Verschiedene: Die Gartenlaube (1876) | |
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und der Major prüft sie und spricht: „Sie ist recht nach Proportion der Repartition und nach der Anciennetät der Herren Officiere gemacht.“ – Rauch ist beruhigt, auch alle seine übrigen Vertheidigungsvorschläge werden auf das Bereitwilligste genehmigt, namentlich der, daß der Zapfenstreich heute schon um halb Neune geschlagen, somit eine halbe Stunde früher, als gewöhnlich, das ganze Commando auf dem Markt versammelt werden und dann die Vertheilung der Truppen nach Rauch’s Disposition geschehen solle.
Die Zeit ist da, das Corps, soweit es nicht auf Posten und Außenposten steht, versammelt, Rauch commandirt: „Richt Euch und alles Plaudern hab’ ein End’!“ – Aber kaum hat er mit dem Richten begonnen, so erhält er vom Major den Befehl, mit 30 Dragonern den Wagen der Herren kaiserlichen Commissäre nach Schwallungen in Sicherheit zu bringen. Nach hartem Sträuben gehorcht er, und nun enthüllt sich der Beschluß des Kriegsraths. Kaum wußte der Major die Räthe in Sicherheit, so befahl er der Mannschaft, die Gewehre zusammenzustellen, ihr Gepäck aus den Quartieren zu holen und die Thorposten abzurufen. Er vergaß die Vorposten, die kranken Officiere und Soldaten, ihre Weiber und Kinder und sogar die Artillerie, und noch ehe die Mannschaft vollzählig war, und ohne sie in Ordnung aufzustellen, commandirte er: ‚Marsch! Marsch!‘ und so lief Alles durcheinander, ‚wie der Hirt das Vieh austreibt‘, zum Thore hinaus. Den Nachzüglern, darunter auch Hauptmann Brandis und Andere, die der Lärm erst herbeigerufen, jubelten die Bürger aus allen Fenstern höhnend nach: „Da laufen sie wie die Spitzbuben! Am Tage sind sie hereinmarschirt und des Nachts laufen sie wieder fort wie Schelmen und Diebe.“
Wo blieben aber die gefürchteten Meininger? Hatte das Gerücht ihnen zu viel Ehre angethan? Sie beeilten sich nicht. Konnten doch die gothaischen Kanoniere ihre Geschwindstücke noch eigenhändig zur Stadt hinausbringen und unbedeckt den Ausreißern nachziehen. Erst als das Nest leer war, kamen die Adler und eroberten es. Sie erwischten noch einen vergessenen Vorposten und ließen ihn als Siegestrophäe nach Meiningen abführen, dann besetzten sie die Stadt, nahmen alle Kranken, Weiber und Kinder gefangen, besorgten die Thorwachen und ergaben sich mit den Bürgern dem Jubel des Sieges, bis sie triumphirend die Betten suchten, während es draußen in eine Stockfinsterniß hinein regnete, was vom Himmel ging.
Rauch hatte erst in Schwallungen von den Räthen erfahren, warum er nicht nach Wasungen zurückzukehren brauche, wo er Frau, Kind und „sein Bißchen Lumpen“ zurückgelassen hatte. Wir müssen es uns versagen, zu schildern, wie er die Räthe und die Officiere bediente, die nun ankamen, um bei einer Flasche Wein ihren Kriegsrath fortzusetzen, und wie der Major vor ihm stand, als um Mitternacht ein Eilbote von Gotha den Befehl des Herzogs brachte, Wasungen bis auf den letzten Mann zu halten. Mit schlotterndem Gebein beauftragte er Rauch, die Mannschaft in Ordre de bataille zu stellen.
Drunten aber war’s fürchterlich. Roß und Mann rannte in der stockfinstern Regennacht durcheinander, Trüppchen um Trüppchen kam fluchend und wetternd an, die Kanonen staken in einem Hohlwege, nirgends ließ sich ein Officier blicken. Während nun Rauch, endlich von Brandis unterstützt, Ordnung zu schaffen suchte, rief eine Stimme ihn an, deren Klang ihm däuchte „wie die Jakob’s den Kindern in der Wüste“. Es war Major von Benckendorf, der seinem Hülfscorps vorausgeeilt war und der nun den von Rauch an- und ausgeführten Zurückmarsch nach Wasungen anordnete. Die Wiedereroberung der Stadt, in welcher die Sieger in allzu großer Sicherheit schlummerten und zu spät erwachten und zu den Waffen griffen, gelang nach einem kurzen Straßengefechte, und nachdem die glücklich mit hereingeschafften Kanonen am Mittel- und am oberen Thore gegen herandringende Milizen und Reiterei ihr kräftiges Wort gesprochen. Als die Sonne am Himmel stand, hielten auch die Herren Subdelegirten wieder ihren Einzug in die Stadt, die nun im ungestörten Besitze der Gothaer blieb, bis nach fast endlosen Verhandlungen, und zwar erst am 4. August 1748, mit dem Abzuge der Besatzung der Wasunger Krieg sein Ende erreichte.
