Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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Einen halben Tag später war es und die Gluth des Tages vorüber. Karl Hornemann hatte seit Mittag das Haus wieder verlassen, und es war Emiliens leisen Versuchen nicht gelungen, etwas von dem aus ihm herauszulocken, was sie zu wissen wünschte. Sie hatte das Kaffeegeschirr aus der Ladenstube in die Küche getragen und dort eine Weile sich beschäftigt. Als sie in die Stube zurückkam, saß in ihrem Lehnstuhle – Franz Zehren.
Der junge Fabrikant war allein, die Mutter jedenfalls im Laden nebenan, durch welchen er eingetreten sein mußte. Er erhob sich bei ihrem Erscheinen ein wenig linkisch und stellte eine Vase mit frischen Rosen schnell wieder auf das Fensterbrett, von dem er sie genommen hatte. Dann verneigte er sich leicht und stand, mit stummer Verlegenheit kämpfend, wie eine Bildsäule da. Das kam ihr komisch vor, und sie lachte sehr ungenirt. Zehren sah es; ein bitterer Zug ging um seinen Mund, und er sagte plötzlich hart: „Da ich kaum erwarten darf, daß Sie mir die Ehre Ihrer Aufmerksamkeit schenken werden, so gestatten Sie wohl, daß ich mich setze.“ Und er that es.
„Wie unverschämt!“ flog es von den Lippen der Ueberraschten. Dann wandte sie sich ab und murmelte. „Wozu schelte ich?“ Dieser Gentleman hört doch nichts davon.“ Der Ausdruck war übrigens bezeichnend genug. Zehren hatte in der That ein Gesicht, welches an einen jungen Engländer oder Amerikaner erinnerte, bis auf den Schnitt des Backenbartes sogar.
Was war über ihn gekommen? Sonst die unerschütterliche Sanftmuth, hatte er plötzlich die Laune, spitzig sein zu wollen, und sie hatte dagegen nicht einmal Waffen, denn mit einem tauben Menschen sich verständigen, geht wohl an, – sich mit ihm streiten, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Sie war zornig, daß es ihr verwehrt war, seine Ungezogenheit zu erwidern.
Emilie nahm am andern Fenster Platz, so daß sich Beide den Rücken kehrten. Da saß sie wohl fünf Minuten, biß sich auf die Lippen und schlug leise mit den Fingern auf das Fensterbrett. Sie hätte weinen mögen vor Zorn. Als die Mutter eintrat, ging sie wortlos aus dem Zimmer.
Sie wünschte, daß es wirkliche Abneigung gegen sie gewesen sein möchte, was ihm seine Aeußerung eingegeben, aber sie wußte es besser. Er war tief gekränkt; sie hatte ihn endlich so verwundet, daß er es sich merken ließ, und die schöne Emilie empfand das Gewöhnliche in solchem Falle: einen Triumph, in den sich ein wenig Mitleid und Reue mischte.
Er war ein armer Teufel, taub und verliebt und unglücklich. Wenn er nur nicht darauf bestände, sie heirathen zu wollen! –
Sie war in der Küche gewesen und hatte das Geländer in der Hand, um ihr Zimmer droben aufzusuchen. Da ging die Hausthür, und zwei Männer kamen auf sie zu – der Doctor und Karl Hornemann.
„Guten Abend, Milli!“ sagte der Letztere, und der Doctor wiederholte die Worte wie im Scherz und reichte ihr die Hand mit dem stolzen, überlegenen Lächeln, das ihr so sehr imponirte. Er küßte ihr die Hand sogar, wie er zuweilen that, und fragte, wie sie geruht habe. Sie erröthete und meinte: „Sie kommen ja heute so schwarz wie ein Rabe, Herr Doctor. Wollen Sie zur Leiche eines Menschen gehen, den Sie umgebracht haben?“ Dabei bebte sie vor Befangenheit und Herzklopfen.
„Möglich, daß ich in Kurzem etwas werde begraben müssen,“ meinte er mit Betonung, und sie erwiderte den Druck seiner Hand in der ihren.
„Geh' auf Dein Zimmer, Milli!“ sagte Karl Hornemann. „Ist die Mutter drin?“ Und er deutete auf die Thür der Ladenstube.
„Sicher ist Franz Zehren drin; die Mutter sitzt bei ihm oder sie steht im Laden.“ Sie war froh, als sie die Worte gesprochen hatte; die Kehle war ihr wie zugeschnürt, und sie eilte flüchtig treppauf, nur hörte sie noch, wie der Doctor sagte: „Das trifft sich ja herrlich. Auge in Auge!“
Frau Hornemann saß dem Fabrikanten gegenüber am Fenster; sie zog die Augenbrauen zusammen, als die Beiden eintraten, und warf einen unzufriedenen, fragenden Blick auf ihren Sohn. „Doctor Urban wünscht Sie zu sprechen, Mutter,“ sagte dieser ruhig. Während sich der Fabrikant erhob, um ihn zu begrüßen, blieb die alte Frau in starrer Ruhe sitzen und erwiderte des Doctors Verbeugung mit schwachem Nicken.
„Wir sind nicht so von einander geschieden, daß ich erwarten konnte, Sie wiederzusehen,“ sagte sie, und in ihrer Stimme klang es wie feindseliger Groll.
„Ich bekenne mich schuldig,“ entgegnete der Doctor, während er, um einen Anflug von Verlegenheit zu bemeistern, sich nach einem Stuhl umsah und den ersten besten herbeizog, um sich neben die Dame zu setzen. „Meine verehrte Frau Hornemann, ich bin in sehr vieler Beziehung ein Nichtsnutz, aber mein heutiges Erscheinen möge Ihnen beweisen, daß ich nicht unverbesserlich bin und daß ich weiß, was mir helfen kann. Ich darf den Umgang
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_041.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)