Verschiedene: Die Gartenlaube (1876) | |
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Zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts galt Nürnberg, und zwar mit Recht, für eine der ersten Städte deutscher Nation. Alle Schriftsteller damaliger Zeit einigen sich in dem Lobe dieser Perle Deutschlands, und nicht allein Hans Sachs ist es, welcher uns in einer poetischen Beschreibung Nürnbergs deutlichen Einblick in die Größe und Bedeutung der Stadt, in ihre musterhafte Verwaltung, in das behäbige, fast prunkvolle Leben seiner Bürger gewährt.
Es ist selbstverständlich, daß durch den Reichthum der Patricier und großen Kaufherren, durch die alle Bürgerkreise durchdringende Wohlhabenheit auch das Verlangen nach Lustbarkeiten und Vergnügungen, und zwar in hohem Maße, hervorgerufen wurde. In der That hat es denn auch an dergleichen Belustigungen nicht gefehlt, und wie um diese Zeit Nürnberg fast in allen Dingen für das übrige Deutschland tonangebend war, so auch in seinen Volksfesten. Gar viele der hier eingebürgerten Belustigungen haben sich von Nürnberg aus über ganz Deutschland verbreitet, und wenn die Städtechroniken von Augsburg, Frankfurt am Main, Köln, Lübeck etc. fast zu derselben Zeit von ähnlichen Volksbelustigungen zu erzählen wissen, so sind wir doch im Stande, den Ursprung fast aller dieser Feste auf Nürnberg zurückzuführen. Will uns der Leser auf dieses Gebiet folgen, so wird er neben vielem Bekannten auch manches Neue und Interessante finden, vorausgesetzt, daß eine aus zuverlässigen Quellen gezogene Beschreibung jenes fröhlichen Treibens unseres Volkes, seiner ungebundenen Sitten und Gebräuche ihn überhaupt interessirt.
Ein Grundzug des deutschen Volkes war von den ältesten Zeiten her die Lust am Waffenspiel. Daß in den emporblühenden Städten der waffentüchtige Bürger eine Hauptbedingung für die Existenz dieser Gemeinwesen war, ist selbstverständlich, und so sehen wir denn auch schon in der allerfrühesten Zeit zu Nürnberg Vornehm und Gering, theils auf dem Marktplatze der Stadt, theils auf dem grünen Anger vor den Thoren sich an allerhand Waffenspielen ergötzen. Während die Patricier ihre Gesellenstechen halten, ahmt die weitberühmte Gilde der Plattner oder Harnischmacher dieses ritterliche Vergnügen insofern nach, als sie, geharnischt auf hohen mit Rädern versehenen Stühlen sitzend, von ihren Lehrjungen geschoben, mit Stangen gegen einander rennen und sich so gegenseitig „abzuräumen“, das heißt in den Sand zu strecken suchen. Die Messerer und die Klingenschmiede, eine ebenfalls hoch angesehene Zunft des alten Nürnberg, ehren durch zierlich verschlungene Tänze, wobei Messer und Klingen die Stelle der Guirlanden vertreten, ihr Handwerk. Armbrustschießen, die Vorläufer unserer Schützenfeste, gehörten bekanntlich zu den Hauptbelustigungen des deutschen Volkes; in Nürnberg gelangten dieselben zu solcher Ausdehnung, daß der Rath es für nöthig erachtete, ein besonderes Schießhaus für diese Uebungen zu erbauen, wo denn in späterer Zeit die Kugelbüchse den zierlichen Schnepper sowohl, wie die massive Eyben (Armbrüste verschiedener Art) bald verdrängen sollte. Trotzdem aber hat der Nürnberger eine besondere Vorliebe für die mittelalterliche Armbrust sich erhalten; noch im 17. Jahrhundert finden vielfach Vogelschießen mit Schnepper und Eyben statt, und noch heutigen Tages kann der Fremde auf seinem Rundgange durch die interessante Stadt im sogenannten „Schnepperergraben“ am Thiergärtnerthor fröhliche Männer unter blühenden Bäumen erblicken, welche mit dem Schnepper die Schießkunst ihrer Aelterväter durch fortwährende Uebung in Ehren halten.
Eine merkwürdige Art bürgerlicher Waffenübung bilden die um die Mitte des 16. Jahrhunderts auftretenden Fechterspiele. Ob die Fechter im Allgemeinen (wir finden deren schon in den ältesten Handschriften erwähnt) Nachfolger der römischen Gladiatoren gewesen, lassen wir dahingestellt; Fechter, welche für Geld ihre Künste zeigten, gehörten ursprünglich zu den fahrenden Leuten und konnten schon deshalb keine Gemeinschaft mit den Fechterinnungen haben, welche sich lediglich aus Handwerkern, und zwar aller Zünfte bildeten. Gegen 1600 nahmen die städtischen Fechtschulen Eintrittsgeld, in dessen Ertrag sich dann die siegende Partei theilte. Vor dieser Zeit galt bei den Nürnberger Fechtschulen das Ehrenkränzlein als höchster und ritterlicher Preis.
