Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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wobei er Eiszäpfchen bildet, die von seltener Regelmäßigkeit sind und dem ganzen Gebilde auffallende Aehnlichkeit mit einem Kamme verleihen, wie es Figur 2 angiebt.
Die dritte Form, oder besser gesagt, das dritte Stadium in der Bildung des Reifeises, welches dasselbe jedoch nur höchst selten erreicht, weil die Bedingungen zu seiner Ausbildung nicht häufig vorhanden sind, entsteht folgendermaßen:
Nachdem die Kammform zu ihrer völligen Ausbildung gelangt ist, erhellt sich manchmal der Himmel, und die Sonne beginnt zu scheinen. Während ihre Strahlen der durchsichtigen Eiswulst über und dem Eiszapfenkamme unter dem Telegraphendrahte nichts oder nur wenig anhaben können, bescheint sie durch das glasklare Eis den dunkeln Telegraphendraht und erwärmt ihn derartig, daß seine feste Verbindung mit dem Eise aufgehoben wird. Die Folge davon ist, daß sich das ganze Eisgebilde in der frühern Lage nicht mehr halten kann, denn die Eiswulst ist um ein Bedeutendes schwerer, als der Kamm unter ihr; das ganze Reifeis dreht sich auf dem Drahte um hundertachtzig Grad; es kippt um; die Wulst hängt unten, und der Eiszapfenkamm steht gerade nach oben.
Tritt jetzt wieder Regen ein, so entsteht auf der Unterseite der Eiswulst, also entgegengesetzt dem ersten Eiszapfenkamme, ein zweiter Kamm, wodurch das Reifeis in seiner Form ganz auffallend dem hintern Theile eines Fischgerippes ähnlich wird. Diese Aehnlichkeit wird noch vermehrt durch eine etwas geneigte Stellung der Eiszapfenreihen, die dann entsteht, wenn während ihrer Bildung ein Wind in der Richtung der Telegraphenleitung wehte. Ich habe letzteres in Figur 3 angedeutet. Wie es mir erschienen ist, kann sich das eben beschriebene dritte Stadium des Reifeises auch dann bilden, wenn Sonnenschein vom obern Kamme und der Eiswulst etwas Eis schmilzt, das dann unterhalb letzterer, im Herabträufeln gefrierend, die zweite Zapfenreihe bildet.
Eine weitere Formenausbildung findet nicht statt, und das Reifeis hängt nun so lange am Drahte, bis Sonnenschein bei nicht zu kalter Witterung eintritt. Dieser erwärmt den dunkeln Draht im durchsichtigen Eise derart, daß letzteres um ihn herum etwas zu schmelzen und sich vermöge seiner großen Schwere so lange zu senken beginnt, bis der Draht in den äußersten Spitzen des obern Eiszapfenkammes liegt, worauf das Reifeis endlich abfällt.
Die Wirkungen des Reifeises auf die Telegrafenleitungen des indo-europäischen und des russischen Staatstelegraphen waren nach der Qualität dieser beiden Linien sehr verschieden. Erstere hat (bis vierzig Werst hinter der Stadt Cherson) eiserne Pfosten. Diese sowohl wie auch die beiden starken Leitungsdrähte hielten der ungeheuren Last des Reifeises wacker Stand, wenn sich auch die Drähte stark gedehnt hatten. Nur bei Winkeln der Linie hatten die gut befestigten Eckpfosten nicht immer dem gewaltigen Zuge nach einer Seite Widerstand leisten können. Sie hatten nachgeben müssen, und mit ihnen war dann eine ganze Reihe ihrer Nachbarpfosten schiefgezogen.
Der dem indischen Telegraphen parallel laufende russische Staatstelegraph mit seinen Eichenpfosten und den vier Leitungen sah dagegen trübselig aus. Die immer etwas krummen Eichenpfosten hatten der Eislast der vier Drähte nicht überall widerstehen können. Sie lagen streckenweise entweder umgerissen oder in der Mitte zerbrochen am Boden, und wo sie stehen geblieben waren, lagen die im Vergleiche mit den indischen Leitungen schwachen Leitungsdrähte wie Spinngewebe zerrissen auf der Steppe oder waren bis zum Erdboden herab durch die daran haftende Eislast ausgedehnt.
Die Pfosten beider Telegraphenlinien waren auf der Windseite mit einer mehrere Zoll dicken Eiskruste bedeckt, die vom Boden anfangend bis zu den Isolatoren hinauflief und sich hier mit dem Reifeise der Drähte verband, wodurch namentlich bei etwas weicherer Witterung an jedem Pfosten eine völlige Erdverbindung, das heißt Aufhebung der Isolation der Drähte entstand.
