Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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des Wortes drangen fast gar nicht in seine engumfriedete Einsamkeit. Erheiterung quoll ihm einzig aus der ungetrübten Gemüthsruhe. Freudenstrahlen waren ihm nur die Strahlen der wachsenden Erkenntniß. Solch’ ein mäßiges, kampf- und entsagungsvolles Dasein war ihm mit der Zeit so sehr zum Grundsatz geworden, daß es ihm von dem Wesen eines aufrichtig strebenden Philosophen untrennbar schien. Einem gelehrten Freunde, der verschiedene philosophische Fragen an ihn gerichtet, antwortete er: „Ich muß Sie noch darauf aufmerksam machen, daß all’ dies Ihr fortwährendes Nachdenken und die höchste Beharrlichkeit des Geistes und des Willens erfordert; dazu ist vor Allem nothwendig, sich eine bestimmte Lebensweise und Lebensart vorzuschreiben.“
Und in dieser Abgeschiedenheit und beschaulichen Ruhe dachte er himmelstürmende Gedanken, rüttelte er an allen Säulen der bestehenden Weltordnung, untersuchte ihre Tragpfeiler und verwarf viele als morsch und wurmstichig; da reihte er seine knappen Begriffsbestimmungen, Voraussetzungen, Lehrsätze und Beweise in mathematischer Methode und Sicherheit aneinander und fügte diese Steine zu kühnem Baue zusammen; da dachte er über das Weltall oder, was bei ihm dasselbe ist, über Gott; denn Gott und Weltall sind bei Spinoza in ihrem innersten Wesen nicht getrennt, sondern Eins; die Welt ist in Gott; Gott oder die eine untheilbare „Substanz“ ist ihm die innere Ursache alles dessen, was da ist, die Welt aber die Selbstdarstellung Gottes; Materie und Geist, die schroffsten Scheidewände des Materialisten und Idealisten, hat er als in einander greifend aufgefaßt und, wie Keiner vor ihm, innig miteinander verschmolzen –; da stellte er tiefeinschneidende Untersuchungen an über Religion und Moral, über Staat und Politik; hier schrieb er ein System der Ethik, welches die Welt halb in Staunen, halb in Angst versetzte. Alle hergebrachten Ansichten von Tugend, Recht, Liebe und Frömmigkeit verwarf er, verwarf Alles, was man gewöhnlich unter gut und böse, recht und schlecht, schön und häßlich verstand, und sprach doch voll Entzückung von der höchsten Erkenntniß und Liebe zu Gott. Die gewöhnliche Vorstellung von einem persönlichen Gotte verwarf er freilich, und doch galt ihm die Gottheit als erhabener Zielpunkt alles Lebens, Liebens und Strebens. Er verwarf die Willensfreiheit, und doch regiert kein Zufall und macht den Menschen zum blinden Werkzeug eines blinden Fatums. Ueberall durchzieht das All, die Gottheit mit eingeschlossen, eine strenge, ewige Gesetzlichkeit, und dennoch kann der Mensch frei und groß sein – durch Erkenntniß und Liebe.
Gewiß, er war nicht blos ein großer, sondern auch ein ganzer Mann, dieser Spinoza. Seinem kühnen Pantheismus, dessen Kernpunkte wir eben kurz andeuteten, hat er zunächst Gestalt und Bedeutung verliehen – durch seine eigene ihr entsprechende Lebensführung. Er bewies der Welt, daß ein Denker wahrhaft frei denken, die hergebrachten Anschauungen von Gott und Welt, Geist und Stoff, Natur, Recht, Tugend und Willensfreiheit anders auffassen, ja sogar gewaltig daran rütteln und dabei doch ein durch und durch reiner, edler und sittenfester Charakter bleiben könne.
Sowohl dieser letztere Umstand wie die Klarheit, Schärfe und der mathematisch geordnete Aufbau der Gedanken haben dem Spinozismus die größten Geister erobert, nicht blos einen Lessing, Goethe, Schelling, sondern auch heute noch eine beträchtliche Anzahl hervorragender Naturforscher. Anfangs freilich hatte die Eigenartigkeit seines Philosophirens vielfach kein rechtes Verständniß gefunden; Anfragen in Menge wurden an ihn gerichtet, welche er sämmtlich mit stets nachsichtiger Freundlichkeit und seltener Geduld beantwortete.
