Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1877) 109.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

No. 7.   1877.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Aus gährender Zeit.
Erzählung von Victor Blüthgen.
(Fortsetzung.)


Toni war sichtlich verlegen, was sie aus diesen erregten Aeußerungen machen sollte. Frau Hornemamn hatte ihre beiden Hände mit der Linken erfaßt, und mit der Rechten streichelte sie ihr über das glänzende dunkle Haar, das so weich war wie Seide.

Plötzlich horchte sie auf. Im Nebenzimmer gab es ein dumpfes Geräusch. Zugleich kam das Dienstmädchen eilig herein und trug ein Glas Wasser auf dem Tablet.

„Wer hat das Wasser bestellt, Lisa?“ fragte Toni etwas erschrocken.

„Nun, der Herr selber.“

„Aber wann denn? Er ist ja ausgegangen.“

Das Mädchen sah sie erstaunt an. „Er war doch vor einer kleinen Weile noch hier.“ Und sie rüttelte noch einmal an der Thür.

„Mir war, als hörte ich drinnen etwas,“ flüsterte Toni Frau Hornemann zu. Diese sah mit einem Gesicht voll bitteren Hohnes nach der Thür und sagte laut: „Nehmen wir an, der Herr Commerzienrath wäre nicht da! Mich däucht, wir werden zu keinem andern Resultat kommen.“

Das Wasser wurde hinausgetragen, und Toni wandte sich wieder zu ihrem Besuch. „Ich verstehe oder glaube zu verstehen, daß Sie nicht ganz glücklich sind,“ meinte sie ein wenig zaghaft. „Aber jetzt sollten Sie doch nichts als Freude im Hause haben? Mir ahnt so etwas wie ein Verlobungsfest.[1] Leugnen Sie nur nicht! Die Spatzen auf den Dächern haben mir davon erzählt.“

„Ein Verlobungsfest?“ fragte Frau Hornemann mit eigenthümlicher Betonung und forschenden Augen. „Vielleicht, ja.“

Toni lehnte sich an eine Spiegelconsole und stieß mechanisch an die Nase eines Porcellan-Pogoden, der dort stand, daß der Kopf des Chinesen auf und nieder zu nicken begann. „Ich weiß mehr, als Sie denken, denn seit gestern Abend bin ich die sogenannte Vertraute. Eine merkwürdige Rolle! Man darf mit ansehen, wie zwei Menschen sich küssen, und muß dabei stehen und die Augen schließen. Das ist alles.“

Frau Hornemann wurde aufmerksamer. „Wie? Und das haben Sie mit angesehen?“

„Mein Himmel, Sie machen ja Augen wie ein Justizrath, liebe Frau Hornemann; ist denn das etwas Böses? Oder habe ich etwa ausgeplappert, was ich nicht sollte? Aber nein, wenn Sie selber ‚vielleicht, ja‘ sagen, brauche ich’s wohl nicht in die Beichte zu tragen. Und ich will nun einmal die Vertraute sein; kein Mensch hat mich bisher dazu machen wollen, aber der Himmel hat eingesehen, daß ich mich wohl dazu eigne, und mir gestern einen Zufall zur Hülfe geschickt. Nun laß ich mir die Würde nicht nehmen. Daß Sie’s nur wissen,“ sprach sie mit komischem Ernst und schnippte wieder an den Pagodenkopf, „ich will gar nicht immer Kind sein, wie alle Leute gern möchten und Sie auch. Warum soll ich immer nur Sonne sehen und froh sein? Ich weiß wohl, daß es viel süßer ist, traurig zu sein. Das Leben soll Tiefen haben und Abgründe, und es soll allerlei Merkwürdiges passiren – nur ich darf nichts sehen und nichts erleben, und dabei komme ich mir so dumm vor, wie dieser dicke Herr da“ – und sie zeigte auf den Chinesen vor’m Spiegel. „Ich will noch schweigen wie das Grab, wenn ich mich zur Verlobungsfeier einladen darf – die Bedingung stelle ich.“ Sie lächelte wieder mit Kinderanmuth, und zwischen den frischen Lippen glänzten die weißen, kleinen Zähne hervor.

Die alte Frau ergriff ihren Arm und preßte ihn heftig. „Es ist nicht möglich,“ sagte sie mit unterdrückter Stimme und mit einem Gesicht, aus welchem die tiefste Verzweiflung sprach. „Wen haben Sie gesehen?“

„Milli und den Doctor Urban,“ war die zögernde Antwort.

Die alte Frau bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen und stöhnte: „Also doch! Also doch! Und hier ist es, wo sie sich treffen?“

„Zum ersten Male; ich begegnete gestern Milli zu Wagen und habe sie mir entführt. Nachher kam der Doctor in den Garten – – Aber liebe Frau Hornemann, ich begreife nicht –“ sagte Toni fast weinend. „Warum sind Sie so außer sich?“

Nebenan wurde eine Thür geöffnet, und man vernahm rasche Männertritte.

„Leben Sie wohl, Fräulein Toni! Ich muß doch wiederkommen, und ich fühle mich nicht wohl.“ Sie nahm die Hand Toni's und schritt dann entschlossen zum Ausgang.

„Fräulein Toni ist drin und hat Besuch,“ sagte draußen das Mädchen. „Er ist gewißlich fortgegangen, Herr Doctor.“[2]

Eine Gegenrede verhallte im Geräusch der zugeschlagenen Thür.

Einen Augenblick später trat Doctor Urban der alten Frau entgegen, die ihn wie einen Geist anstarrte, während ihm die Ueberraschung kaum anzumerken war. „Ah,“ sagte er mit ironischer Verbeugung, „sehr angenehme Begegnung! Guten Morgen, Fräulein Toni! Hat Ihre Tante wieder Migräne?“

Frau Hornemann blickte zu Boden, bis der Doctor an ihr

  1. Vorlage: „ein Verlobung fest“
  2. Vorlage: Schluss-Anführungszeichen fehlen
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_109.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)