Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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wiederholte Veranstaltung von Concerten (Mai 1824), in denen er auf Ansuchen seiner Verehrer seine letzte Ouvertüre, mehrere Theile der Messe und die neunte Symphonie zur Aufführung brachte, seiner bedrängten Lage aufzuhelfen, mißglückte leider. Trotz eines großen künstlerischen Erfolgs blieb das materielle Ergebniß hinter allen Erwartungen zurück. Auch die Hoffnung, durch seine Missa solemnis eine ansehnlichere Einnahme zu erzielen, erfüllte sich nicht, und von allen Höfen Europas, die er zur Subscription auf „sein gelungenstes Werk“ eingeladen, hatten sich nur fünf dazu bereit gefunden. Zwar versprach das alte, schon seit Jahren gepflegte und durch eine Einladung der Londoner philharmonischen Gesellschaft neu angeregte Lieblingsproject einer Reise nach England, all seinen Nöthen ein Ende zu machen. Aber auch diese verlockende Aussicht blieb unverwirklicht – aus Rücksicht für den Neffen, den Beethoven gerade zu dieser Zeit nicht verlassen zu dürfen meinte.
Dennoch vermochte selbst die treueste Fürsorge den auf Abwege Gerathenen vor den Folgen gewissenlosesten Leichtsinns nicht zu schützen. Kaum ein Jahr, nachdem der im Uebrigen talentvolle Jüngling, um Philologie zu studiren, die Universität bezogen, mußte er dieselbe wiederum verlassen. Nicht besser erging es ihm, als er im polytechnischen Institute Aufnahme gefunden. Genug, er kam im August 1826 dahin, durch Selbstmord sein Leben enden zu wollen. Hierauf, den Landesgesetzen gemäß, behufs „religiöser Erziehung“, von Obrigkeitswegen in Gewahrsam gebracht, ward er zu Ende September der Obhut seines Pflegevaters mit der Weisung zurückgegeben, ihn nicht länger als einen Tag in Wien zu belassen. Indeß ein Freund es übernahm, für ein geeignetes Unterkommen im Militär Sorge zu tragen, sah Beethoven sich nun genöthigt, gemeinsam mit dem ungerathenen Neffen auf dem Landgute seines Bruders, Gneixendorf bei Krems, eine Zuflucht zu suchen.
Die Ungunst der Jahreszeit und die „unglaubliche Rücksichtslosigkeit“, die er daselbst namentlich in Bezug auf seine Gesundheit erdulden mußte, zwang ihn jedoch vor der beabsichtigten Zeit zur Rückkehr nach Wien. Er mußte, da sein Bruder ihm seinen geschlossenen Wagen verweigerte, die Reise im offenen Gefährt zurücklegen und langte in Folge dessen an einer Lungenentzündung, wie es heißt, erkrankt am 2. December daheim an. Zwei Aerzte, die man herbeirief, versagten, da sie den Eigenwillen des Kranken kannten, ihren Beistand. So sollte der Neffe bei einem dritten Hülfe suchen. Er zog vor, sich mit Billardspiel zu unterhalten und die Sorge für den Arzt einem Kellner zu überlassen. Dieser vergaß es jedoch. Als der Kellner mehrere Tage später selber erkrankte und in die Klinik geschafft wurde, erinnerte er sich des empfangenen Auftrags und theilte ihn dem Arzte mit, der sofort zu dem verlassenen Meister eilte. Er kam zu spät. Die vernachlässigte Krankheit ging in Wassersucht über. Wiederholte Operationen wurden nöthig; doch verlor Beethoven nicht die Hoffnung und beschäftigte sich sogar auf’s Neue mit Compositionsgedanken. (Das Letzte, das er vollendete, blieb aber der in Gneixendorf geschriebene Schlußsatz des B-dur-Quartetts op. 130.)
Nur die Sorge für den Neffen, der mittlerweile als Cadett in ein Regiment in Mähren eingetreten war, ließ ihn auch jetzt nicht ruhen. Er fürchtete, daß dieser, nun er selbst nichts mehr verdiene, gleichzeitig mit ihm Mangel leiden müsse, und so entschloß er sich endlich, wenn auch nach langem Bedenken, den ihm befreundeten Moscheles um Veranstaltung eines ihm von der philharmonischen Gesellschaft in London früher offerirten Benefiz-Concertes anzugehen.
Wirklich erhielt er alsbald hundert Pfund Sterling und die Versicherung, daß man zu weiteren Diensten gern bereit sei. Am Tage nach Empfang dieser Sendung, dem 18. März 1827, dictirte er noch einen Brief voll warmer Dankesäußerungen. Es war sein letzter. Er fühlte nun selbst sein nahes Ende und sah mit Seelenruhe dem Tode in’s Angesicht. In seinem letzten Willen setzte er den Neffen zum Universalerben ein. Am Mittag des 24. März wurden ihm auf sein Begehren die heiligen Sterbesacramente gereicht, die er mit tiefer Andacht entgegennahm. Den Freunden, die sein Lager umstanden, rief er sodann noch zu: „Plaudite, amici! Comoedia finita est.“ (Klatscht, Freunde! Die Komödie ist zu Ende.) Darauf begann der Todeskampf. Er währte lange; erst in der sechsten Abendstunde des 26. März war er vollbracht. Unter Sturm und Gewitter schied Beethoven’s große Seele.