Betrachtet man nun aber die praktische Seite seiner Lehre, so ist diese nicht zu verwirklichen, außer etwa innerhalb einer Gemeinde von lauter sittenrein lebenden Weisen. Ein ganzes Volk mit spinozistisch-pantheistischer Weltanschauung würde auf die Dauer lebensunfähig sein. Nur die harmlose Natur und lautere Gesinnungsweise eines Spinoza konnte sich über die Gemeingefährlichkeit solcher Weltanschauung in ihren praktischen Folgen und Wirkungen täuschen. Wie aber hätte eine noch glaubenseifrige Zeit, in welcher man um die nichtssagendsten Dogmen heftig stritt und darüber in getrennte Secten auseinanderging, wie hätte eine solche Zeit nicht in leidenschaftlichem Zorne gegen einen Philosophen entbrennen sollen, der mit einem scharfen Luftzuge das Lebenslicht aller bestehenden Religionen auszublasen suchte? Spinoza hat, wie schon gesagt, diesen Eifer verstanden, ihn deshalb auch geschont und jedes directe Aergerniß zu vermeiden gesucht, wie er z. B. der Uebertragung seines theologischen Tractats aus dem Lateinischen in’s Holländische sich widersetzte. Kaum begreiflich ist es daher, daß er gerade seinen Stammesgenossen die Anwendung der damals ganz alltäglichen Achterklärung nicht verzeihen konnte.
Mancher Ausdruck dieser Gereiztheit mag indeß auf Rechnung seiner Krankheit zu schreiben sein, welche ihn frühzeitig altern ließ. Die Hälfte seiner Lebenszeit war sein Körper mit der Schwindsucht behaftet, und wohl nur seiner genügsamen Lebensweise und stillen Zurückgezogenheit – von 1664 an in Voorburg und im Haag – verdankte er die Verlängerung seines Daseins und die rüstige geistige Spannkraft. Sein berühmt gewordener Name gestattete es ihm jedoch nicht, so abgeschieden zu bleiben, wie er es wünschte; es fehlte, wie wir gesehen haben, nicht an häufigen Besuchen von Freunden und namentlich Seitens der fremden Wißbegierigen, die den Meister nicht blos aus seinen Schriften, sondern auch persönlich zu kennen wünschten. Von solchen, wie von den Männern, die schriftlich mit ihm in wissenschaftlichem Verkehre standen, namentlich von seinem reichen Schüler Simon de Fries, ward ihm nach wie vor häufig und in der schonendsten Weise reichliche Unterstützung und wesentliche Verbesserung seiner materiellen Verhältnisse angeboten, consequent aber und oft mit sarkastischen Bemerkungen wies er dergleichen Anträge zurück. Simon de Fries, der unverheirathet geblieben, wollte ihn sogar zum Gesammterben einsetzen. Er schlug dies aber beharrlich aus und bat Simon, seine Brüder nicht zu benachtheiligen. Sein Sinn war nicht auf Erdengüter, nicht auf Geld und nicht auf Ruhm gerichtet; er hatte auch nicht den Ehrgeiz, eine philosophische Schule zu stiften; sein denkendes Leben und Forschen gab seinem Gemüthe volle Befriedigung.
Eine ordentliche Professur in Heidelberg, damals für einen Israeliten ein noch nicht Dagewesenes, welche der Kurfürst von der Pfalz ihm freundlich antragen ließ, schlug er in peinlichster Redlichkeit höflich aus, weil er „nicht wüßte, wie er nach seiner Ueberzeugung offen philosophiren und vortragen solle, ohne Anstoß zu geben.“ Auch glaubte er in der Fortbildung der Philosophie, seiner heiligsten Lebensaufgabe, durch ein öffentliches Lehramt behindert zu werden.
Seine Werke (die „Ethik“ ist nach seinem Tode ohne volle Nennung des Namens, blos unter B. d. S. von seinem bewährten Freunde, dem Arzt Ludwig Meyer, herausgegeben worden) haben schon bei seinen Lebzeiten und unmittelbar nach seinem Tode einen heftigen Sturm der Philosophen und Theologen hervorgerufen. Doch bald ruhten auch diese Werke, wie ihr vielgeschmähter Verfasser, geächtet im Grabe der Vergessenheit, bis ein volles Jahrhundert danach ein erneueter wissenschaftlicher Sturm sie an’s helle Tageslicht zog. Gewiß wäre da über Sinn und Verständniß seiner speculativen Ergebnisse nicht so viel gelehrte Debatte und oft so leidenschaftliche Fehde entstanden, wenn es Spinoza durch eine längere Lebensfrist gegönnt gewesen wäre, seine Ansichten selbst zu erklären. Er ist aber zu früh dem Leben entrissen worden. In seinem fünfundvierzigsten Lebensjahre, am 21. Februar 1677, starb er, wie er gelebt hatte, sanft und still. Einer seiner eigenen Aussprüche (Schluß der Ethik) dürfte seine Persönlichkeit uns am kürzesten in’s Gedächtniß prägen: „Alles Hohe ist ebenso schwer wie selten.“
Jan Maat ist ein eigener Kauz; er schwärmt für „’nen Lütten“, und ehe er ihn weg hat, wird’s ihm auch schwer seine Zärtlichkeit zu verbergen – er mag ihn gar zu gern leiden, nachher aber, da ist ihm eigentlich gar nichts daran gelegen gewesen, und wenigsten schneidet er ein Gesicht, als hätte er Tinte geschluckt. Erst wird das Glas an die Nase geführt, erst mit dem rechten, dann mit
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_151.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)