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Seite:Die Gartenlaube (1876) 730.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


3.

Wenn die Waffen klirren, und das Vaterland um seine Ehre, sein Dasein kämpft, bleibt Denen, welche außerhalb der That stehen, nur zweierlei, um sich mit dem Weltgedanken in Harmonie zu erhalten: Studium oder Andacht. Nur hierin ist persönliche Vertiefung noch möglich, während fiebernder Pulsschlag durch eine ganze Nation geht. So wurde denn auch auf Frauenwörth Studium und Andacht gepflegt, wie gewohnt, während in den ersten blutigen Schlachten des deutsch-französischen Krieges Tausende den Tod fanden. Im Kloster schallten die Gesänge, wurden Lehre und Arbeit geübt, wie zur Zeit tiefsten Friedens, und zwischen den alten Uferweiden lauschten die Künstler auf die Offenbarungen der Natur, welche nach jedem Orkane immer wieder lächelt und harmonisch ruht.

Blieben auch in diesem Sommer die Touristen aus, wenigstens seit den letzten Wochen, so fehlte von den Stammgästen der Insel kaum einer. Unter ihnen erkennen wir Bernardin, der aber in dem Augenblicke, wo wir ihn treffen, nicht mit Pinsel und Palette beschäftigt ist, sondern auf der Bank unter dem Kirschbaume sitzt, welcher für den Dampfschiffsteg gleichsam den Wartesalon darstellt.

Es war um Mittagszeit; die Mehrzahl der Wirthshausgäste weilte noch an dem im Freien gedeckten Tische. Das Dampfschiff mußte im nächsten Augenblicke kommen. Als sein schrilles Pfeifen sich vernehmen ließ, stand Bernardin rasch auf und trat auf den Steg; er spähte mit scharfem Blicke in den See hinaus, und ein heller Zug von Befriedigung ging über sein Gesicht, sobald er im Stande war, die Gestalten auf dem Verdecke des nahenden Dampfers zu unterscheiden. Auch er war von dort aus schon gesehen worden; ein flatterndes Tuch wehte einen Augenblick auf. Er lüftete den Hut und trat bis an die Stufen vor.

„Also wirklich!“ sagte er in warmem Tone, indem er Valentine Wittstein die Hand zum Aussteigen entgegen bot. „Doppelt willkommen! Denn Sie hatten geringe Hoffnung für Ihre Wiederkehr gegeben, und ich wünschte diesen Entschluß sehr, namentlich um Ihretwillen. Was hat ihn so glücklich bestimmt?“

„Die Umstände,“ sagte Valentine, und schritt an seiner Seite dem Wirthshause entgegen. „Meine Schwester, bei der ich zu bleiben dachte, erhielt von ihren Schwiegereltern dringende Aufforderung, zu ihnen zu ziehen, so lange mein Schwager im Felde bleibt; es wäre lieblos gewesen, den alten Leuten diesen Trost zu versagen, und die Aufgabe, sich ihnen zu widmen, ist für Minna eine günstige Zerstreuung. Sie luden auch mich ein, aber das war wohl mehr freundliche Form; der Raum würde sich dort sehr beengt haben, und so zog ich vor, wenigstens vorerst dies liebe Asyl aufzusuchen, wo ich Freunde und mehr Ruhe treffe, als in München. Dort ist jetzt alle Welt gleichsam im Fieber.“

„Hatten Sie neuerdings Nachricht vom Herrn General?“

„Ja, und gute! Papa ist wie neugeboren, seit er wieder in Action gelangte. Aus seinen Briefen, die freilich immer sehr aphoristisch sind, spricht eine Frische des Geistes und der Stimmung, welche für alle Sorgen um ihn einigen Ausgleich bietet. Er rühmt seine Gesundheit; im Uebrigen ist er mit Leib und Seele Soldat. – Wie steht es hier?“

„Sie finden uns so ziemlich, wie Sie uns verlassen haben. Aschens sind zufällig heute nach Seern; sie werden überrascht sein, da sie für den Fall Ihrer Ankunft noch Mittheilung erwarteten.“

„Wozu schreiben? An Unterkommen wird es ja gegenwärtig nicht fehlen.“

„Ihr Balconzimmer ist frei geblieben. Mein Gott – wie kurz die Zeit, seit Sie uns so plötzlich verließen, und wie inhaltsschwer!“

Valentine neigte gedankenvoll den Kopf. „Wohl hätte man sich dies Alles nicht träumen lassen, als Papa seine Inspicirungsreise antrat, und ich mit Aschens hierher ging. Die Ereignisse haben sich überstürzt. Noch schwebt mir die Woche der Kriegserklärung vor den Augen, wie Gegenwart. Meine Abreise von hier, das Zusammentreffen mit dem Vater, der Ausmarsch meines Schwagers, Alles das folgte sich unaufhaltsam; es kam wie eine hohe Woge, von der man vorwärts geworfen wird, fast ohne die Möglichkeit persönlichen Wollens und Könnens. Und – glauben Sie mir! – so gern ich hierher zurückkehrte, es geschieht doch mit einer Art von Beschämung. Wo so Viele thätig sind, sei es selbst nur durch Leiden, da erscheint Genuß der Ruhe fast wie ein Unrecht.“

