischen Königthumes hatten die Anhänger desselben eine Formel gefunden, die ihnen erlaubte, unter Napoleon dem Ersten, unter Louis Philipp, unter Napoleon dem Dritten zu dienen, die Formel, daß man keinem Souverän, keinem Machthaber, keiner Regierungsform, daß man nur Frankreich, das heißt seinem Vaterlande, diene. Diese Formel hat der Herzog Decazes unter der dritten Republik adoptirt, wie der Marschall-Präsident von Frankreich sie angenommen hat. Er thront nun länger als einer seiner Ministercollegen in dem Hôtel, das allerdings seit 1870 von dem Ansehen früherer Zeiten verloren hat; denn das wichtigste Ministerium in Frankreich ist gegenwärtig das des Krieges.
Mögen indeß auch die auswärtigen politischen Beziehungen Frankreichs an Bedeutung und Tragweite eingebüßt haben, die gesellschaftlichen haben vielleicht weniger an Annehmlichkeit des Verkehrs, als an Interesse für den Beobachter gewonnen durch die Theilung und Verschiebung, welche der französische Gesellschaftskörper seit neunzig Jahren erfahren hat. Dadurch hebt sich der Einzelne von dem gesellschaftlichen Boden schärfer und energischer ab und tritt als Parteiproduct zu der übrigen Gesellschaft in eine ihm selbst vielleicht unbewußte Action; dadurch werden Mischungen, Contraste, Conflicte erzeugt, die dem gesellschaftlichen Leben der französischen Hauptstadt ein ungemein lebendiges, farben- und bewegungsvolles Gepräge geben. Dazu kommt noch der große internationale Zuzug, den die vornehme französische Gesellschaft durch ihre frühern, so weitreichenden politischen und handelspolitischen Beziehungen zum Orient, zu den lateinischen Völkern, zu England und den tropischen Ländern erhält. Für diese mit der Mannigfaltigkeit eines Kaleidoskops sich verschiebende große, bunte Masse ist das Parquet des Ministeriums des Auswärtigen der entsprechende und beliebteste Sammelplatz.
Es ist in Paris in den officiellen Kreisen Sitte, daß der Marschall-Präsident, die Minister, Botschafter ein Diner geben, zu dem die vornehmsten Personen eingeladen werden, und da dasselbe erst um ein halb acht Uhr Abends beginnt, und wenigstens bis neun Uhr dauert, so bleiben die Gäste gleich für den übrigen Abend da; es kommen andere dazu, die nicht mitgegessen haben; dem Diner schließt sich ein sogenannter Empfang an, und diesem nicht selten ein kleiner Ball. Im verwichenen Jahre hielten der Herzog und die Herzogin Decazes einen Sonntag um den andern derartigen Empfang ab. Ich hatte bei dem Minister des Auswärtigen und der Herzogin Decazes meine Karten abgegeben, nachdem ich Beiden empfohlen worden war, und hatte dadurch den gesellschaftlichen Vorzug erworben, zu diesen Abenden zu kommen und dem Minister und seiner Gemahlin vorgestellt zu werden. Man trat in eine Reihe von Sälen, in welche ein Thürsteher die Namen der Ankommenden laut hineinrief. Im zweiten Saal empfing der Minister die Gäste; an seiner Seite befand sich seine Gemahlin. Ich bin mit den biographischen Einzelheiten den Ministers zu wenig bekannt, um wissen zu können, ob Herzog Decazes längere Zeit in England gelebt hatte, aber nach seinem Aeußern ist das anzunehmen. Die Anglomanie grassirt unter den vornehmen Franzosen fast noch mehr, als in den betreffenden Kreisen in Deutschland. Begegnete Einem der Herzog auf einer Reise in den Schweizeralpen, würde man an seiner Seite an der Table d’hôte essen,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_229.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)