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Seite:Die Gartenlaube (1877) 123.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


und Schack sah, wie Thränen langsam über ihre Wangen rollten.

„Um des Himmels willen, weshalb diese Thränen?“ fragte er bestürzt. „Habe ich Etwas gesagt, was Ihnen Schmerz bereitet hat? Oder – Helene – wäre es möglich – hat man Ihnen von meinem Besuche nichts gesagt? Das also bedeuten die Worte, die Sie gestern zu mir sprachen; Sie haben mich für treulos und leichtsinnig gehalten.“

„O, Verzeihung, Verzeihung, Gerhardt, daß ich an Ihnen zweifeln konnte. Wenn Sie wüßten, was ich gelitten habe! wie lange ich vergeblich auf eine Nachricht von Ihnen hoffte, wie mir endlich der Muth sank – wie mir Alles so gleichgültig wurde, daß ich willenlos über mich verfügen ließ. Aber lassen Sie mich darüber schweigen! Jede Klage von meinen Lippen wäre ein Unrecht gegen den Verstorbenen und gegen mein Kind.“

„Weshalb sollten wir auch über einige verlorene Jahre klagen, wenn eine ganze schöne Zukunft vor uns liegt!“ rief er aus, indem er sich zu ihr niederbeugte. „Denn, nicht wahr, Helene, wir trennen uns nicht mehr? Sage mir, daß Du mir ein Recht giebst, für Dich und Deinen Knaben zu leben!“

Die Sonne war in’s Meer gesunken, und dichte Nebel stiegen aus der Fluth. Drunten im Thale wallten und brauten sie und entzogen dem Auge der Glücklichen die Welt um sie her. Wie auf einem Fels inmitten des Meeres saßen sie neben einander – sie waren zu Dreien und fühlten sich dennoch eins.

„Wirst Du ein Herz haben für meinen Knaben?“ fragte Helene leise, indem sie innig und ernst zu ihm aufschaute.

Schack antwortete nicht. Aber mit fester, sanfter Hand hob er das schlaftrunkene Kind von dem Schooße der Mutter auf seine Kniee und bettete das lockige Haupt desselben an seine Brust. Dann schlang er den Arm um die geliebte Frau und zog sie näher an sich.

„So ist es recht,“ unterbrach die heitere Stimme des Arztes das selige Schweigen, in welches die Beiden versunken waren, „so ist es recht. Wir haben uns also nicht vergeblich discret bei Seite gemacht und sind in den Schluchten herum geklettert, daß wir Gefahr liefen, uns nicht mehr herauszufinden. Wir sind zum Zwecke gelangt und können die Mama morgen mit einer zwiefachen Freude überraschen. Du darfst nicht so bedenklich dreinschauen, Gerhardt. Der Schloßherr von Hirschberg ist eine andere Person, als der jugendliche Referendar, dessen Zukunft noch sehr unsicher im Schooße der Zeit lag. Auch kenne ich die gnädige Frau und weiß, daß sie eine zu feine Diplomatin ist, um sich nicht vor der Macht der vollendeten Thatsache zu beugen. Glaube mir, Du wirst Dir keine liebenswürdigere, rücksichtsvollere Schwiegermutter wünschen können. Und was mich anbelangt, so bin ich mit der meinigen auch höchlichst zufrieden, und zwar so sehr, daß ich nicht dafür stehe, daß Rosa in einem neuen Anfalle von Eifersucht mir heute wieder ein so ungnädiges Gesicht am Theetische macht, wie gestern. Was meinst Du dazu, Kleine?“




Blätter und Blüthen.


Schlaflosigkeit. Als Capitain Boyton seine große Schwimmreise über den Canal zurückgelegt hatte, nahm er weder Speise noch Trank zu sich, sondern verfiel, an’s Land getragen, in einen langen, tiefen Schlaf. Bei anstrengenden Märschen schlafen manche Soldaten während des Gehens ein. Personen, welche gewohnt sind, andauernde Spaziergänge zu machen, pflegen meist gut zu schlafen, und Leute, welche den Tag über anstrengende Muskelarbeit verrichten müssen, genießen gewöhnlich eines Schlafes, um den sie ein Millionär beneiden möchte.