Auf dem Währinger Friedhofe ward ihm seine letzte Ruhestätte bereitet, und unermeßliche Theilnahme gab ihm, in dem man Unermeßliches verloren, am Nachmittag des 29. März dahin das Geleite.
Schlichte Denksteine bezeichnen sein Grab und eine Stelle im nahen Heiligenstadt, wo er vor anderen Orten gern geweilt. Ein stattlich Monument – zum vollen Dritttheil eine Stiftung Franz Liszt’s – aber zeugt von ihm in Bonn am Rhein, der Stätte seiner Geburt, und auch in Wien, wo er gewirkt und vollendet, gedenkt man das Standbild des Meisters aller Meister aufzurichten. Denn wie uns Musik der Inbegriff allen Wohlklangs, so bleibt uns der Name Beethoven der Inbegriff von Musik. Was die Tonkunst vor ihm hervorgebracht, ist ein Hinstreben zu ihm, was sie nach ihm erzeugt, ein Hervorgehen aus ihm. Der Vollender der Classicität und aller Thaten, welche die Größten vor ihm gewirkt, ward er zugleich das Fundament, der Mittel- und Ausgangspunkt der modernen romantischen Musikrichtung. So, einem Janus gleich, sein Doppelantlitz Vergangenheit und Gegenwart zukehrend, erfüllt und beherrscht er beide als ein Prophet des Ewigen der Menschheit, ja alle Zukunft geschmückt mit der Strahlenkrone der Unsterblichkeit.
Ich besitze eine Eigenschaft, die unmodern geworden ist: ich bin dankbar. Als vor zwei Jahren ein Telegramm vom Oberst von Waldow[1] mich an das Krankenbett seines Schwiegersohnes berief, zögerte ich keinen Augenblick, dem Gebote desselben zu folgen, so Wichtiges mich auch sonst zurückhielt. Ein paar Thaler mehr oder minder konnten bei mir keine Rolle spielen, wohl aber war die Reise in die ferne Festungsstadt ein Zeitopfer, das ich nur dankbarer Erinnerung zu bringen vermochte.
Verwandtschaft, noch dazu im fünften oder sechsten Gliede, pflegt heutzutage keinen Anspruch auf Beachtung zu geben. Der Oberst, oder damals vielmehr Major von Waldow, der liebenswürdige, hochgebildete Mann, öffnete dem jungen unbedeutenden Mediciner als Verwandtem sein Haus, nachdem dieser sich in der Provinzialstadt als angehender Arzt niedergelassen.
Meine Cousine in dritter Linie war einst eine gefeierte Schönheit, die Tochter eines der scheinbar reichsten Banquiers der Residenz, gewesen. Für den jungen Hauptmann von Waldow betrachtete man es damals als eine besondere Auszeichnung, daß die umhuldigte, glänzende Weltdame die Werbungen des unbedeutenden jungen Officiers begünstigte und, gegen den Wunsch der Ihren, sein Weib ward. Kaum waren sie vereinigt, als all der Schein und Glanz in Trümmer brach. Frau von Waldow’s Vater stellte plötzlich seine Zahlungen ein, und das junge Paar war allein auf die eigenen bescheidenen Einkünfte zur Bestreitung ihres glänzend begonnenen Haushaltes angewiesen. Meine Großcousine soll sich schwer in dieser veränderten Lebenslage zurecht gefunden haben. Ihr Gemahl war ein edler, hochherziger Charakter, der sie, die unschuldige Ursache bitterer Enttäuschung, nie dieselbe entgelten ließ, und seine übergroße Delicatesse mag wohl die Ursache gewesen sein, daß von der stolzen, selbstwilligen Frau die Zügel mehr und mehr seinen Händen entwunden wurden und ihre Lebensweise bedrohlich den knappen Etat überschritt. Er selbst war sparsam, anspruchslos und arbeitsam. Daß es jedoch über kurz oder lang zu einem Wendepunkte in seinem Leben kommen mußte, sahen seine besten Freunde mit mitleidigem Achselzucken.
Zu jener Zeit, als von Waldow am Rande des Abgrundes stand, wurde ich als Assistent zu unserm berühmten Professor N. gerufen, dessen Lehrstuhl ich jetzt einnehme.
Der beklagenswerthe Mann sollte nicht vergebens an meine Freundschaft appellirt haben. Ich reiste also ab.
- ↑ Die Namen dieser Schilderung sind ohne Ausnahme fingirte.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_199.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)