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Seite:Die Gartenlaube (1877) 117.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

mein! Wäre dieses jetzige Erwarten das Erwarten unserer ewigen Vereinigung! Meine Seele vergeht in diesem Traume. Schon im lebhaften Gedanken an Euch fühle ich meine Seele reicher, göttlicher und reiner. Ich fühle, wie alles Streitende in mir in einer süßen Harmonie sich versöhnt. Was wird es sein, wenn Ihr mir wirklich gegeben seid, Ihr meine Engel, wenn ich Leben und Liebe von Euren Lippen athmen kann … Eure Liebe ist das Licht meines Lebens.“


Steppengestalten.
Erinnerung aus meinem Wanderleben von F. Sch.[1]

Es war Abend geworden, und noch immer wollte sich das Ziel meiner diesmaligen Wanderung, ein einsames Steppendorf, nicht zeigen. Ermüdet warf ich mich in das kurze, graue, nach Regen lechzende Haidegras und blickte forschend umher, ob sich nicht irgendwo eine Spur von der Anwesenheit menschlicher Wesen entdecken ließe. Aber die ganze weite, nur von fernen Sandhügeln umsäumte Steppe schien öde und ausgestorben gleich der Sahara Afrikas.

Der Anblick war nicht tröstlich, und doch fesselte er mich bald so sehr, daß ich darüber Müdigkeit, Durst und Hunger vergaß, denn fand auch das suchende Auge keinen Strauch, keine Hütte, keinen Bach, keine Hecke und keinen Weg, ja nicht einmal einen Stein als Ruhepunkt, so bot diese monotone, graue Fläche, von den letzten Strahlen der scheidenden Sonne beleuchtet, dennoch ein Bild, unendlich reich an schwermüthiger Poesie und seltener Naturschönheit. Ueber die düstere, dunkelnde Wüstenei spannte sich eben ein unermeßliches, unbewegtes Gewölbe, dessen ganzer westlicher Theil vom Zenith bis zum Horizont in unbeschreiblicher Farbengluth prangte, vom tiefsten Purpurroth bis zum glänzendsten Goldgelb, an das sich wieder das dunkle Violett der Sandhügel abschließend reihte, während drüben im Osten ein silberheller Lichtstreifen auf schwarzblauem Hintergrunde das Erscheinen der nächtlichen Himmelsleuchte verkündete, all diese farbenprächtigen Gebilde aber warfen auf die dunkle Haidefläche ihre riesigen Schattenbilder, über welche ab und zu einzelne Sumpfmöven dahin huschten, mit eintönigem klagendem Schrei nach Atzung haschend für die hungernden Kleinen drüben im fast vertrockneten Moor, wogegen dort am wasserlosen Tümpel um so resignirter ein einsamer Reiher stand, unbeweglich mit gesenktem Kopfe – eine Stellung, ganz entsprechend seinen zweifellos pessimistischen Betrachtungen über die Vergänglichkeit irdischer Frösche.

Wer die Steppe zu solcher Stunde sah, dem wird der mächtige Einfluß der Landesbeschaffenheit auf den Charakter der Bewohner einleuchten; er wird die Schwermuth ungarischer Lieder wie das wilde Feuer der Tänze, des Magyaren fanatische Vorliebe für sein Vaterland wie seinen Stolz, seine gutmüthig eitle Gastlichkeit wie seine Zügellosigkeit begreiflich finden, wird aber auch erkennen, daß ein Volk, welches während einer Jahrhunderte langen Herrschaft inmitten seiner Heimath so riesige, culturfähige Flächen in poetischer Oede erhalten konnte, ein zwar höchst interessantes, nie und nimmer aber ein Culturvolk ist.

Die ernsten, nicht mehr abzuweisenden Mahnungen des Magens entrissen mich endlich meinem Schauen und Sinnen und veranlaßten mich, die letzten Lichtreflexe im Westen zu einem nochmaligen Entdeckungsversuche mittelst meines Taschenperspectives zu benützen. Zu meiner angenehmen Ueberraschung gelang derselbe über Erwarten. In nicht allzu großer Entfernung gewahrte ich einen dunkeln Punkt, über welchem eine schlanke röthliche Rauchsäule die Thätigkeit menschlicher Wesen verrieth. Rasch schritt ich darauf los und erreichte nach kurzem Marsche das improvisirte Lager eines Csikos (Pferdehirten), der eben sein frugales Abendbrod bereitete. Eine passendere Staffage für das stimmungsvolle Steppenbild ließ sich kaum denken. Ich stand vor dem von malerischen Pferdegruppen umgebenen sogenannten „Lager“, einer Art spanischer Wand aus leichtem Rohrgeflecht, welche nur schwachen Schutz gegen Wind und Wetter gewährte. Hinter dem „Lager“ ruhete eine kräftige Männergestalt, mit dem nationalen Hemd bekleidet und mit sichtlichem Behagen die süßen Düfte vaterländischen Tabaks und bratender Kartoffeln gleichzeitig genießend. Bei meiner Annäherung schnaubten die Pferde wild auf über die fremde Erscheinung, und ein paar zottige Hunde fuhren grimmig auf mich los. Der Pfiff ihres Herrn rief sie jedoch alsbald zur Ordnung, worauf dieser selbst mir ein wenig mürrisch und mit dem schweren Fokos (eine Art Beilhammer mit langem Stiel) in der Hand entgegentrat.

