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Seite:Die Gartenlaube (1877) 031.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

ganz und gar, diesen Nachrichten Glauben zu schenken; die Siege von Wörth, Sedan, Orleans und Le Mans, die Einnahme von Paris wurden zuerst als Fabeln und Erfindungen geschmäht. Dagegen erzählte man sich freudetrunken von Hunderttausenden niedergemetzelter Preußen, und die Uebertreibungen, mit denen Trochu in Paris und Gambetta in Tours den Humor der Franzosen aufrecht zu erhalten trachteten, fanden, zehn-, zwanzigfach vergrößert, ihren Weg bis in die kleinste rumänische Stadt, wo es nur ein Casino gab und da drinnen sechs Honorationen, welche die Zeitungen lasen.

Als jedoch an den Thatsachen nicht mehr zu zweifeln war, da hofften die Rumänen auf „Revanche“ – gerade wie die Franzosen. Vor Allem wollten sie sich an den Deutschen im eigenen Lande schadlos halten. Während des Krieges hatte der Fürst seine verfassungstreue Haltung bewahrt; wohl mag er mit Stolz und Freude den Thaten seiner ehemaligen Cameraden aus der Potsdamer Dragonerepoche gefolgt sein, aber er ließ von diesen Gefühlen, welche seine Umgebung verletzt hätten, nichts merken. Trotzdem drohte ihm Gefahr. Schon bei Beginn des Krieges ließen sich in Bukarest französische Aufwiegler blicken und suchten das Volk zu bewegen, den einst in den Tuilerien so gnädig aufgenommenen, aber jetzt verpönten Fürsten davonzujagen. Man redete sehr ernst von einem Angriffe gegen den Konak der Mogodoschaistraße. Da verbreitete der Haushofmeister des Fürsten, Graf H., das Gerücht, im Schlosse wäre eine deutsche Garnison verborgen, die mit Handgranaten, Orsinibomben etc. gehörig versehen wäre und entschlossen sei, mit diesen Wurf- und Sprenggeschossen die Angreifenden zu begrüßen. Diese Fabel erfreute sich des allgemeinen Glaubens, und es war durchaus nicht mehr von einer Erstürmung des Schlosses die Rede. Aber noch heute geht in der walachischen Hauptstadt die Sage von den deutschen Dolchrittern, die den Fürsten Carol bewachen, und von dem Sprengmateriale, über welches sie verfügen. Etwas später schwebte ebenfalls der Konak in Gefahr. Die in Bukarest lebenden Deutschen beabsichtigten im März 1871 eine „Siegesfeier“ zu veranstalten. Sie mietheten ein Local und erhielten auch die Erlaubniß zur Abhaltung der Feierlichkeit. Da plötzlich – man hatte soeben den Toast auf den deutschen Kaiser ausgebracht – regnete es Steine und Schiefertafeln gegen die Fenster des Bankettlocales. Ein wüthender Pöbelhaufe stürmte die Treppe hinauf; in einem Nu waren die Tafeln mit Allem, was darauf lag, zertrümmert, mehrere Gäste, darunter der deutsche Consul, verwundet und die Uebrigen gezwungen, sich eiligst zu retten. Der Haufe, auf das Vorgefallene stolz, wollte direct auf’s Schloß marschiren; aber der Prinz zeigte Muth; er jagte den rothen Minister zum Teufel und berief den conservativen Catargis, der fünf Jahre lang das Heft in Händen behielt.

Weder der Prinz noch Catargis konnten es verhindern, daß das deutsche Element, welches in den ersten Regierungsjahren des Fürsten sich eingebürgert hatte, nach und nach verdrängt wurde. Zuerst waren es die deutschen Beamten – namentlich beim Post- und Telegraphenwesen – die da weichen mußten. Die wirklich vortrefflichen Dienste, welche sie geleistet hatten, kamen selbstverständlich nicht in Betracht. Dann mußte der Fürst – immer unter dem Vorwande der Staatsraison – alles Germanische aus seiner Umgebung ausmerzen. Es soll ihm dabei so manche Trennung schwer gefallen sein. Die deutschen Geschäftsleute und Handwerker, die sich im Lande angesiedelt hatten, konnte man allerdings nicht so leicht vertreiben – und dann bedarf man ihrer ja auch. Wie würde der Bojarensohn im eleganten Beinkleide und in den blankgeputzten Stiefeln einherstolziren ohne den deutschen Schneider und den deutschen Schuster? Aber man läßt es die Leute fühlen, daß sie nur „geduldet“ werden und daß man ihrer Nation die Siege von 1870 nicht vergeben hat. Die Nachäffung des Deutschenhasses in Rumänien ist heute eine so gewaltige, daß, während man auf den Pariser Boulevards ungestraft laut deutsch zu reden wagt, dies kaum in Bukarest in Localen zu rathen wäre, wo sich Rumänen einfinden.