Welches ist die Ursache des Schlafes überhaupt? Welches ist der Grund, daß bei manchen im Uebrigen gesunden Menschen der süße Tröster der Nacht sich nicht einstellen will?

Der Professor der Physiologie, Preyer in Jena, hat darüber folgende leicht verständliche Hypothese aufgestellt.

Wenn man einen nicht in Thätigkeit befindlichen Muskel chemisch untersucht, so findet sich, daß die in ihm enthaltene Feuchtigkeit keine Spur von einer Säure enthält (chemisch gesprochen: neutral reagirt). Versetzt man denselben Muskel in Thätigkeit durch einen elektrischen Strom oder durch active Bewegung an einem lebenden Thiere und prüft sein chemisches Verhalten von Neuem, so überzeugt man sich leicht, daß durch die Bewegung eine Säure, die Milchsäure, gebildet worden ist.

Nach einiger Zeit der Erholung ist die Milchsäure wieder aus dem Muskel verschwunden. Wo ist sie geblieben?

Alles, was in den menschlichen oder thierischen Körper eingeführt oder in ihm gebildet wird, wird auch durch die Ausleerungen wieder ausgeschieden. Ist also Milchsäure im Körper vorhanden gewesen, so müßte sie sich auch in seinen Ausscheidungen wiederfinden. Indessen treten die vorhanden gewesenen Stoffe meistens nicht als solche in den Ausscheidungen wieder auf, sondern in gewissen Veränderungen. Jedermann weiß, daß wir mit dem Einathmen Sauerstoff in die Lungen einsaugen, aber der Sauerstoff wird in der ausgeathmeten Luft als solcher vergeblich gesucht. Er findet sich vielmehr darin mit Kohlenstoff verbunden als Kohlensäure. Wenn Jemand alkoholhaltige Getränke zu sich nimmt, so scheidet er den Alkohol, abgesehen von dem mechanisch verdunstenden Theile, nicht als solchen wieder aus, sondern der Alkohol wird unter Zuhülfenahme von Sauerstoff innerhalb des Körpers verbrannt (höher oxydirt) und in Kohlensäure und Wasser übergeführt. Die Kohlensäure wird durch die Ausathmung aus den Lungen, das Wasser auf anderem Wege wieder ausgeschieden.

Wenn Jemand Himbeersaft trinkt, so wird das darin enthaltene pflanzensaure Salz gleichfalls nicht als solches wieder aus dem Körper entfernt, sondern es findet sich, nachdem es vermittelst des im Körper befindlichen Sauerstoffs höher oxydirt worden, als kohlensaures Salz in den Ausscheidungen wieder.

So verhält es sich auch mit der Milchsäure. Man sucht vergebens nach Milchsäure in den natürlichen Absonderungen des Körpers. Unzweifelhaft war sie vorhanden, wenn eine Muskelthätigkeit stattgefunden – wo ist sie geblieben? Sie ist gleichfalls durch den Sauerstoff im Körper verbrannt und in Kohlensäure und Wasser umgesetzt worden.