Dem gemeinen ungarischen Manne scheint die Sympathie für militärisches Wesen angeboren, vielleicht als Erbe jener Zeit, wo jeder Magyar seinem Fürsten Heeresfolge leistete, wenn es galt, in den benachbarten deutschen Landen gute Beute zu machen. So wurde auch mein Csikos, als er den Militär in mir erkannt, sogleich freundlich und erwiderte auf meine Frage nach dem Dorfe, daß er selbst bald dahin aufbreche und mir als Führer dienen wolle, was mir selbstverständlich hoch willkommen war. Bald lagerten wir ganz traulich einander gegenüber in jener malerischen Stellung, welche Römer und Griechen bei ihren Gastmählern einzunehmen pflegten, und mein Wirth übte die Pflichten der Gastfreundschaft in der That mit nicht mindrer Freigebigkeit als Lucullus oder Alkibiades, indem er mir die Hälfte seiner Kartoffeln nebst einem ansehnlichen Stücke geräucherten Specks darbot. Ich kannte die Landessitte genügend, um zu wissen, daß gänzliches Zurückweisen des Gebotenen einer Beleidigung gleich geachtet würde. So ließ ich mir’s denn schmecken und erwiderte die Freundlichkeit des Gastgebers durch brüderliche Theilung meines Cigarrenvorrathes, was ebenso einfach angenommen wurde.

Während des Essens hatte ich genügend Muße, den Mann genauer zu betrachten. Die Züge desselben waren männlich ausdrucksvoll und angenehm wie bei den meisten seiner Landsleute, auch keineswegs unintelligent, doch schien sich diese Intelligenz bei jedem Worte, jedem Gedanken erst durch eine äußere Kruste von Starrheit oder Stumpfheit hindurch arbeiten zu müssen, ein Zustand, welchen ich geistige Verschlafenheit nennen möchte, die sich zwar im Gesichtsausdrucke Ungebildeter aller Nationen vorfindet, doch immer typischer wird, je weiter man gegen Osten vordringt.

„Wahrlich, Ihr lebt gar nicht übel da auf Eurer Haide,“ sagte ich, nachdem die Cigarren in Brand gesteckt worden waren, um den Mann zum Sprechen zu bringen.

Dieser schüttelte jedoch melancholisch den Kopf und blickte geraume Zeit in die Kohlengluth, ehe er antwortete:

„Einst, Herr, war das Csikosleben wohl schön, und damals hätte ich mit keinem Könige getauscht, mag er auch das ganze Jahr Tokayer trinken und in goldenen Stuben wohnen, aber da kam das Jahr Achtundvierzig und mit ihm die Freiheit, welche uns die Herren, wie sie sagten, zum Geschenke machten, und seitdem wird es schlimmer und schlimmer im Lande.“

„Wie das?“ fragte ich verwundert.

„Nun seht, Herr,“ fuhr der Csikos nach einigem Besinnen fort, „früher war der Bauer allerdings der Diener seines Herrn; er mußte für ihn Frohndienst thun, die Steuern für ihn zahlen, und auch an Prügel fehlte es nicht, aber vor Noth und Elend war er wenigstens sicher, denn hatte er selbst nichts mehr zum Leben, so mußte der Herr für ihn sorgen, wollte er seine Arbeiter nicht verlieren. Nun, die Frohn haben sie freilich abgeschafft; der Bauer ist ja frei, aber Prügel bekommt er doch, und sind sie auch, wie der Herr Notar meint, nur ungesetzliche, sie thun nicht weniger weh, die Steuern aber sind dreimal so hoch geworden, und kann der Bauer sie nicht zahlen, verkauft man ihm Hab’ und Gut; dann hat er die Freiheit, betteln oder unter die armen Bursche (landesüblicher Ausdruck für Räuber) zu gehen.“

Diese eigenthümliche Anschauungsweise über den Werth der erlangten Freiheit, eine Folge der herrschenden Mißwirthschaft und Indolenz unten und oben, war mir nicht neu, da sie unter den Bauern – die wohlhabenden ausgenommen – ziemlich allgemein

  1. Als Militär-Geograph durchzog der Verfasser in den fünfziger und sechsziger Jahren Ungarn und Siebenbürgen nach allen Richtungen hin und blieb dabei im Verkehr mit Hirten, Bauern und Pächtern. Er hatte somit eine nur selten gebotene Gelegenheit, Land und Leute kennen zu lernen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_117.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)