Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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Kopfe und überschwänglich breit sich entfaltendem Schirm, von maisgelben Seidenbändern umflattert! Hier der unförmig große Reithut von schwarzem Filz, der sie doch so besonders schön gekleidet haben soll. – In dem Schranke nach links ruht manches Blatt, von ihrer Hand geschrieben. Bruchstücke eines französischen Tagebuches, voll orthographischer Fehler, das dann plötzlich abbricht, als sei die fremde, kalte Sprache dem deutschen Herzen doch gar zu sehr entgegen gewesen. Ein Heftchen in Octavformat trägt die Aufschrift: „Religiöse Fragen und Antworten, angefangen den 7. April für Luise von Mecklenburg-Strelitz 1789.“ – Auch ein gedrucktes Büchelchen lehnt gegen die Scheiben des Schrankes. „Journal des Luxus und der Moden“ steht auf seinem ziegelrothen Umschlage. Unter den mannigfachen Gegenständen aus dem Besitze der Königin, die hier aufbewahrt, fällt auch ein ausgestopfter Vogel auf. Vielleicht ein Lieblingsthier, an dem sie Freude gehabt und dessen todte Hülle sie sich noch erhalten wollte?
Im rechten Winkel zu diesem Schrank, an der dritten Wand, steht der Schreibtisch, gleichfalls ein kleines, leichtes Möbel von ähnlicher Arbeit wie der Flügel ihm gegenüber. Zwei Pastellbilder sind dort aufgestellt; das eine, von Schröder, das uns die Königin, einen dunkelblauen Mantel um die Schulter geschlagen, im Profil zeigt, ist durch zahllose Vervielfältigungen bekannt; das andre, ein feines, farbenzartes Köpfchen, wurde von Bardou im Jahre 1796 gemalt. Eine zweite Thür folgt; neben ihr, dicht an dem vorher erwähnten, die Ecke bildenden Fenster, hängt ein lebensgroßes Portrait der Oberhofmeisterin Gräfin Voß, gebornen von Pannewitz, der treuesten Freundin, welche die preußische Königin in guten und in bösen Tagen besessen hat. Am Fenster selber lehnt der Stickrahmen. Noch ist feiner Stramin darin eingespannt und die lose hängenden Seidenfäden deuten das begonnene Muster an. Welche Gedanken mögen hineingenäht sein in diese steifen Figuren, diese verblichenen Rosen?
Zwischen dem Fenster und der ersten Eingangsthür, hinter dem Arbeitsplätzchen der Königin, steht mit dunkelgrünem Seidenzeug überspannt die Wiege ihrer Kinder. – Mit ihr schließt sich und in ihr gipfelt die kleine und doch so inhaltreiche Welt, die hier aufgebaut wurde zu Luisens Angedenken und die ihr ganzes Leben wiederspiegelt: ihre Schönheit, ihre häuslichen Tugenden, die Freundschaft, die sie mit unverbrüchlicher Treue zu pflegen wußte, das tief religiöse Gefühl, welches, zeitig in ihr geweckt, ihr Schutz und Schirm blieb in den Stürmen des Lebens, Kunst und Anmuth und endlich die Mutterliebe, die sie treu geübt, zum nachhaltigen, weitgreifenden Segen für die eigne Familie, wie für Deutschlands glorreiche Zukunft.
Es bietet sich noch viel Anziehendes, Interessantes, wenn man aus dem kleinen gelben Zimmer weiter wandelt durch das Schloß; die Empfindung freilich, welche jenes friedliche Heiligthum im Herzen des Beschauers geweckt, wiederholt sich nicht. Dagegen fände der historische Forscher immer noch ein reiches Feld des Studiums. Hier sind die Zimmer Friedrich’s des Großen mit seiner Todtenmaske, seinen in Wachs bossirten Händen, dem Feldbette und der Wiege, dem Schimmel Condé, den er in der Schlacht von Kunersdorf geritten. Ein umfangreiches Oelbild seiner Gouvernante, Madame de Roccul, sieht aus wie die Feierlichkeit selbst. Ein andres, seines Erziehers Jordan, dagegen, von Pesne gemalt, ist sehr fein und geistvoll. Auch das Zimmer seiner Mutter ist merkwürdig, in allen vier Ecken desselben spitze hohe, fast bis an die Decke reichende Etagèren mit chinesischem Porcellan, an der Mittelwand das sogenannte Thee-Canapé, dessen steiflehnige, großgeblümte Polster an den Seiten von verschließbaren Fächerschränken eingeklemmt werden, in denen die Hofdamen die Handarbeiten, mit denen sie sich beim Thee beschäftigten, aufzubewahren pflegten.
