Verschiedene: Die Gartenlaube (1876) | |
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In der Mitte dieses Weges führte eine steinerne Treppe in den Festungshof hinab, in welchen der Ausgang von Heerbrandt’s Local mündete. Frech’s Flucht mußte quer über den Hof zu der Treppe, diese hinauf, sodann gerade aus über den Wall und von da hinunter in den ersten ziemlich tiefen Graben bewerkstelligt werden. Zu diesem Zwecke waren zwei Mann erforderlich, welche ihn an der Strickleiter hinunterlassen mußten; von da aus konnte er mit dieser leicht in den zweiten Wallgraben und aus demselben am linken Ende über eine etwa zehn Fuß hohe Mauer in den Weg, der zum Festungsthore hinaufführte, gelangen. Heerbrandt sicherte sich die Hülfe von vier Soldaten. Leider mußten diese aber bereits um acht Uhr in der Kaserne sein. Da nun in Folge dessen bei Tage eine Flucht unmöglich war, so konnte natürlich nur die Zeit der Dämmerung, zwischen ein halb acht und acht Uhr, zur Ausführung des Plans gewählt werden. Tag und Stunde waren festgesetzt; alles war vorbereitet. Frech zeigte um ein halb acht Uhr durch einen Pfiff an, daß er auf dem Wege zur Treppe sei. Hier empfingen ihn die zwei Soldaten, welche ihn an der Strickleiter in den Graben hinabließen; zu gleicher Zeit machten die zwei Anderen die beiden Schildwachen auf der dem Schauplatze entgegengesetzten Seite auf ein Feuer im Thale aufmerksam, das natürlich gar nicht existirte und in demselben Momente von den Soldaten als erloschen erklärt wurde, als ein zweites Signal ihnen anzeigte, daß der Vogel glücklich befördert sei. Heerbrandt, der um acht Uhr ebenfalls zu Hause sein mußte, saß seit sieben Uhr in der Barth’schen Wirthschaft und erheiterte durch seine humoristische Unterhaltungsgabe die anwesenden Gäste, sodaß keiner derselben auch nur die leiseste Idee von dem Streiche hatte, den er eben jetzt ausführte. Kurz nach ein halb acht Uhr kam einer der Soldaten herein, verlangte ein Glas Bier und gab unserm Freund ein Zeichen, daß die Flucht geglückt sei. Wenige Minuten vor acht Uhr verfügte sich Heerbrandt in das Zimmer neben dem seinigen, welches zwei seiner Collegen beherbergte, die von der ganzen Sache jedoch keine Ahnung hatten.
Um acht Uhr kam regelmäßig der Aufseher mit einer Laterne, um sich von der Anwesenheit seiner Gäste zu überzeugen, und mit ihm ging Heerbrandt in sein Zimmer zurück. Beim Oeffnen desselben fiel der Lichtschein auf einen Haufen Schutt mitten im Zimmer und auf ein mächtiges Loch in der Decke. Heerbrandt prallte scheinbar erschrocken zurück, der Aufseher aber hatte sofort erkannt, um was es sich handelte, und machte Lärm. Beim Oeffnen von Frech’s Zimmer fand man seine beiden Zimmergenossen angeblich betrunken und deshalb gänzlich unfähig ein Wort der Auskunft von sich zu geben. Die ganze Oeffnung wurde durchsucht, ja nach zwölf Uhr kamen sogar einige Officiere in das Zimmer Heerbrandt’s und leuchteten unter dessen Bett, um zu erforschen, ob Frech nicht unter demselben versteckt sei. Endlich sandte man Patrouillen nach außerhalb, und da fand man an der Mauer einen in den Weg herabhängenden Strick. An dieses corpus delicti wurde sofort eine Schildwache gestellt, welche am andern Mittag noch dastand. Die Untersuchung ist damals scharf geführt worden, hat aber kein Resultat geliefert. Der ganze Vorfall dürfte übrigens in obigen Zeilen zum ersten Mal öffentlich geschildert werden.
Frech entkam glücklich nach Frankreich, hat jedoch seinem Retter nie eine Zeile des Dankes zukommen lassen. Schneller und leichter wurde wohl Keiner aus einer Festung hinausbefördert.
Die Laube-Feier in Wien hat sich zu einem erhebenden Feste gestaltet, welches dem siebenzigjährigen Jubilar ein Freuden- und Ehrentag zugleich geworden ist.