„Was könnten Sie leisten?“

„Allerdings nirgends etwas Anderes, als was ich hier thun kann: die Hände mit Verbandzeug beschäftigen, dessen man ja schon jetzt so viel, so viel bedarf.“

Die Terrasse war erreicht. Valentine wurde umringt und mit sichtlicher Freude begrüßt. Wittsteins gehörten nun schon seit mehreren Jahren zu den Stammgästen, und „das Fräulein“, wie Valentine einfach bezeichnet wurde, war ein allgemeiner Liebling, obgleich nur Wenige ihr persönlich näher standen. Jedermann sprach gut von ihr. Die vielbeschäftigte Wirthin hatte für sie besondere, zarte Aufmerksamkeiten; gewisse Gerichte, welche sie gelegentlich gerühmt, kamen zur Zeit ihrer Anwesenheit häufiger auf die Tafel; das erste Obst, welches reifte, wurde dem Fräulein gebracht; selbst der bekannte Humor der allbeliebten Herbergsmutter gewann liebreiche Wendung, sobald sie ihr Wort an Valentine richtete. Alt und Jung fühlte sich von dieser angezogen; wer mit ihr gesprochen hatte, verließ sie in Zufriedenheit mit sich selbst und mit ihr. Es lag in Valentinens Wesen etwas vom Mondlichte, das alle Linien sänftigt, auf die es fällt.

So wohlthuend der herzliche Empfang sie berührte, sehnte sie sich doch nach der Einsamkeit ihres Zimmers und suchte es auf, sobald sie etwas genossen. Die ersten, noch in München verlebten Morgenstunden hatten manches Bewegende mit sich gebracht. Der Abschied von der Schwester war ihr schwer geworden; selbst der Contrast, welcher ihr aus der Weltverlorenheit dieser kleinen Insel und dem brausenden Vorwärtsrollen der Weltgeschichte vor Augen trat, übte einen Rückschlag auf ihre Stimmung. Sie ordnete ihr Gepäck und trat dann hinaus auf den Balcon, auf dem sie nun schon seit Jahren so manche einsame Stunde zugebracht hatte.

Es war Mitte August. Die Linden standen in voller Blüthe; der feine starke Duft drang zu ihr auf. Sie ruhte und sann. Während ihr Blick über die um diese Stunde immer menschenleere Terrasse schweifte, blieb er unwillkürlich an einer Gestalt hängen, die von der Ortschaft her der Hecke entlang kam und etwas Bekanntes für sie hatte, obwohl sie sich nicht sogleich auf diese Frau oder dieses Mädchen besann. Nun schritt Letztere langsam näher, quer über den Platz, den Linden zu, durch welche der Weg nach der Kirche führt. Valentine beugte sich über die Brüstung, um genauer zu sehen; fast unwillkürlich entschlüpfte ihr der Ruf: „Monika!“

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Richard Schmidt-Cabanis, der Verfasser der „Allerlei Humore“, hat einen neuen Blüthenstrauß humoristischer Novelletten und Skizzen gewunden und ihn der schöneren Hälfte des Menschengeschlechts überreicht. Unter dem verlockenden Titel: „Wenn Frauen lächeln“ und durch zierliche Holzschnitte illustrirt, sind sie in Denicke’s Verlag in Berlin erschienen. Unter den fünf Novelletten der ersten beiden Abschnitte des Buches, in denen erst „unter Thränen gelächelt“, dann aber „aus vollem Herzen gelacht“ wird, werden einige in ihrer Frische und Sinnigkeit den Leser auf das Liebenswürdigste anmuthen, am meisten das tragikomische Lebensbild: „Zwischen Leben und Tod“. Hier weht Jean Paul’scher Humor: man wird gleichzeitig gerührt und erheitert durch den armen kleinen Burschen, der von dem frischen Grabe seiner Mutter hinauswandert in die Welt, begleitet von seinem einzigen Besitzthum, einer Eule, die er mühselig im schweren Käfig mit sich schleppt und mit der er den letzten Bissen theilt. Fast bedauert man, den guten Jungen gar so schnell einen Wohlthäter finden zu sehen, mit dessen Erscheinen die Geschichte zu Ende ist. Ihr zunächst an Frische des Humors steht die fidele Liebesgeschichte: „Lieschens Aussteuer“ mit der prächtigen Figur des „Onkel Krischoff auf Bagfelde bei Rostock in Mecklenburg“ und die windige Historie: „Von Brighton nach Wien“, in der man erfährt, warum der Wind so beständig auf dem Stephansplatze weht. Der dritte Abschnitt, „Allerlei lustig Gekicher“, humoristische Plaudereien über die verschiedensten Motive, zeigt von Neuem Schmidt-Cabanis’ satirische Schärfe, seine Formgewandtheit und seine Schlagfertigkeit im Wortwitz.




Kleiner Briefkasten.

A. G. Der Gegenstand ist für unser Blatt nicht geeignet, und bitten wir über das Manuscript Verfügung zu treffen.

Pr. W. in Bl. Ist der Artikel jetzt – nach drei Jahren – nicht veraltet, und genügt Ihnen die dazu vorliegende Illustration wirklich?



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 730. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_730.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)