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Seite:Die Gartenlaube (1877) 160.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

hierher gelangt sind, und das eben war es, was mich wieder an die Geschichte erinnerte. Die Dunker sagen, beides zusammen bedeute den schmalen Weg und die enge Pforte, die in den Himmel führen. Kurzum: Einer von uns hat die Luke geöffnet und ich will eben anfangen, mit den Beinen vorweg in’s Himmelreich zu kriechen, da sehe ich auf einem Tische im Saale eine Figur stehen und predigen, die mir sehr bekannt vorkommt, besonders der Stimme nach, und – seht Ihr, Kinder, es war der Taugenichts, der uns die Pferde gestohlen. – ‚Verdammter Spitzbube!‘ schrie ich jetzt, – aber das hören und wie der Blitz vom Tische herunter springen ist Eins; er reißt eine Thür auf und ist mir aus den Augen. Nun lag ich da eingeklemmt; denn das Loch war zu eng für mich, und hatte meine Noth, rückwärts wieder heraus zu kommen, denn die Gentlemen griffen mir nach den Beinen und hätten mich für die Störung der Andacht am liebsten geprügelt. Es war keine Möglichkeit da, den Burschen einzufangen, doch hoffe ich zu Gott, daß er gleichwohl an irgend einem Baumast hängen geblieben ist.“

Der blonde Friese war nach dieser Erzählung so sehr der Mittelpunkt des kleinen Kreises, daß an Weiterführung der abgebrochenen Debatte lange nicht gedacht wurde; er mußte über allerlei berichten, über gefeierte Helden der Partei, über Parteigeheimnisse und Parteipläne, und er that es in seiner derben, oft burlesken Weise. Er sprudelte von Anekdoten aus dem Treiben des demokratischen Kleinbürgerthums. Als man später auf den Vorschlag Urban’s zurückkam, war man nicht mehr in der Stimmung, ernstlich auf denselben einzugehen; auch fand man, daß ein solches Wagniß, wie eine revolutionäre Erhebung, in ausreichenderem Maße vorbereitet werden müsse, und daß die Zeit bis zu dem festgesetzten Termine zu kurz dafür bemessen sei. Vergebens schlug sich Harro auf die Seite Urban’s, der mit steigender Empfindlichkeit seine Idee verfocht; die bestimmte Weigerung Karl Hornemann’s, seine Hand dazu zu bieten, genügte, um bei der Abstimmung eine entschiedene Ablehnung herbeizuführen. „Der Staat ist gerettet; ich danke Ihnen in seinem Namen, meine Herren,“ sagte Urban bitter, indem er nach seinem Hute griff.

Der Morgen graute bereits, als man sich anschickte, noch ein Paar Stunden Nachtruhe zu genießen. Die Gäste blieben fast sämmtlich im Wiedenhofe, wo für solche Fälle das Genügende vorgesehen war. Der Friese küßte den Pascha mit derber Zärtlichkeit, als dieser von ihm ging. „Karl,“ meinte er, „wenn es einmal losgeht im heiligen römischen Reiche, dann komme ich zuerst hierher und schlage mich mit Euch. Der Geier mag wissen, warum ich Dich so in’s Herz geschlossen habe, denn im Grunde bist Du doch ein Diplomat und Federfuchser. Adieu, Don Carlos:

Heute scheid’ ich, heute wandr’ ich,
Keine Seele weint um mich – –

Apropos, was ist denn aus Deiner Schwester geworden, Milli glaube ich hieß sie; sie war ein schmucker Backfisch, wie ich sie das letzte Mal gesehen habe, und ich dachte, sie müßte ein schönes Mädchen werden. Teufelsding das! Ich habe es damals nicht fertig bringen können, daß sie sich die Hand küssen ließ.“

„Ein schönes Mädchen ist sie geworden, Harro, ein sehr schönes,“ sagte Karl Hornemann, und sein Herz zog sich zusammen, „Leb’wohl, Harro!“

„Bekomme ich sie zu sehen, wenn ich wieder einmal hier einkehre?“

„Wenn es möglich ist.“

Karl Hornemann war schon zehn Schritte den Corridor hinunter gegangen, als er dies sagte. Er stieg ganz allein eine schmale Seitentreppe nieder in jenen Durchgang, vor dessen Thür wir zuerst dem Polizeicommissar Donner begegnet sind. Zu dieser Thür besaß der Pascha einen Schlüssel. Er war in Gedanken versunken, als er den Gang betrat, und schrak ein wenig zusammen, denn plötzlich fiel sein Blick auf eine menschliche Gestalt, die sich ihm zuwandte.

Es war Urban, der ihn offenbar hier erwartet hatte.

„Du kannst mich mit Dir zusammen an die Luft fördern, Karl,“ sagte derselbe mit erkünstelter Ruhe; „ich beabsichtige, gleichfalls nach Hause zu gehen.“

„Gut,“ war die lakonische Antwort.