Nachdem schon am 17. September das Wiener Stadttheater durch eine glanzvolle Aufführung von Laube’s „Monaldeschi“ eine würdige Vorfeier in Scene gesetzt, hieß am folgenden Tage die Parole für jedes Wiener Kind einzig: Heinrich Laube! Die ganze Kaiserstadt an der Donau feierte den Mann voll Muth und Freiheitssin, wie Michael Etienne ihn mit Recht nannte, den Mann, der aus dem Burgtheater ein Theater für Bürger gemacht, der niemals nach Titeln geizte und den Lohn seiner Tugenden nicht im Knopfloch zu tragen strebte. Der Morgen des Festtages gehörte den Deputationen, und das von zarten Frauenhänden in einen prächtigen Blumengarten verwandelte Haus Laube’s glich dem Ehrensitze eines Triumphators, dem Jung und Alt seine Huldigungen darbringt. Den Reigen der officiellen Gratulanten eröffneten die Abgesandten der akademischen Lesehalle und des Lesevereins der akademischen Studenten; dann folgten unter Anderem die Repräsentanten der Literaturfreunde und der Schillerstiftung, die letzteren geführt von dem Dichter Joseph Weilen, sodann der Directionsrath des Wiener Stadttheaters, die Vertreter des Schriftstellervereins „Concordia“ mit ihrem Präsidenten Johannes Nordmann an der Spitze, ferner die Mitglieder des Wiener Stadttheaters, ein großes Damencomité, welches eine mit zehntausend Namen bedeckte Adresse überreichte, und die Deputation der Stadt Wien unter Führung des Bürgermeisters Dr. Felder, der den Jubilar mit dem Ehrenbürgerbrief der Stadt Wien beschenkte – zum erstenmal in der Geschichte des deutschen Theaters, ja des Theaters überhaupt, geschah es, daß eine große Stadtgemeinde einem Theaterdirector die Bürgerkrone reichte. Für jeden der Glückwünschenden hatte der trotz seiner hohen Jahre noch immer bewegliche Laube ein biederes und herzliches, ein witziges oder launiges Wort, und daß er gelegentlich der Antwort auf Nordmann’s Ansprache des frischen Grabes seines soeben heimgegangenen Sangesgenossen Anastasius Grün gedachte, ist ein Zug des Gemüths, der Beide, den Todten wie den Lebenden, ehrt.
In den Abendstunden des Festtages sahen die Räume des glänzend geschmückten Wiener Cursalons eine zahlreiche Festversammlung beim Banket beisammen. Es sei uns erspart, auf die vielen geist- und humorvollen Toaste und Trinksprüche, welche bei Tafel zu Laube’s Ehren ausgebracht wurden, hier noch einmal zurückzukommen, nachdem die Tagesblätter sie in stenographischer und freier Wiedergabe zahlreich reproducirt haben. Nur Eines dürfen wir hier nicht verschweigen: unsere Freude über die Rede, welche der Gefeierte, angesichts der ihm bereiteten Ehren ganz des Dankes und der Rührung voll, an die versammelten Festgenossen richtete. Es waren Worte aus echtem Mannes- und Dichterherzen. Bescheiden wollte er die „übergroßen Ehren“ des Tages nur der Freundlichkeit und dem Wohlwollen der Festgeber verdanken und diese glänzenden Ovationen nicht sowohl aus der Bedeutsamkeit, wie aus der Breite seines Wirkens und der dreifachen Bahn erklären, in der es sich bewege: der politischen, der schriftstellerischen und der dramaturgischen – dieser letzteren besonders schrieb er, die Auszeichnung zu, welche ihm seine Wiener zu Theil werden ließen.
Die Wiener – ja sie haben uns durch diese Laube-Feier gezeigt, daß sie deutsch empfinden – süddeutsch; denn in Mittel- und Norddeutschland – es ist ein Wort der Klage – läßt die oft allzu nüchterne Welt- und Lebensanschauung, die reservirte nordische Natur solche Begeisterungsfeste für die Vertreter der schönen Künste kaum zu Wort kommen. Um so mehr fühlen wir uns gedrungen, uns hier als eine Stimme aus Mitteldeutschland dem Wunsche fröhlich anzuschließen: Lange lebe Heinrich Laube!
