Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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„Nun,“ sagte ich, „solche Thatsachen werden im Leben nichts für Sie und den Spiritismus beweisen – ich halte den ganzen Vorgang für bewußten Schwindel, für bloße Taschenspielerkünste.“
Ungeheure Entrüstung von allen Seiten.
„Wir uns beschwindeln lassen! Unsinn! Haben Sie denn die Geister nicht selbst gesehen?“
„Erlauben Sie, meine Verehrten! Sie sind gläubige Spiritisten und sehen deshalb rasch, was Sie zu sehen wünschen und Andere sehen lassen wollen. Durch das Gespräch im Salon schon in die Wunder- und Märchenwelt versetzt, kommen Sie mit Anderen, die in derselben Verfassung sich befinden, in das finstere, kalte Sitzungszimmer. Sie sehen nichts, gar nichts von dem, was um Sie her vorgeht. Sie hören nichts Anderes, als Geschichten von den bisher erlebten Wunderdingen. Eine volle Stunde und darüber werden Sie mit Vorbereitungen gequält, bis die Anwesenden die 'fehlerfreie Kette' zu Stande gebracht haben. Was unter dem Tische vorgeht, das müssen Sie mit Hülfe Ihrer eigenen Kleider hermetisch von der Außenwelt abschließen, damit ja kein profaner Blick in den geheiligten Raum zu dringen vermöge. Sind Sie so gehörig vorbereitet, dann beginnt der 'Geistersang', und Sie, Fräulein P., die Sie so eminent musikalisch sind, werden mir gewiß zugeben, daß diese Musik im Stande ist, das bischen noch übrig gebliebene Ueberlegung – ich bitte um Verzeihung, meine Verehrten – vollends in Verwirrung zu bringen. Das Medium hat nun freies Spiel …“
„Aber die Geister waren doch effectiv da,“ unterbrach man mich, „.wir haben sie ja Alle gesehen.“
„Ein wenig Geduld, bitte! Die Aufmerksamkeit ist nun genügend abgelenkt, die Erwartung gespannt, – da brennt das Medium irgend eine Substanz an, welche diese weißen Wolken erzeugt. Ich wenigstens habe kurze Zeit vor der 'Erscheinung' deutlich ein Knistern gehört und einen Phosphorgeruch wahrgenommen.“
„Ich auch, ich auch,“ murmelten Einige, „aber so kündigen sich die Geister an.“
„Gleichzeitig ist eine Flamme angezündet worden – vielleicht in dem dem Tische zunächst stehenden Schranke, dessen unterer Theil inzwischen geöffnet wurde – und von einer ganz gewöhnlichen Wasserfarbensudelei, wie Sie deren in allen Trödelbuden finden und die einen schrecklich hölzern gemalten Männerkopf darstellt, ist mit Hülfe eines Reflexionsspiegels das Bild in den Glassturz, wie in eine camera obscura, geworfen worden.“
„Ah!“
„Und da der Glassturz rund ist, so stellt sich das Bild des Gesichtes ebenfalls rund dar; es nimmt damit eine natürliche Gestalt an, und Sie glauben, die Vordertheile eines Kopfes zu sehen.“
„Und wer soll denn das Alles gemacht haben?“
„Wahrscheinlich Mrs. V…“
„Aber sie hatte ja die Hände ununterbrochen auf dem Tische.“
„Nicht ununterbrochen. Aber abgesehen davon, wozu hat sie denn ihre Füße?“
„Und das Klopfen?“
„Ebenfalls mit Hülfe des Fußes und einer im Tische verborgenen kleinen Feder.“
„Haben Sie denn das Alles gesehen?“
„Dazu war es viel zu finster,“ entgegnete ich; aber ich erkläre mir das so auf die ungezwungenste Art; ich combinire mir das.“
„Immer betrügt Mrs. V… nicht,“ nahm nun eine kleine Dame schüchtern das Wort, „aber doch manchmal, wenn die Geister nicht kommen wollen. Sie ist ein gutes Medium sonst, und heute hat sie gewiß den Geistern nicht nachgeholfen.“
„Und woher schließen Sie, daß Sie es ein anderes Mal thut?“ fragte ich gespannt.
