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Seite:Die Gartenlaube (1876) 522.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


sie eingeschüchtert die Augen nieder, und das Alles mit einem mädchenhaften Ausdruck, der die ehrwürdige Greisin ungemein reizvoll kleidete. Wir führten unsere Unterhaltung theils französisch, theils italienisch. Fehlte mir dann, wie es oft sogar in der eigenen Muttersprache zu gehen pflegt, ein Wort, ein Ausdruck, so kann sie mir sogleich zu Hülfe, was mir ein Beweis schien, wie aufmerksam sie meinem Geplauder zuhörte. Bei dieser Aushülfe zeigte sie eine seltene Schlagfertigkeit; man erkannte leicht, daß sie in der schweren Kunst, sich in die Denk- und Sprechweise Anderer hineinzuversetzen, eine große Virtuosität erlangt hatte. Um so angenehmer war es, ihr sein Herz zu öffnen, weil man sich eben verstanden wußte.

Wir suchten die schönsten Punkte des Gartens auf, der das Schloß, in dem die Dichterin geboren wurde und zwei Drittheile ihres Daseins verlebte, auf allen Seiten umgiebt und an die Dorfkirche von Nohant mit ihrem großen Schindeldach und kleinen viereckiger Thurm stößt. Tannen, Pappeln und Fruchtbäume beschatten den Park und verstecken fast ganz das herrschaftliche Haus, dessen hohes Dach und olivengrüne Fensterläden ihm ein patriarchalisches Aussehen geben. Ein anderes Gebäude, das den Namen Le Pavillon führt und ein thurmähnlicher, epheuumrankter Luginsland ist, gewährt einen reizenden Ausblick auf das umliegende „Schwarzthal“, wo ein großer Theil von George Sand’s Romanen spielt, ein Stück vom wald- und weidereichen, ebenen Berry.

„Im Winter ist es hier kalt und unfreundlich,“ sagte die Dichterin, „und da können wir uns weniger mit der eingeschlafenen Natur, sondern müssen uns mehr mit uns selbst beschäftigen. Dann ist ein reges Leben in unserem Hause. Wir haben viele Gäste, Eingeladene und Ungebetene. Da sollten Sie sehen, wie Diejenige, welche von der Welt für das Urbild der düstern Frau in Muffet’s „Octobernacht“ gehalten wird, mit einem Male lustig sein und ihre Gäste fröhlich machen kann! Ganz hinten im Garten ist unser kleines Privattheater, das siebenzig numerirte Plätze, eine ziemlich große Bühne und Decorations- und Costümir-Räumlichkeiten enthält.“

Dieses Haus war vor Jahren, als George Sand noch für das Theater schrieb, die Experimentalbühne der Dichterin, wo sie oft eben vollendete Scenen und Acte aufführen ließ, um die Wirkung zu prüfen. Nur hier sind jene Fragmente und Dramolets zur Aufführung gekommen, die später unter dem Titel „Theâtre de Nohant“ gesammelt erschienen sind und unter denen sich auch die Dramatisirung einer Novelle unseres Callot-Hoffman befindet, den George Sand so sehr bewunderte. Jetzt wurden hier blos noch Stegreifkomödien oder Marionettenstücke aufgeführt.


(Schluß folgt.)




Astronomie mit bloßem Auge.

Von zehntausend Menschen kommt durchschnittlich wohl höchstens Einer dazu, gelegentlich durch das Fernrohr einen Blick auf den Sternenhimmel zu werfen, und weil man nun meint, ohne Fernrohr sei an demselben nicht viel Besonderes zu schauen, so wird er selbst in den meisten Schulen mit einer nicht entschuldbaren Gleichgültigkeit behandelt. Wie groß dieser Irrthum ist, mag aus der Bemerkung erhellen, daß die Fixsterne, sofern sie nicht zu den Doppelsternen gehören, dem bewaffneten Auge selbst durch die stärksten Werkzeuge keineswegs größer erscheinen, als dem bloßen Auge, sondern eher kleiner. Im Gegentheile kann man viele der merkwürdigsten Erscheinungen des Sternenhimmels, z. B. die verschiedene Farbe und den regelmäßigen Lichtwechsel einzelner Sterne, das Thierkreislicht, Nebelflecke etc. recht wohl mit bloßem Auge, oder wenn dasselbe schwach ist, mit einem kleinen Opernglase, wie es ja fast Jedem zugänglich ist, erkennen, und ich glaube Manchem einen Gefallen zu erweisen, wenn ich ihn auf einige dieser den meisten Menschen ihr Lebelang verborgenen Sehenswürdigkeiten am Sternenhimmel aufmerksam mache.