Amerikanische Bankberaubung. Im sonntagsheiligen Amerika hat Edmund Burke’s Ausspruch: „Kein Eigenthum ist sicher genug, wenn es groß genug ist, um die Begierde der geldbedürftigen Macht auf sich zu ziehen“ – öffentliche Geltung erlangt. Im Februar 1865 wurde eine Sparbank für freigewordene Neger gegründet und vom Präsidenten Abraham Lincoln die betreffende „Charter“ bestätigt. Fünfzig der angesehensten Bürger New-Yorks traten als Corporation zusammen, beschlossen allfällige Depositen von ehemaligen Sclaven und deren Nachkommen anzunehmen und in Stocks, Bonds, Schatzamts-Noten und andern sicheren Papieren der Vereinigten Staaten anzulegen; die farbige Bevölkerung wurde hierauf durch verlockende Circulare und Pamphlete aufgefordert, ihre Ersparnisse dieser Bank anzuvertrauen, und dies geschah mit solchem Vertrauenseifer, daß in kurzer Zeit eine Summe von sechsundfünfzig Millionen Dollars, meistens von Soldaten, Wittwen und dergleichen, in der „Freedmen’s Bank“, wie sie amerikanisch-englisch heißt, sich angesammelt hatte. Jetzt trat Burk’s geflügeltes Wort in Wirksamkeit.
Es bildete sich eine andere Gesellschaft, genannt „Real-Estate-Ring“, deren Mitglieder mit dem Finanz-Comité der Neger-Sparbank eine Abmachung zur Beraubung der armen allzu vertrauensvollen Sparbankgenossen eingingen. Das Geld wurde gegen ungenügende oder gar keine Sicherheit ausgegeben, und um die bereits begangene Gesetzwidrigkeit, die Vereinigten-Staatenbonds, aus denen allein die Depositen der Bank bestehen sollten, gegen andere Werthpapiere umzutauschen, unschädlich zu machen, wußte der geheime Gaunerverein vom Congreß ein Amendement zum „Bank-Charter“ zu erwirken, welches jene Bestimmung aufhob, und nun erst konnte das Betrugsgeschäft ungescheut im größten Style weiter geführt werden. Umsonst bemühte sich der Bank-Inspector Sherry, der den Unfug durchschaute, eine Congreß-Untersuchung zu veranlassen. Erst als die Casse nahezu leer war, setzte man eine Untersuchungs-Commission ein, deren Thätigkeitserfolg kein anderer war, als daß sie anderthalbhunderttausend Dollars Kosten verursachte. Die Millionen der Ersparnisse der armen farbigen Soldaten, Wittwen und Waisen sind dahin, und die Verbrecher laufen noch ungestraft herum. Wo so viel in der Woche gesündigt wird, da soll’s nun der Sonntag durch Ueberfrömmigkeit wieder gut machen. Man sieht jedoch an den Folgen, wie wenig das Mittel hilft.
Erklärung. Wenn es in dem „Bayreuther Festtagebuch“ (Nr. 37 unseres Blattes, S. 620) heißt, die Verwaltungen des Irren- und des Zuchthauses daselbst haben während der Festspiele Zimmer an Jedermann „vermiethet“, so ist dies dahin zu berichtigen daß es lediglich eine Privatfreundlichkeit eines höheren Beamten der Zuchthausverwaltung war, einige Mitglieder des Wagner-Orchesters in die von ihm bewohnten Räume auf drei Monate aufzunehmen, und zwar unentgeltlich. Ebensowenig hat die Irrenhausverwaltung Zimmer vermiethet.
Berichtigung. Von gut unterrichteter Seite werde ich darauf aufmerksam gemacht, daß der in dem Artikel über Bürgermeister Koch (in Nr. 38) erwähnte Stadtrath Demuth nicht im Jahre 1848, sondern erst im August 1849, und zwar im einundsiebenzigsten Lebensjahre auf sein ausdrückliches Verlangen aus dem Rathe der Stadt Leipzig ausgeschieden ist.
A. M. in Sch. Auf Ihre Anfrage die Mittheilung, daß die Lindau’schen „Nüchternen Briefe aus Bayreuth“ bereits in vierter Auflage erschienen sind und daß wir in unser nächsten Nummer eine Ergänzung derselben in Form eines Briefes post festum aus derselben Feder bringen werden.
Den neu hinzugetretenen Abonnenten werden die Nummern 27 bis 39, welche den Anfang der Novelle „Vineta“ von E. Werner enthalten, gegen Nachzahlung von 1 Mark 60 Pfennig von jeder Buchhandlung oder Postanstalt nachgeliefert.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 678. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_678.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)