Nun entsteht die Frage: aus welchem Theile des Körpers wird der zur Verbrennung der Milchsäure nöthige Sauerstoff genommen? Und hierüber sagt die Theorie Folgendes: Das steht fest: unsere geistige Thätigkeit, unser geistiges Leben, unser Denken und Ueberlegen hat seinen Sitz im Gehirn. Milliarden von kleinen im Gehirn befindlichen Körpern, die sogenannten Ganglienzellen, sind die Fabrikstatt unsrer Gedanken. Wenn sie in Thätigkeit sind, denken wir; wenn sie unthätig sind, werden keine Gedanken producirt. Sie in Thätigkeit zu erhalten, dazu dient ein sauerstoffhaltiges Blut, das in zierlichen, mikroskopisch feinen Aederchen die Ganglienzellen umspült und fortwährend reizt. Geht der im Blute befindliche Sauerstoff ganz oder zum großen Theil verloren, hört der Reiz des in den Gehirnäderchen enthaltenen, dem Blute beigemischten Sauerstoffs auf, so wird auch die geistige Thätigkeit sistirt, und der Mensch verfällt in Schlaf. Die Anschauung Preyer’s ist nun eben die, daß er annimmt, die im Körper gebildete Milchsäure reiße den in den Aederchen des Gehirns vorhandenen Sauerstoff an sich, um verbrannt zu werden; damit falle der zur geistigen Thätigkeit nöthige Reiz fort; die Ganglienzellen produciren keine Gedanken mehr; die geistige Thätigkeit hört auf; das Individuum schläft ein.

Als diese Theorie erdacht worden war, handelte es sich darum, sie durch den Versuch zu bestätigen. Thiere bekamen Milchsäure, und siehe da: sie verfielen in einen natürlichen Schlaf. Menschen, gesunde und kranke, schliefen ein, nachdem sie Milchsäure genommen hatten, und – was der Triumph der Hypothese war – der Schlaf war ein erquickender, sozusagen physiologischer, der nach dem Erwachen eine Erfrischung, aber keinerlei übele Nachwirkungen, wie sie sich nach dem Gebrauch von Opium und anderen Betäubungsmitteln einzustellen pflegen, zurückließ. Die Wirkung des Alkohols, der bei vielen Menschen gleichfalls schlafmachend wirkt, wird dem Leser jetzt verständlich sein, und wenn manche Personen nach einem Glase starken Zuckerwassers oder sehr gesüßten Pflanzensaftes in Schlaf verfallen, so beruht das gleichfalls auf der im Körper vor sich gehenden Verwandlung des Zuckers in Milchsäure und deren höherer Oxydation oder Umsetzung in Kohlensäure und Wasser.

Durch zahlreiche Versuche ist seitdem die schlafmachende Wirkung der Milchsäure bestätigt worden. Wer keine oder keine genügende Menge von Milchsäure producirt, der lasse sich diesen „Ermüdungsstoff“ vom Arzte verschreiben und – er wird schlafen.[1] Osnabrück, 29. Januar. Dr. W.



Eine neue Wüsten-Eisenbahn. Eine Eisenbahn durch die Wüste ist freilich an sich nichts Neues mehr, denn abgesehen von dem großen Schienenwege, der von Alexandria über Kairo bis hinauf nach Sint am linken Nilufer entlang mehrfach die libysche Wüste berührt, geht auch ein anderer seit Jahren von Kairo durch die arabische Wüste nach Suez. Jetzt hat man dort etwas südlicher eine neue Bahn angelegt, und zwar nach Heluahn, die am 21. Januar dieses Jahres eröffnet wurde.

Heluahn ist jener Badeort in der Nähe der alten Khalifenstadt, von welchem gewiß viele unsrer Leser bereits gehört haben und der schon deshalb so interessant ist, weil er eben mitten in der Wüste liegt. Und dazu ist dieser Theil der Wüste wohl der historisch merkwürdigste von ganz Aegypten, denn dort befinden sich die großen Pyramidenfelder von Gizeh, Sacqara, Daschur und Abusir. Nur der Nil trennt Heluahn von diesen tausendjährigen Monumenten, den ältesten von Menschenhand auf der Erde, und dieser Anblick allein ist schon ein Grund für jeden Fremden, das Wüstenbad zu besuchen. Früher war freilich der Besuch sehr umständlich und kostspielig, denn entweder fuhr man direct von Kairo hinüber, und zwar wegen des Wüstensandes vierspännig, oder man benutzte

  1. Die Richtigkeit der Preyer’schen Hypothese zugegeben, müssen wir im Interesse der Wissenschaft doch constatiren, daß die bisher mit der Milchsäure angestellten Versuche nicht immer zu günstigen Resultaten geführt haben. D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_123.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)