Zunächst sollen diese Zeilen nur anregend wirken, und ich werde mich deshalb auf den Standpunkt jener ältesten Väter der Astronomie stellen, denen der nächtliche Himmel ein großes Märchenbuch mit schönen Bildern war, in deren Symbolik sich das geistige Auge gern vertiefte. Wenn wir eine der gewöhnlichen Sternkarten, wie sie unsern Schul-Atlanten vorgeheftet zu sein pflegen, zur Hand nehmen, so sehen wir darauf den Niederschlag jener uralten mythischen Betrachtungsweise des Weltalls, ein wundersames Gewimmel von Götter- und Menschenkindern, Thieren und Fabelwesen, die sich bunt, wie auf einem Maskenballe, durch einander tummeln. Auch in unsere Kalender sind jene märchenhaften Bezeichnungen der Sterngruppen, zum wenigsten die Namen und Bilder der sogenannten Thierkreiszeichen übergegangen, und wir finden dort jedem Monat sein besonderes Thierkreiszeichen: Widder, Stier, Zwillinge etc., wie sein Wappen zuertheilt. Es sind dies bekanntlich diejenigen zwölf Sternbilder, welche, den Leidensstationen der Calvarienberge katholischer Länder vergleichbar, längs des stark geneigten Himmelspfades liegen, den die Sonne im Laufe des Jahres scheinbar zurücklegt, sofern sie jeden folgenden Monat bei der nächsten Station auftaucht.

Jene Bezeichnungen der Thierkreissternbilder, wie das Gerippe unseres ganzen Kalenders und unserer Zeiteintheilung verdanken wir einem alten Culturvolke, welches viele Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung Babylon colonisirt hatte, den sogenannten Akkadiern, von deren culturhistorischer Bedeutung die Alterthumsforschung erst seit wenigen Jahren die sicheren Spuren aufgefunden hat. In einer aus Ziegelsteinen bestehenden Bibliothek des wieder aufgegrabenen königlichen Palastes von Ninive hat man unter den vor zweitausendfünfhundert Jahren copirten Keilschrifttafeln bruchstückweise auch dem viel älteren poetischen Commentar zu jenen zwölf Bildern gefunden, welche die erste Textseite unserer Kalender zu zieren pflegen. Es ergab sich daraus, daß jenes älteste Culturvolk die Sonne als einen abenteuernden Ritter verherrlichte, der alljährlich seine Rundreise durch die Himmelsstaaten machte und dabei an jeder der zwölf Monatsstationen eine Heldenthat verrichtete, z. B. wilde Widder und Stiere besiegte, oder sonst Abenteuer erlebte, an welche jene Thierkreisbilder zu erinnern bestimmt waren. So bezog sich z. B. das Sternbild des Wassermanns (auf unseren Himmelskarten als ein Mann dargestellt, der aus einer Urne einen ungeheuren Strom über den Himmel ergießt) auf den babylonischen Regengott, der die sogenannte Sündfluth auf Befehl eines höheren Gottes vollzogen haben sollte, und die Bibel hat, wie wir seit wenigen Jahren wissen, die Beschreibung derselben Zug für Zug dem chaldäischen Dichter entlehnt. Auch die sogenannten zwölf Thaten des Hercules sind nichts als ein entstellter Nachklang jenes altehrwürdigen Sonnen-Epos, welches die Namen der jetzt freilich (durch das Vorrücken der Nachtgleichen) weit von ihrem ursprünglichen Platze entfernten Monatszeichen in Form eines Märchens erläuterte.

Aber nicht allein sie, sondern auch alle übrigen Sternbilder verdanken ihre Namen der mehr oder minder poetisch angehauchten Volks- oder Gelehrtenphantasie. Wie sehr sinnig und volksthümlich solche astronomische Märchen oftmals sein können, möge uns das Sternbild lehren, mit welchem für die Kinder der nördlichen Halbkugel stets die Sternkunde beginnt, nämlich der große Wagen, oder wie ich ihn mit einem bekannteren, aber bloßen Mißverständnissen entsprungenen Namen nennen muß, der große Bär. Jedes Kind kennt diese uns nie entschwindende herrliche Zierde unseres nordischen Himmels, aber nur höchst wenige unter ihnen werden wissen, daß sie darin die Illustration, ja wahrscheinlich den Ursprung eines ihnen Allen bekannten Volksmärchens zu erblicken haben,des Märchens vom kleinen Däumling. Ich selbst habe erst von einem mit unserer Volksliteratur ausnehmend vertrauten Franzosen, Herrn Gaston Paris in Paris erfahren, daß dieses Sternbild, über dessen Mythologie derselbe im vorigen Jahre ein kleines lesenswerthes Buch[1] herausgegeben, in der Volkssprache der alten Deutschen und Slaven von Belgien bis Rußland, von Schweden bis nach Süddeutschland, seit Jahrhunderten allgemein der Däumlingswagen genannt worden ist; gerade wie vor mehr als zweihundert Jahren der hessische Schriftsteller Prätorius das Sternbild

  1. „Le petit poucet et la grande ourse“. Paris 1875
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_522.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)