In naher Nachbarschaft zu diesem Gemache befindet sich noch ein Luisen-Zimmer, aber es bringt uns nicht die lebende, sondern die schon heimgegangene Königin zur Anschauung. Ein hoher, kuppelartiger Bau, empfängt es sein Licht von oben. Die Wände sind Spiegel. Zwei Gypsabgüsse, nach den beiden Rauch’schen Monumenten des Königs und der Königin im Mausoleum zu Charlottenburg, stehen in seiner Mitte auf einer Decke von verschossenem lila Sammt, über der sich zwischen den Monumenten verdorrte, gelbe Palmenzweige – vielleicht noch von der Bestattung selber her kreuzen. Rechts ist die Kolossalbüste der Königin von Rauch (1806) aufgestellt; ein classischer Kopf von vollendeter Arbeit, der aber in seiner strengen Schönheit die Luise nicht wiedergiebt, wie sie in unsren Herzen lebt. Vertrauter lächelt uns links das Portrait der Königin (1802), von dem Italiener Grassi in Dresden gemalt, entgegen.
Vor diesem zweiten Luisen-Zimmer streckt sich eine lange, mit Sculpturen fast überfüllte Galerie hin. Sie enthält, theils im Originale, theils in Gypsabgüssen, Portraitköpfe berühmter Männer und Frauen, die dem Königshause nahe gestanden oder sich allgemeine Verdienste im Lande erworben haben: Gelehrte, Künstler und Künstlerinnen, Minister, auch Fürsten selber, aus alter bis in die neueste Zeit. Nicht beziehungslos ist es, daß man Wrangel’s alten Soldatenkopf und die Büste der Oberhofmeisterin Gräfin Voß geschwisterlich nebeneinander auf die Console gestellt hat. Langjähriger und treuer, als diese Zwei, haben wohl Wenige Preußen und seinem Königshause gedient.
Sehr merkwürdig in dieser Sammlung ist auch Napoleon’s des Ersten prachtvolle Marmorbüste von David, die aus St. Cloud im letzten Kriege als Trophäe hierher gebracht wurde.
Wie wir nun weiter und weiter die Säle und Gemächer des Schlosses verfolgen, greift auch die Zeit immer weiter zurück, die uns in ihnen zur Anschauung kommt. Im Zimmer Friedrich Wilhelm’s des Ersten steht am Fenster eine schwerfällige Drehbank aus dunklem Holz, ein Geschenk Peter’s des Großen, und in der Mitte, von Stühlen umgeben, die lange Tafel des Tabaks-Collegiums. Tisch und Stühle sind grau angestrichen und in bäurischem Geschmack mit großen bunten Blumensträußen bemalt. Die Stühle alle haben hohe Lehnen, nur der des Königs nicht. Friedrich Wilhelm der Erste hatte, um sich den Zopf nicht zu derangiren, immer gern den Rücken frei. Hinter dem fröhlichen Tabaks-Etablissement drückt sich in die Zimmerecke der Tisch, an dem Katte’s Todesurtheil unterzeichnet wurde: eine düster schaurige Erinnerung neben der heitersten.
Der lange, bunt decorirte Saal im letzten Flügel des Schlosses zeigt uns, außer architektonischen und Schiffsmodellen, eine Sammlung königlicher Schlitten, Jagd- und Gartenwagen. Wie wechselnd hat die Phantasie auch auf diesem Felde im Laufe der Jahre gespielt! – Fast an jedes einzelne der Stücke hier knüpft sich eine Historie, irgend welche Eigenthümlichkeit einer Person von Bedeutung. Besonders groß und geräumig ist der Kriegsschlitten, in dem der große Kurfürst über das Kurische Haff gegen den Schweden gefahren. Am Ende des Saales steht der erste preußische Königsthron. Und daß auch der Sage ihr Recht gegönnt sei, zeigt man uns noch die Sänfte der „weißen Frau“.
Wie bunt und anziehend aber auch die Vielseitigkeit der Eindrücke hier, wie großartig das Ganze, wie fesselnd das Einzelne – am liebsten wendet sich doch der Blick zurück in das kleine, stille Luisen-Zimmer, zu einer Vergangenheit, die deutschen Herzen nie vergehen, sondern in der Liebe des Volkes ewig weiter leben wird. Große Namen, große Thaten sind es, von denen die weiten Räume hier und ihr Schmuck erzählen; in dem kleinen Zimmer aber „zieht uns das Ewig-Weibliche hinan“ und webt über allen Erdenruhm und alle Erdengröße hinaus die goldnen Seelenfäden, die das Irdische dem Himmlischen verbinden.
Pierre des Piliers,[1] ehemaliger Benedictinermönch von Solesmes bei Le Mans, erzählte mir jüngst ein Reise-Abenteuer, welches die Leser der „Gartenlaube“ gewiß mit Interesse vernehmen werden. Die Thatsache ist um so fesselnder, als die Wahrheit derselben durch Herrn de Piliers verbürgt ist.
„Ich stieg in M.“ – erzählte er mir – „in den Zug und war allein in meinem Coupé. Die Nacht war schon hereingebrochen. Durch das offene Fenster sah ich beim Scheine der
- ↑ Verfasser des Artikels „Der Papst und der Peterspfennig“ in Nr. 4 unseres Blattes („Blätter und Blüthen“).
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_166.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)