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Seite:Die Gartenlaube (1877) 021.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Aus gährender Zeit.
Erzählung von Victor Blüthgen.
(Fortsetzung.)

Der Arzt lachte, daß es zwischen den hohen Häusern in der nächtlich stillen Straße hell wiederscholl und der Commissar ihm ein: „Pst! nicht so laut!“ zuraunte.

Er schlug diesen, indem er stehen blieb, herzhaft auf die Schulter und sagte, noch immer lächelnd: „Den Mann, der Euch das überbracht hat, den macht unschädlich, sobald Ihr könnt! Ihr seid im Stande, unter seiner Beihülfe mehr Dummheiten zu begehen, als Ihr“ – er betonte die folgenden Worte – „vor meinem alten Freunde, dem Herrn Landrath und Oberbürgermeister, verantworten könnt. Aber Scherz bei Seite – ich glaube, daß ich zum wenigsten mehr von der Sache weiß, als Sie, Freundchen. Kennen Sie ein Ding, welches der 'Rothe Engel' heißt?“

„Das Gasthaus vor dem Brückenthore oder das in der Stadt?“

„Ah, ich vergaß – natürlich das Erstere. Ich bin vor anderthalb Stunden vorübergegangen. Dicht hinter der Brücke, am Wasser unten, zieht sich der lange Saalbau hin – Sie werden ihn so gut kennen, wie ich – an dem ein Paar Bretter zum Wäschespülen in’s Wasser hineinreichen. Nun hören Sie Folgendes! Ich stehe eben auf der Brücke und sehe den Fluß hinauf, über dem das Mondlicht glitzert; es war ein kostbares Bild, Commissar, ein Bild zum Malen: die alten Holzbaracken am Wasser, in denen hie und da ein rothglühendes Fenster schimmerte –“

„Aber was fange ich mit alten Holzbaracken und rothglühenden Fenstern an?“ fragte der Commissar in hörbarer Ungeduld; „zur Sache, Doctorchen!“

„Kommt alles noch!“ meinte dieser ruhig. „Was sagen Sie: Da sehe ich im Schatten dieser nämlichen Baracken sich etwas auf dem Wasser bewegen und näher und näher kommen, und das waren – bei meiner armen Seele! – drei Kähne voller Menschen. Sie sahen aus wie Blätter voll schwarzer Fliegen; so dicht waren sie besetzt. Die Gegend ist um diese Zeit einsam, wie Sie wissen, doch sah ich am Ufer drunten einen Menschen stehen, und ein zweiter kam auf die Brücke und bewegte sich ziemlich schnell und drohend auf mich zu. Ich hatte keine Lust, mir ein Messer in den Leib stoßen zu lassen, und entfernte mich langsam. Kaum bin ich zwischen die Häuser getreten, so höre ich einen zweimaligen Pfiff. Nun will der Zufall, daß dort ein paar Häuser drei Fuß auseinander stehen und daß man durch die Lücke hinübersehen kann auf das Hinterhaus vom 'Rothen Engel' – – Sie hören doch ordentlich zu, Commissar?“

„Ich werde ja doch,“ entgegnete dieser in gespannter Neugierde und rieb sich leise die Hände. „Wenn das wahr ist, Doctor, wenn der Fang wirklich beisammen wäre, ich wollte Sie umarmen.“

„Ich verzichte auf diesen Beweis Ihrer Dankbarkeit zu Gunsten der Frau Donner,“ meinte der Arzt.

Der Andere sah nach der Uhr und sprach für sich: „Wie lange also ist das her – anderthalb Stunden?“ Das Zifferblatt war im Mondenschein vollkommen deutlich lesbar. „Es ist halb[1] zwei Uhr. Ein Uhr – zwölf Uhr – ein wenig spät. Um Elf sollen sie ja sonst schon zusammen kommen.“

Der Doctor hatte diese halblaut gemurmelte Bemerkung verstanden und machte, mühsam seine Betroffenheit verbergend: „So? Sie scheinen ja gut bedient zu sein auf dem Stadthause. Nun, dieses Gesindel wird wohl nicht immer bei der alten Leier bleiben wollen, oder was sonst – vielleicht sind ja meine Leute auch verschieden von denen, welche Sie suchen –“

„Nein, nein,“ unterbrach ihn rasch der Beamte, „erzählen Sie nur weiter, Doctor! Das ist ja eine Teufelsgeschichte. Also Sie standen bei der Lücke –“

„Ja, und sah, daß die Kähne bei den Waschtritten landeten und sich ihrer Insassen entluden, welche in aller Eile um das Haus gingen; muthmaßlich giebt es einen Eingang in den Saal da hinten –“

Der Commissar stand plötzlich still und sah den Arzt wieder prüfend an. „Können Sie das beschwören?“ fragte er im Tone des Inquisitors.

Der Doctor trat bei dieser Frage drei Schritte zurück und erwiderte befremdet: „Oho! Ich bin nicht gewöhnt, mein sehr ehrenwerther Herr Commissar, daß man mich veranlaßt, freiwillige und vertrauliche Mittheilungen zu beschwören. Wenn es Ihnen genehm ist, behalte ich den Rest für mich. Ich bin kein Denunciant, mein Bester, der so etwas für Geld thut.“

„Ei, nicht doch!“ begütigte der Beamte, indem er schnell den Ton änderte, „so ist ja die Sache nicht gemeint. Seien Sie nicht böse darum, Doctorchen! Die Sache ist ja sehr merkwürdig, aber sie stimmt durchaus nicht mit meinen sonstigen Mittheilungen.“

„Das ist mir sehr gleichgültig,“ sagte der Doctor. „Machen Sie mit meinen Angaben, was Sie wollen! Hier ist mein Ziel, und nun – gute Nacht! – Halt!“ fügte er hinzu und stellte sich dabei dicht vor den Commissar hin: „Ich will Ihnen noch einen Namen nennen; was Sie damit machen, das überlasse ich Ihnen. Kennen Sie einen, der aus Amerika, dem Lande der

  1. Vorlage: habl
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_021.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)