Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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dieselbe auf die ihm angemessen scheinende Zeit verlegen kann, eine gemeinsame Ruhe also nicht erzielt wird. So kommt es, daß im Regierungsbezirk Königsberg, Gumbinnen etc. der Krebsfang für Mai und Juni, die beste Krebszeit, verboten ist, während in anderen Gegenden der April, der August oder gar der September für die Schonzeit bestimmt worden ist.
Die Oder hat früher größeren Krebsreichthum aufzuweisen gehabt, als jetzt. An der Abnahme jedoch sind natürliche Ursachen schuld: Gewitter zur Laichzeit, schlechtes Wasser etc., denn kein Fluß wird seit Urzeiten durch die Jagd auf seine Bewohner wohl so viel ausgenützt, wie die Spree – in dem kleinen Orte Beeskow wohnen allein vierzig Familien, die sich vom Fisch- und Krebsfang recht gut ernähren – und jetzt noch hat sie mächtigen Reichthum an großen und schönen Krebsen. Aus einem See bei Feldberg in Mecklenburg werden seit dreißig Jahren unausgesetzt Krebse genommen, ohne daß irgendwie eine Abnahme sich bemerkbar machte.
Schon lange ging unser Gewährsmann damit um, die Krebse, welche er im August und September in so großen Mengen erhält, daß ihre Anzahl für den augenblicklichen Bedarf zu groß ist, für den Winter aufzubewahren. Er wählte im Jahre 1873 einen kleinen See bei Biesenthal von zwei Morgen Ausdehnung und außerordentlicher Tiefe. Von zehntausend Schock, welche hineingesetzt wurden, starben, trotz guter Fütterung und Pflege, über die Hälfte. Der nächste Herbst brachte noch spät sehr heiße Tage; tausende von Krebsen krochen wunderlicher Weise auf’s Land und starben. Endlich schien das schöne klare Wasser bei Hoppegarten der rechte Ort zu sein. Das Fließ wurde mit Schleußen und Gittern versehen und im Herbste wurden achttausend Schock hineingesetzt, doch der Boden war sehr weich – und die Krebse gruben sich in die Ufer; bald hatte ihre Legion den ganzen Uferrand unterminirt; derselbe stürzte zusammen, und die Thiere kamen um. Jetzt sind die Ufer und die Sohle mit Holzwänden bedeckt. Eine Lage Kies wurde hineingeschüttet. Jede der zehn Abtheilungen kann zwölfhundert Schock aufnehmen, und seit dem Monat November bis Anfangs Februar haben die schmackhaften Insassen nicht weniger als vierzig Wispel Runkelrüben verspeist.
Wir bewundern den großartigen Handel New-Yorks mit Austern, staunen über die Ausdehnung der Schlächtereien in Fray Bentos, Chicago und Ohio, der Sardinenfischerei Frankreichs, des Hummerfangs an Schwedens Küsten – nun, wir können doch wohl auch stolz sein auf den in der Welt einzig dastehenden Krebshandel Berlins, welcher besonders durch die Ausdauer und das Verständniß eines einzelnen Mannes zur Blüthe gekommen und welcher bei uns wie in der Ferne gar vielen Menschen das tägliche Brod verschafft.