Sie traten hinaus auf die Wallstraße. Karl Hornemann nahm kühl die Hand, die Urban ihm reichte; dafür ergriff dieser die seinige um so fester und sagte: „Ich muß klar sehen zwischen uns und wissen, wie ich mit Dir daran bin. Du hast mir oben wie einem Feinde Opposition gemacht; ich glaube fast, daß meine Idee nur darum Deine Billigung nicht fand, weil ich es war, der sie aufstellte.“

„Du irrst,“ antwortete der Pascha; „ich pflege nie die Sache mit der Person zu vermengen.“

„Es wäre mir doch lieb, zu erfahren, wie Du Dich nach dem Vorgefallenen zu meiner Person zu stellen gedenkst,“ fuhr der Doctor dringender fort.

Der Andre war sichtlich erschüttert und rang nach Worten: „Du bist mir lieb gewesen, Heinrich, sehr lieb. Meine Schwester habe ich verloren, und es ist mir bitter, auch Dich verlieren zu müssen. Hoffen wir, daß die Alles heilende Zeit uns einander wieder nahe führt! Ein Band wird uns, denke ich, immer verbinden: das Vaterland, Heinrich. Laß uns friedlich verkehren in Arbeit und Sorge um seine Zukunft und Größe – das ist mein inniger Wunsch. Leb’ wohl!“

Er entzog Urban seine Hand und schritt gesenkten Hauptes langsam zur Brücke hin.

Die Straßen lagen in der ersten Frühhelle; ein kühles Morgenlüftchen wehte erquickend vom Canale her. Auf dem Dachfirste eines Hauses saßen zwei Rothschwänzchen und wippten auf und nieder und stießen ihre kurzen hellen Triller aus.

Urban blickte dem Geschiedenen nach und unterdrückte gewaltsam eine wärmere Empfindung, die in ihm aufquellen wollte. „Lieber Sohn,“ sagte er durch die Zähne, „wir werden einmal sehen, ob wir nicht ohne Dich einen Aufstand fertig bringen.“ –

Vier Stunden später zog der Friese Harro die Kaiserstraße hinunter, einen derben Knotenstock in der Faust, während eine Ledertasche an einem Riemen über seiner Schulter hing – die Mädchen, welche ihm begegneten, blieben bewundernd stehen, als die hohe, breitschultrige Gestalt mit den auffallend hellen blonden Locken vorüberschritt. An einem Hause schien ihn die Eingangsthür zu interessiren, und er bog von dem Fahrwege ab und stellte sich vor derselben auf. Es war eine Treppenthür mit gut gearbeiteten Sandsteinkaryatiden zur Seite, welche einen Balcon voll von Orangebäumen trugen. Er las den Namen des Besitzers an dem Glockenzuge: K. Seyboldt, Commerzienrath. Dann schritt er an den Gitterstäben des geschlossenen Hofthors vorbei, und als er an die Ecke des Fabrikgebäudes gelangte, stieß ein Mensch mit ihm zusammen, der in heftiger Eile auf die Straße einlenkte. Es war Bandmüller. Von dem Stoße zurückprallend, blickte dieser den Riesen, der um keinen Zoll wankte, aus seiner Wildniß von Gesicht ziemlich wüthend an, und schoß, ohne ein Wort zu sagen, vorüber. Harro wandte sich plötzlich um und spähte in voller Ueberraschung hinter dem Davoneilenden drein, indem er zugleich die Hand an die Stirn legte.

„Donnerwetter, den Menschen muß ich schon einmal gesehen haben, oder Jemanden, der ihm ähnlich sieht. – Ah so,“ meinte er endlich vor sich hinlachend, „er hat einige Aehnlichkeit mit dem Spitzbuben von Iowa.“ Und er drehte sich auf dem Absatz um und schlenderte weiter, auf die Landstraße hinaus und den Fluß entlang.

(Fortsetzung folgt.)




Ave Maria!


Der Berge Riesenhäupter strahlen
Noch von des Tages Scheidekuß;
Tief aus den Schlünden, aus den Thalen
Aufsteigt die Nacht mit leisem Gruß,
     Und drunten tönt von der Capelle
     Am Felsenrand das Glöcklein helle:
          Ave Maria!

Komm, Gritli! Schallt Dir nicht zum Ohre
Der traute Laut? Komm zu der Statt,
Wo zum Gebet die Felsempore
Gott selbst uns ausgerichtet hat!
     Wie tief herauf die Töne dringen,
     Sie sind des Engelgrußes Schwingen:
          Ave Maria!

Ob Säulen gleich die Berge ragen
Fast über Wolk’ und Mond hinaus –
Zu groß ist für des Herzens Zagen
Solch unermeßlich Gotteshaus.
     Der Glaube und die Liebe treten
     Gern in den kleinsten Raum und beten:
          Ave Maria!

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_160.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2019)