Die ersten regelrechten deutschen Fechtschulen sind zweifelsohne in Nürnberg gehalten worden. Während vor 1500 keine Stadt ähnlicher Schulen urkundlich erwähnt, beweisen schon Nürnberger Rathserlasse von 1477 bis 1492, daß hier, und zwar von Handwerkern, Fechtschulen gehalten worden sind. Sie standen in solchem Ansehen, daß Friedrich der Dritte den „deutschen Meistern des Schwertes zu Nürnberg“ einen Privilegiumsbrief ausstellte. Derselbe datirt vom 10. August 1487 und sichert den Nürnberger Meistern zu, „daß nun hinfür allenthalben in dem heiligen reiche sich niemand ein meister des schwerts nennen, schul halten noch um geld lernen soll, er sei denn zuvor von den meistern des schwerts in seiner kunst probirt und zugelassen.“[1]
Von Nürnberg aus verbreiteten sich Meister des langen Schwerts über ganz Deutschland. Wie bei den Zünften, so geschah auch hier die Aufnahme in die Innung unter allerhand Ceremonien. Es bildete sich eine Bruderschaft, welche um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts ihren Sitz in Frankfurt am Main hatte und sich nach dem Evangelisten St. Marcus die Marxbrüder nannte. Zur Zeit der Herbstmesse schlug der Hauptmann der Marxbrüder hier den Schüler nach abgelegtem Probestück zum Meister des langen Schwertes, und erhielt dieser hierdurch das Recht, überall im deutschen Reiche Fechtschulen zu halten, das heißt öffentlich fechten zu dürfen.
Die Marxbrüder sollten bald in den Federfechtern ebenbürtige Gegner erhalten. Dieselben erwählten den Prager Heiligen St. Veit zu ihrem Schutzpatrone und nannten sich Sancti-Viti-Fechter, woraus Viterfechter (Federfechter) entstanden sein mag. Da sich ihre Fechtwaffen von denen der Marxbrüder in nichts unterschieden, so ist die vielfach verbreitete Annahme, als ob das Wort Feder eine nur bei ihnen gebräuchliche Waffe bedeute, vollständig aus der Luft gegriffen. Kaiser Rudolf gab ihnen zu Prag 1607 Privilegium und Wappen, welch letzteres zur näheren Bezeichnung eine Schreibfeder im Schild führte.
Die Hauptwaffe beider Bruderschaften war das lange, zweihändige Schwert, wie es sich noch in vielen städtischen Rüstkammern vorfindet. Bei ihren öffentlichen Aufzügen wurde dasselbe, gewöhnlich mit Kränzen behangen, voraufgetragen und hieß deshalb das Prunkschwert. Es ist dieselbe zweihändige Waffe, welche das erste Glied des Landsknechthaufens beim Angriffe führte und in dessen Handhabung Georg von Frundsberg, der vielgenannte Vater der Landsknechte, ein hochgepriesener Meister war. Die zweite, vielgebräuchliche Hiebwaffe war der Dussak oder Tessak, ein kurzer, plumper Säbel mit höchst primitivem Griffe. Als unter Karl dem Fünften die spanische Mode in Deutschland einriß, kam auch der leichtere Korbdegen – in den Fechtbüchern schon damals Rappier genannt – in Aufnahme, konnte aber das lange deutsche Schwert und den Dussak nicht verdrängen.
Mit der Handhabung des Rappiers war vielfach die des Messers oder Dolches insofern verbunden, als der Fechter mit der rechten Hand das Rappier, mit der linken aber den Dolch und zwar wohl hauptsächlich zum Pariren der Hiebe führte. Ebenso finden wir Abbildungen, wo der kurze spanische Mantel, über den linken Arm geworfen, zur Abwehr der Streiche gebraucht wird. Das Gefecht um Dolchen allein, welche, um nicht tödtliche Wunden herbeizuführen, an der Spitze mit einem runden Knopf versehen waren, scheint mehr ein Ringkampf gewesen zu sein, wie denn schon Leküchner’s alte Handschrift über das Messerfechten dabei des Ringens, namentlich aber eines Handgriffs erwähnt, vermittelst dessen man den Gegner wehrlos zu machen und in den bereit gehaltenen Sack zu stecken vermag. „Will er nicht darein kriechen (in den Sack), so greif mit deiner rechten hand auswendig in seyn rechte kniepug und wirf ihn in gottes namen darein!“ So lautet der wohlgemeinte Rath des
- ↑ Wir geben die Urkundenauszüge zur Bequemlichkeit des Lesers in einer verständicheren Rechtschreibung.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 587. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_587.jpg&oldid=- (Version vom 14.10.2021)