Reuter und die Reuter-Propaganda. (Mit Abbildungen S. 184 und 185.) Die Erfolge Reuter’s sind, um in der Sprache pickelhaubentragender Junker zu reden, wahrhaft „pyramidal“. Der Verfasser der „Stromtid“ ist wohl der populärste Autor der Gegenwart. Nicht nur Buchhandel und Presse haben den Namen und die Werke des mecklenburgischen Jean Paul’s in aller Herren Länder getragen, die Propaganda für diesen Dichter aus dem Lande der Obotriten hat sich das seit den letzten Jahrzehnten bei uns so modern gewordene literarische Wanderapostelthum in durchschlagender Weise dienstbar gemacht und damit Erfolge erzielt, wie sich deren kaum ein anderer Schriftsteller von heute rühmen kann. Schon ein Blick in unsere großen und kleinen Zeitungen vom letzten Winter, in Berliner und Hamburger, Dresdener und Leipziger Tageblätter, genügt, um uns zu zeigen, daß Kräpelin, Glöde und andere plattdeutsche Vorleser den Reuter’schen Humor und die Reuter’sche Gemüthsinnigkeit auf das Glücklichste in die weitesten Kreise zu colportiren wissen. Nicht nur auf dem mütterlichen Boden der niederdeutschen Literatur, in Norddeutschland, auch im Süden und den äußersten Grenzmarken des deutschen Reiches nach Osten und Westen – was sagen wir? – weit darüber hinaus, überall, wo die deutsche Zunge klingt, wirbt die Reuter-Gemeinde von Jahr zu Jahr neue Mitglieder. Die gelehrte Forschung selbst hilft mit dazu. Lexika und Commentare sind geschrieben worden, um dem nicht plattdeutschen Publicum das Verständniß des genialen Humoristen näher zu rücken, und wie man früher englische Sprachstudien trieb, um Shakespeare’s „Hamlet“ und „Romeo und Julia“ zu verstehen, so befleißigen sich heute unsere süddeutschen Landsleute und außerdeutschen Sprachgenossen, ja die Angehörigen fremder Nationen des Plattdeutschen, um die Bekanntschaft Onkel Bräsig’s zu machen, dieses freundlich schmunzelnden Alten mit dem heiter-traurigen Blicke des Humors, und um mit dem gemüthstiefen Havermann niederzusitzen an der Bahre seines zu früh dahingegangenen Weibes.
Aber das lebendige Wort ist mächtiger als der todte Buchstabe, zumal bei Dialektdichtungen, welche so sehr auf den charakteristischen und localgetreuen Vortrag angewiesen sind, wie die Reuter’schen Prosadichtungen. Wie sehr dieselben durch entsprechenden Vortrag gehoben werden, mit einer wie packenden Wirkung sie aus dem Munde eines dem Dichter gemüthsverwandten Vorlesers den Hörern in Ohr und Herz greifen, das beweisen vor Allem die Vorträge des schon erwähnten Kräpelin. Wir sind Zeuge solcher von Genanntem veranstalteter Reuter-Abende gewesen. Das Publicum – Repräsentanten aller Stände – war geradezu elektrisirt. Humor und Ernst, bei Reuter so wunderbar gemischt, zeigten sich in ihren ausgesprochensten Wirkungen, und oft war das Auge noch naß, wenn der Mund sich schon eines ausbrechenden Gelächters nicht mehr enthalten konnte. Man hatte ein Schauspiel im Schauspiel; denn nicht nur der eigentliche Acteur, der in Mienen und Gesten sehr bewegliche Vorleser, spielte, es spielten alle Anwesenden mit. Eine Fülle von charakteristischen Aeußerungen innerer Theilnahme an den Gegenständen des Vortrags in Gesichtern und Körperhaltungen – das Auditorium bildete eine wahre Fundgrube für Charakterstudien. Wir mußten lebhaft an Hogarth’s „Lachendes Parterre“ denken. „Wer da zeichnen könnte!“ war mehr als einmal unser Gedanke, unser Wunsch.
Wir haben ihn nicht allein gehegt, diesen Wunsch. Ein Anderer hat ihn auch genährt, und der war glücklicher als wir – er hatte die Fähigkeit ihn auszuführen; der Maler Erdmann Wagner in München, dem wir unsere heutigen trefflichen Zeichnungen, „Charakterköpfe aus einer Vorlesung Fritz Reuter’schen Dichtungen“, verdanken. Die Bilder sind, wie die dichterischen Schöpfungen selbst, denen sie indirect ihre Entstehung zuzuschreiben haben, dem Leben nachgezeichnet, und darum legen wir, ohne den Versuch zu machen, ihnen ein Wort weiterer Erklärung beizugeben, die Feder fort – denn was lebt, erklärt sich selbst.