Bei dieser Erscheinung machte sich nun wieder ein neuer, gewiß noch wenig bekannter Vortheil der eisernen Pfosten gegenüber den hölzernen bemerkbar. Während nämlich letztere ihre einseitige Eiskruste wochenlang behielten, stießen jene das Eis bei den ersten sich zeigenden Strahlen der Sonne ab; sie erfuhren nämlich bei ihrer schwarzen Farbe und der sich im Eisen leicht und rasch vertheilenden Wärme durch die Sonnenstrahlen eine solche Temperaturerhöhung, daß sich das der Stange anliegende Eis ausdehnte und die ganze Eiskruste sich krumm bog, von dem Pfosten ablöste und abfiel. Die schwarzen Eisenpfosten sind also für diese Gegend ganz besonders den Holzpfosten vorzuziehen.
Es bleibt mir nun noch übrig, einige Worte über die verwüstenden Wirkungen des Reifeises auf die Vegetation zu sagen, welche in unsern baumarmen Steppengegenden sehr schwer empfunden werden, weil hier das Erziehen eines Baumes mit ganz besonderen Schwierigkeiten verbunden ist. Da sich um jeden auch nur einige Linien im Durchmesser habenden Baumzweig eine bis zwei und drei Zoll im Durchmesser haltende Eisschicht bildete, so wurden z. B. sämmtliche Bäume (weiße Akazien, Robinia pseudacacia) der Stadt Cherson des größten Theiles ihrer Aeste beraubt, schwächere Stämme aber erbarmungslos niedergebrochen. In den Ostgärten, die das Ansehen eines ungeheuerlichen gläsernen Waldes annahmen, blieb nur derjenige Theil der Bäume verschont, deren Aeste, mehr in senkrechter Richtung gewachsen, die ihnen anhaftende Last besser balanciren konnten. So überstanden namentlich Birnbäume und Süßkirschen das Unglück verhältnißmäßig gut, während die sich mehr horizontal ausbreitenden Aepfel- und Aprikosenbäume größtenteils zusammenbrachen.
Am letzten Fasching-Montage wogte in den Räumen des Wiener Künstlerhauses eine fröhliche, elegante Menge. Die Genossenschaft feierte ihr Carnevalsfest unter dem Titel einer Rundreise durch Italien und den Orient. Wunderbare Ansichten von Venedig, Neapel, Constantinopel und Kairo waren mit ebenso viel Geschick als guter Laune hergestellt. In einem Zimmer sah man die neuesten Ausgrabungen Schliemann’s in Mykenä – Basreliefs von überraschendem Realismus der Durchführung. Ein anderes Gemach war in den Palazzo Pitti und die Uffizien zugleich verwandelt. Hier hingen an den Wänden die unglaublichsten Kunstwerke, Schöpfungen des übermüthigen Humors, bei deren Anblick auch der trübste Hypochonder in ein helles Gelächter ausbrechen mußte. Ich stand gerade vor einem „Titian“ und bewunderte die gelungenen Caricaturköpfe Schilcher’s, Felix’s und Streit'’s, die hier das „Vergnügungscomité von 1577“ vorstellten. Da legte sich eine Hand auf meine Schulter, und eine wohlbekannte Stimme fragt:
„Nun, wie geht es Ihnen?“
Ich wende mich um und sehe Mosenthal hinter mir stehen, mit seinen rothen Backen, seinem rothen Barte, seiner gedrungen-behäbigen Gestalt, ein Bild der Gesundheit und Frische, der zufriedensten Weltanschauung. Als ich, wie gewöhnlich, über all’ das Leiden klagte, tröstete er mich und meinte:
„Ich habe allerdings leicht reden; ich bin immer gesund.“
Es waren die letzten Worte, die ich aus seinem Munde vernahm. Das Gewühl trennte uns, und wir fanden uns an jenem Abende nicht mehr zusammen. Den folgenden Samstagmorgen war er todt. Der Mann, der nie krank war und mit fünfundfünfzig Jahren fast wie ein Jüngling aussah, litt an einem Herzfehler, von dem er selbst keine Ahnung hatte, und plötzlich, nach kaum zweitägigem Unwohlsein, raffte ihn der Tod hinweg. Er starb in den Armen eines Dieners, denn seine Frau war ihm in jugendlichen Alter vorangegangen, und seitdem lebte er einsam. Er besaß die gleichmäßige Stimmung und die ruhigen Gefühle, die solches Alleinsein leichter ertragen lassen. Zufrieden, daß ihn Abends ein Kreis von Freunden oder eine bekannte Familie ansprachen, ohne jene tiefe Innerlichkeit, der ein eigener Herd unumgänglich nothwendig ist, lebte er scheinbar ganz vergnügt
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_181.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)