Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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wir erwarten, alle neuen Anschauungen der Dinge und unseres eignen Selbst würden uns doppelt wichtig, ja, sie erhielten jetzt erst ihren wahren Werth, wenn wir die Aussicht vor uns hätten, sie unsrer Freundschaft als neue Schätze, als neue Genüsse zuzuführen. Warum soll dieser Wunsch unerfüllbar sein?“
Dieser idealen Fassung ihres Verhältnisses brachte Caroline ein warmes Interesse entgegen. „Ich fühle es nur zu sehr, wie glücklich es uns machen würde, wenn Sie mit uns lebten; wie glücklich wir wären und wie wir es immer mehr werden müßten. Das Gefühl, daß auch Ihnen diese Vorstellungen so lebendig bleiben, ist meinem Herzen sehr wohlthätig. Ihr Umgang war das Element meines bessern Lebens. Kein Anderer kann mir je das sein. Ich mag es dem Schicksal nicht zutrauen, daß es mir die Freude Ihres Umgangs, wo mein Geist so frei existirt, nur zu kosten gegeben hat. Ach, möchte es, möchte es doch anders sein!“ Das ist der lang verhaltene Freiheitsruf einer schmerzlich gefesselten Frauenseele.
Schiller war inzwischen am 11. Mai 1789 nach Jena gezogen.
„Ich sehne mich recht nach Ihnen. Leben Sie recht wohl! Wir gehen oft Ihrer Gegend zu und sagen Ihnen einen Abendgruß. Kommen Sie uns mit Ihren Gedanken entgegen!“ Diese warmen sehnsuchtsvollen Worte kamen wieder von Caroline. Sie tritt jetzt immer mehr, immer rückhaltloser aus der streng bewahrten Reserve. „Mein Herz und Alles, was Sie ihm sind, muß klar vor Ihnen stehn. Unser enggebundenes Frauendasein ist schuld, daß ich Worte brauche für diese Gefühle, die an sich zu heilig dafür sind. Wäre ich ein Mann, so sollten Sie meinen Umgang nicht vergebens wünschen, wäre es Ihnen auch gefällig in Nova Zembla oder in den Mondsbergen zu wohnen.“’
1. Diphtheritis und Croup.
Vor keiner Affection zeigt wohl die Mutter eine größere Furcht, als vor der Diphtherie, Und dennoch läßt sich mit Sicherheit behaupten, daß es nirgends mehr in die Hand der Eltern gelegt ist, ein schlimmes Ende zu verhüten, als gerade bei dieser Geißel der Kindheit. Es herrschen unter dem Volke im Allgemeinen ziemlich verworrene Ansichten über diese Krankheit. Man verlegt ihre Entstehung in die Neuzeit, weiß aber nicht recht, wie die alte Rachenbräune und der Croup damit in Verbindung zu setzen sind. Die Diphtheritis ist nichts weniger als ein Product unseres Jahrhunderts, sondern nur ein neuer Name für eine längst bestandene Körperstörung. Schon Hippokrates, der berühmte Altvater der Medicin, beschreibt 450 Jahre vor Christi Geburt in einem seiner Werke eine Erkrankung, welche vollständig, wie dies schon das nachfolgende Citat beweist, unserer Diphtherie entspricht:
„wenn die Mandeln schnell weiterschreitende Geschwüre bedecken, so ist Gefahr, daß unter andauerndem Fieber und Husten wiederum Geschwüre entstehen, welche in die Halsgegend zurücktreten. Es ist kein gutes Zeichen, wenn die Geschwüre eine netzförmige Anordnung zeigen. So lange sich die Geschwüre nicht innerhalb fünf bis sechs Tagen vermehren, sind sie ungefährlich. Die Geschwüre, welche um das Zäpfchen herum sich bilden, verändern die Stimme, während die weiter hinten im Rachen entstandenen eine größere Gefahr mit sich führen, vorzüglich aber Athemnoth bewirken.“
In diesem kurzen Auszug des genialen griechischen Beobachters werden viele unserer Leser nicht nur leicht das vollkommen getroffene Bild der Diphtherie erkennen, sondern es geht auch mit Sicherheit daraus hervor, daß schon im Alterthum ein Abwärtssteigen aus den Rachentheilen in die Luftwege als die gefährlichste Complication betrachtet wurde.