Fürst Carol kann dies nicht verhüten; er ist, wie erwähnt, hierin machtlos. Man dichtet auf ihn Spottgedichte, die in den Kaffeehäusern öffentlich feilgeboten werden. Staatsbeamte machen sich über seine Aussprache des Rumänischen lustig, und ist ein Fremder so naiv zu fragen, wie der Souverain über diese oder jene Frage denkt, so zuckt man die Achseln über den Einfältigen, der sich um dergleichen kümmert. So begreift man es, warum öfters von den Gestaden der Donau Abdankungsgerüchte nach Berlin hinüberwehten. Selbst auch der Gutmüthigste wird dieser ewigen Bevormundung, die sich auf alle Acte des Lebens erstreckt, satt. Aber Fürst Carol betrachtet sich auf seinem Throne nicht nur als Fürst, sondern auch als eine Schildwache. Und eine Schildwache verläßt den Posten nicht trotz Wetter, Sturm und allen möglichen Unbequemlichkeiten.

L. H. P.

Aus dem Herzensleben unseres Lieblingsdichters.
Von Fr. Helbig.
II.

Einmal war es um das Vertheilungsprincip fast ganz geschehen und der Sieg des Herzens nahezu vollendet. Als Schiller eines Abends in das Lengefeld’sche Haus kam, hatte eben ein Auftritt zwischen der Mutter und den Töchtern stattgefunden – möglich, daß es sich dabei gerade um das etwas stadtkundig gewordene Verhältniß Schiller’s zu den letzteren gehandelt hatte. Lottchen befand sich, als Schiller eintrat, noch in hoher Erregung und theilte dem Freunde die Veranlassung derselben mit. Caroline ging einen Augenblick fort. Schiller und Lotte waren allein. Er suchte sie zu beruhigen, sagte ihr trostvolle, warm theilnehmende Worte. Lottchen sah mit stummem Danke zu ihm auf und drückte ihm – das erste Mal, daß dies geschah – die Hand voll tiefer Bewegung. Da dämmerte eine geheime Erkenntniß in der zweifelnden Seele auf; die Herzen kamen in Fluß; die schlummernde Leidenschaft erwachte – als Caroline wieder eintrat und der scheue Genius der Liebe verschüchtert von dannen zog. „Damals,“ schrieb Schiller später in der Zeit seines Brautstandes, „glaubte ich in Deinem Herzen etwas zu lesen, aber die Stunde kam nicht wieder.“

Und doch hatte das seltene Vertheilungsprincip eine bedeutsame Folge gehabt. Es hatte Lottchen über Schiller’s Neigung zu ihr irre geführt. Sein geistig weit lebhafterer Verkehr mit Carolinen hatte in ihr den Gedanken angeregt, daß die geistig begabtere Schwester ihm weit mehr sei als sie. Der Gedanke machte sie nicht nur noch weit scheuer und befangener, sie handelte zugleich auch unter der Eingebung einer wahren, edlen und tiefen Liebe, die dem vermeintlichen Glücke des Geliebten todesfroh das eigene opfert, wenn sie dabei zugleich sich selbst tiefer in den Schatten stellte, um dem glänzenderen Lichte Raum zur Entfaltung zu geben.

Natürlich bleibt hier der Rückschlag auf Schiller’s eigene Neigung nicht aus. Er verfällt einem gleichen Irrthume, indem er das Benehmen Lottchens für Kälte hält und sich dabei sogar einredet, daß der Nachhall einer früheren Liebe sie noch gefangen halte. Um diese vermeintliche Selbsttäuschung nicht erkennen zu lassen, decken sie ihre wahren Gefühle denn immer wieder mit dem geborgten Mantel der Freundschaft. Lottchen ist der persönlichen Annäherung ohnedies durch eine Reise nach Kochberg eine Zeitlang entrückt. Aber die Sehnsucht folgt ihr nach, und die dortige ländliche Stille und Einsamkeit hält dieselbe beständig im Wachen. Die „Götter Griechenlands“ und die „niederländische Geschichte“ sind mit ihr gegangen. Schiller will dieselben als die „Garants ihrer Freundschaft“ ansehen. „Es sind abgerissene Stücke meines Wesens, und es ist ein entzückender Gedanke für mich, sie in das Ihrige übergegangen zu sehen, sie in Ihnen wieder anzuschauen und als Blumen, die ich pflanzte, wieder zu erkennen.“

Vor dieser hohen geistigen Fassung, wie sie freilich nur die Liebe des Dichters und Künstlers zuläßt, trat die einfach natürliche Leidenschaft des Herzens wieder schweigend zurück.

Herbststimmungen.

Inzwischen war bereits der October herangekommen, und die trübe herbstliche Stimmung von draußen hielt auch Einkehr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_031.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)