Ein mechanischer Maurer. Für die am Webstuhle der Zeit sitzenden Dampf-Titanen hat es beinahe etwas Unheimliches, immer noch gewisse Arbeitszweige sehen zu müssen, denen sie mit ihren Maschinen nicht nachhelfen können, z. B. das Baugewerk. Ein englischer Ingenieur, Dr. Lardner, berechnete vor einigen Jahren, daß man, um jeden Stein der großen Pyramide von Gizeh an seine Stelle zu bringen, das heißt zur Aufthürmung einer Last von circa 255,200,000,000 Centner Gestein, mit 480 Tonnen Kohle und einer Handvoll Leute zur Bedienung der Dampfhebezeuge ausgereicht haben würde. Aber wenn wir bedenken, daß Lardner, seine Rechnung als richtig angenommen, mit seinen Dampfhebezeugen den größten Theil jener 100,000 Arbeiter, welche nach Herodot zwanzig Jahre lang am Bau dieser Pyramide beschäftigt waren, brodlos gemacht haben würde, so erkennen wir, daß es eine wahre Wohlthat ist, wenn die Maschinen noch hier und da der Menschenhand etwas Arbeit übrig lassen. Denn ohne Zweifel trägt das Überhandnehmen der Maschinen-Arbeit seinen reichlichen Antheil an der Ueberproduction und Krisis unsrer Tage.
Der „mechanische Maurer“ des Herrn C. Franke in New-York kann daher nicht auf unsre besondern Sympathien rechnen; er ist um mehr als sechs Jahre zu spät zur Welt gekommen. Diese Maschine, welche über die Mauer hinläuft, fein säuberlich einen Ziegelstein nach dem andern in seine richtige Lage bringt, mittelst eines Mörtelrandes kunstgemäß verkittet, und wenn sie eine Lage gelegt hat, wieder denselben Weg zurückgeht, um eine neue Schicht zu legen, dieses Muster eines gleichmäßig fortarbeitenden, mit Frühstücken, Vespern, Prisenehmen und Pfeifeanstecken keine Zeit verlierenden, niemals ausruhenden oder gar streikenden Gesellen mag in der Zeit der Milliarden und Bauspeculationen manchem Bauherrn, dem seine strikenden Arbeiter das Messer an die Kehle legten, in seinen Träumen erschienen sein – heute läßt sie uns ziemlich kalt. Ja, wir wünschen vielmehr, daß man sie nicht so weit vervollkommnen möge, daß der Baumeister sich nur, wie weiland Amphion, an eine Claviatur zu setzen braucht, um die Werkstücke in schönster Ordnung antanzen zu lassen; mögen die Dampfmaschinen Ziegel pressen und wie auf dem Kölner Dom die Werkstücke aufwinden, aber die übrige Arbeit den bewährten Kräften überlassen, wenn sie auch etwas mehr Ueberlegung, Pfeifenqualm etc., als zur Festigkeit des Baues unbedingt nöthig erscheint, einmauern sollten!
Unser Artikel über Schloß Monbijou (in Nr. 10) kam gerade rechtzeitig, denn, wie die Zeitungen melden, wird am Geburtstage des Kaisers in dem erwähnten Schlosse das Hohenzollern-Museum eröffnet werden, mit dessen Einzelheiten sich der genannte Artikel beschäftigt. Ob aber, was die äußere Anordnung der Erinnerungen an das preußische Königshaus in Monbijou betrifft, unsere Schilderung noch heute ein in allen Einzelheiten zutreffendes Bild entwirft, das vermögen wir nicht zu constatiren, da die Arbeit sich bereits seit etwa einem halben Jahre in unseren Händen befindet und inzwischen schon mancherlei Aenderungen haben stattfinden können.
W. Z. in L. Ihren Wunsch, über einige bisher noch wenig bekannte Lebensepisoden Kaiser Wilhelm’s unterrichtet zu werden, finden Sie schon in Nr. 12 unseres Blattes erfüllt.
M. I. in H . . g. E. E. 20., E. M. in Heidelberg, G. T. und Arnold. Nicht geeignet. Verfügen Sie gefälligst über das Manuskript!
U. Bgl. in New-York. Die Prairiehühner sind hier eingetroffen, zwar mit eigenthümlich penetrantem Schiffsgeruch, aber völlig frisch und äußerst wohlschmeckend. Vorläufig besten Dank! Brieflich mehr.
C. G. in Kassel. Die Nummer für den 10. März war bei Ankunft Ihres Briefes bereits ausgegeben.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_188.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)