„Nun denn,“ sprach die junge Frau zögernd, „die Blume, welche Baron F. unlängst von den Geistern erhielt, lag vorher auf dem Schooße der Mrs. V., – ich saß neben ihr –, und ich sah deutlich, daß es auch ihre Hand war, die ihm die Blume durch die Oeffnung im Tische reichte. Der Baron wäre aber auch ganz untröstlich gewesen, wenn ihm die Geister das kleine Geschenk, um das er flehentlichst bat, verweigert hätten.“
Wie sehr bedauerte ich, daß der Baron, der Jurist und der Chemiker inzwischen weggegangen waren!
„Warum deckten Sie aber den Betrug nicht auf?“ fragte ich.
„Ich fürchtete mich,“ lautete die einfache Antwort.
Gräfin W. lachte vor sich hin.
„So darf ich wohl auch eine kleine Entdeckung zum Besten geben? Unter Ihrem Schutze, Herr Doctor,“ fügte sie hinzu.
Ich bat darum.
„Unlängst war ein Geist so freundlich, seine Hand anfühlen zu lassen – es war aber der nackte Fuß der Mrs. V. Ich habe es deutlich gesehen.“
Ich konnte mich eines lauten Lachens nicht erwehren.
„Und warum warteten auch Sie so lange mit der Entdeckung?“ fragte ich wieder.
„Weil es mir Niemand geglaubt hätte, auch mein Mann nicht,“ entgegnete die Gräfin. „Sie hätten Alle von Sinnestäuschung gesprochen, wenn ich auch meiner Sache noch so gewiß war.“
„Ich gebe zu, daß Mrs. V. manchmal den Geistern nachhilft,“ meinte Fräulein P. nun ziemlich kleinlaut, „aber ich bin noch fester davon überzeugt, daß sie es nicht immer thut. Wozu sollte sie es auch? Was für einen Grund hätte sie denn dazu?“
„Der Grund ist doch ziemlich leicht zu entdecken,“ wandte ich ein. „Sagen Sie, Fräulein P., würden Sie Mrs. V. besuchen, wenn sie kein Medium wäre? Würde diese Dame ohne ihre Geisterwirthschaft das für sie unschätzbare und auf gar keine andere Weise zu erreichende Glück haben, Koryphäen der Wissenschaft und der Gesellschaft in ihren Salons versammelt zu sehen? Halten Sie das für keinen genügenden Grund? – –
Wenn ich diese mir ewig denkwürdige „Sitzung“ sammt ihrem kläglichen Ende so ausführlich erzählte, so that ich dies, um dem deutschen Leser einen Begriff davon zu geben, in welch primitiver Art die hohen und höchsten Kreise in England sich manchmal von diesen scheinbar uneigennützigen Medien düpiren lassen. Aber auch für unsere Erörterung können wir einen wichtigen Satz daraus ableiten, denjenigen nämlich:
Kein sogenanntes, von den Spiritisten vollbrachtes Wunder ist im Stande, die Wahrheit des Spiritismus zu erhärten, so lange dieses Wunder auch als auf rein mechanischem oder technischem Wege erzeugt gedacht werden kann – gleichviel, ob man sich das Zustandekommen desselben sofort erklären kann oder nicht. Wir sehen auch von „Professoren der Magie“, d. h. Taschenspielern, oft genug Kunststücke selbst ohne Zuhülfenahme jedes Apparates ausgeführt, die unsere höchste Bewunderung erregen und deren Zustandekommen der Zuschauer sich gar nicht erklären kann, aber an eine Mithülfe von Geistern glaubt deshalb doch Niemand. Wir werden auf diesen Satz in einem zweiten Artikel zurückzukommen Gelegenheit haben.
Von Julius Walter.[1]
1. Leon Gambetta.Hätte Julius Cäsar den Leon Gambetta gekannt, nimmer hätte er den Wunsch geäußert: „Laßt nur Dicke um mich sein!“
Wenn Gambetta so daher streicht im behaglich schleifenden Schritte, den glänzenden Cylinder tief im Nacken, die fleischigen weißen Hände auf dem Rücken oder über das mächtig vordringliche Spitzbäuchlein gekreuzt, mit diesen feisten Wangen in sattem Bordeaux-Roth-Ton, da glaubt man einen guten Bourgeois vor sich zu haben oder einen reichen Weinhändler in Pension, nimmer aber den Banquo des Kaiserreiches, den „männermordenden“ Exdictator, von dem es noch kürzlich hieß:
„Denn was er sinnt, ist Schrecken;
Und was er blickt, ist Wuth. – –“
- ↑ Verfasser der bekannten „Carlsbader Sprudelsteine“, auf die wir demnächst ausführlicher zurückkommen werden. D. Red.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_015.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)