Die Diphtherie ist eine contagiös-miasmatische Krankheit, das heißt, sie kann sich unter gegebenen Bedingungen an einem Orte von selbst entwickeln, ohne eingeschleppt zu sein, pflanzt sich aber auch außerdem durch Ansteckung weiter fort. Gleichwie Masern und Scharlach pflegt sie den Patienten in der Regel nur einmal zu befallen, sie unterscheidet sich aber darin von diesen ansteckenden Kinderkrankheiten, daß sie nicht eine Zeit lang in dem Körper verweilt und dann nach außen durchbricht, sondern zuerst an einem bestimmten Orte haftet und sich von diesem aus in den Körper verbreitet. Jede Wunde kann daher diphtheritisch inficirt werden, die Lieblingsstätte der speciell als Diphtherie genannten Krankheit aber bilden die Mandeln. Die anatomische Lage dieser Gebilde ist nicht so bekannt, wie dies ihre Wichtigkeit erfordert. Drückt man mit einem Löffelstiel (am besten vor dem Spiegel an sich selbst) die Zunge etwas nach abwärts, so bemerkt man Folgendes:
Die Mundhöhle wird nach hinten zu vorläufig abgeschlossen durch eine von oben herabhängende Hautfalte (das Gaumensegel), welche an ihrem unteren halbkreisförmigen Saume direct über der Zunge einen fleischigen soliden Vorsprung zeigt, das Zäpfchen. Rechts und links neben dem Zäpfchen liegen in einer kleinen Vertiefung des an den Seiten getheilten Gaumensegels zwei rundliche, nußförmige Organe, die Mandeln. Bei genauer Betrachtung findet man an der Oberfläche derselben verschiedene ziemlich große Grübchen oder auch Höhlen; es sind die für unsere spätere Beschreibung wichtigen Ausführungsgänge kleiner Balgdrüsen, deren die gesunde Mandeloberfläche fünfzehn bis zwanzig aufweist. Hinter dem weichen Gaumen schließt sich nach oben der Eingang in die Nasenhöhle, nach unten in den Kehlkopf und die Speiseröhre an.
Die Mandeln bilden als eine Art Schmutzwinkel der Mundhöhle den günstigen Boden, auf welchem die Diphtherie fast ausnahmlos ihren Anfang nimmt. Der erste Beginn entgeht beinahe immer der Beachtung; wie der Dieb in der Nacht befällt der gefährliche Feind den kleinen Patienten. Das Kind ist früh noch vollkommen wohl, klagt nur etwas über allgemeine Ermattung und das Essen wird nicht mit dem gewohnten Appetite verzehrt. Hierzu gesellt sich bald Frösteln, oder bei erregbaren Naturen Schüttelfrost, häufiger aber noch ein Krampfanfall und Erbrechen; die Zunge ist belegt, und die Ausleerung stockt. Bei älteren Kindern sollte die bald folgende Klage über Schlingbeschwerden die Aufmerksamkeit auf den Hals lenken, und selbst wenn sie ihrer Jugend wegen diese Empfindung noch nicht zu äußern vermögen, muß die Unlust zum Schlucken jeder sorgsamen Mutter auffällig erscheinen. Das Innere des Halses bietet zu dieser Zeit außer einer stärkeren Röthung und Anschwelllung höchstens einem scharfen Auge, vorzüglich auf der rechten Mandel, einen schleierartigen hellen Beleg, welcher sich schwer von dünnem Schleime unterscheiden läßt. Untersucht man diese Schicht bei starker Vergrößerung unter dem Mikroskope, so sieht man, daß sie zum größten Theile aus kleinsten punktförmigen Organismen, den sogenannten Diphtheritis-Pilzen (Mikrococcen) besteht, pflanzlichen Gebilden, welche sich stets in Begleitung der Diphtherie finden und durch ihre unglaubliche Wucherung den zerstörenden Einfluß erklären. Bald dringen sie in das Mandelgewebe selbst ein; den einzelnen Pionieren folgen Tausende; die Blutgefäße werden gereizt, und Blutbestandtheile treten aus, dienen aber wiederum nur als Nahrungsmaterial zur Fortentwickelung der gefräßigen Schmarotzer. Rasch mehren sich unterdessen die äußeren Symptome. Der Kopf des kleinen Patienten ist etwas zurückgebogen; die Lippen sind trocken und geöffnet; die Sprache ist näselnd, der Athem durch das Fieber und die Halsschwellung erschwert und übelriechend, und während des Schlafes verräth ein oft starkes Schnarchen das Hinderniß für den eintretenden Luftstrom. Die Mandeln zeigen jetzt deutlich die Anfänge der Diphtherie, besonders auf der rechten Seite finden sich kleine scharf umschriebene Inseln von glänzend weißer Farbe. Der fernere Verlauf richtet sich nach der Stärke der Ansteckung, der Constitution des Kindes und den getroffenen Vorkehrungsmaßregeln.
Diphtherie ist vom Croup nur durch das stärkere Eindringen in die Schleimhaut und das darunter liegende Gewebe verschieden. Bei Croup tritt aus den an der Oberfläche gelegenen Blutgefäßen nicht allein wie bei gewöhnlichen Entzündungen Blutwasser, sondern auch noch eine ebenfalls im Beginne flüssige Substanz, Faserstoff genannt, aus. Diese ergießt sich in die obersten Epithelzellen, vergrößert sie und gelangt dann auf die freie Mandeloberfläche, wo sie sofort zu einem feinmaschigen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_035.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)