Wir sind es unseren Lesern noch schuldig, zu berichten, wie Friedrich der Große von Preußen in diesen Handel verwickelt wurde. Der König neigte sich, wie die meisten übrigen Reichsfürsten, der Partei des Herzogs von Meiningen zu, indem er es dem Gothaer verargte, so bereitwillig dem Reichskammergerichte gegen einen Fürsten gehorcht zu haben. Der Ausspruch des Reichstags war jedenfalls für Gotha unsicher. Da starb am 29. Januar 1748 Herzog Ernst August von Weimar mit Hinterlassung eines einzigen unmündigen Prinzen, und sowohl Herzog Friedrich, wie die Herzöge von Meiningen und Coburg-Saalfeld erhoben Anspruch auf das Recht der Vormundschaft. Dieses neue Streit schob die Gleichen’sche Angelegenheit fast bei Seite. Nun bestand in Weimar eine 200 Mann starke, besonders schöne Garde, die dem „alten Fritz“ stark in’s Auge stach. Mit diplomatischer Feinheit wurde dem Gothaer beigebracht, daß der König einen ihm nicht ungünstigen Vergleich mit dem Meininger hinsichtlich der Gleichen’schen Sache und mit diesem und dem Coburger hinsichtlich der Vormundschaft durchführen wolle, wenn er ihm diese Weimarische Garde zuweise. Herzog Friedrich erfüllte diesen Wunsch, die Vergleiche kamen zu Stande, die Gothaische Besatzung zog von Wasungen nach Gotha und die Weimarische Garde von Weimar nach Berlin ab – und der Friede war verbrieft und besiegelt.
Der Herzog von Meiningen, dessen Namen wir noch nicht genannt, war Anton Ulrich, nach dem Ausspruch des landes- und geschichtskundigen G. Brückner „ein Mensch und Fürst aus einem Guß“. Als dritter Prinz seines Hauses ohne Anwartschaft auf die Allein-Regierung des Landes hatte er eine reine Herzensehe geschlossen mit Philippine Elisabeth, der Tochter eines hessischen Hauptmanns David Cäsar. Brachte diese Ehe seine beiden Brüder und den gesammten meiningischen Adel gegen ihn auf, so verbanden sich mit diesen auch noch die ernestinischen Agnaten gegen ihn, als er es durchsetzte, daß Kaiser Karl der Sechste seine Gemahlin und Kinder in den Fürstenstand erhob und letztere mit allen fürstlichen ernestinischen Hausrechten belieh. Die Kränkungen, ja persönlichen Beleidigungen, welche er und die Seinen am meiningischen Hofe von den Verwandten und dem Adel zu erdulden hatten, bewogen ihn, meist im Ausland zu leben und, als er selbst regierender Herr geworden war, den Hofadel seine Strenge spüren zu lassen. Hierin liegt wohl auch der eigentliche Beweggrund seines Verfahrens gegen die Gleichen’schen Eheleute und der Bevorzugung der Frau von Pfaffenrath, die, wie er, ihre freie Liebe einem Bürgerlichen geschenkt hatte. Uebrigens trat der Tod als Friedensstifter zwischen ihn und die Agnaten. Seine Gattin und ihre Kinder starben, er aber entriß den Agnaten, die sich bereits in der Stille in sein Land getheilt hatten, die Erbschaft dadurch, daß er noch im dreiundsechzigsten Jahre eine Prinzessin von Hessen-Philippsthal heirathete und eine zahlreiche nun legitime Nachkommenschaft hinterließ.
Die Gleichen’schen Eheleute hatten schon im April 1747 Meiningen verlassen und sich nach Römhild zurückgezogen, wo beide, durch die ausgestandenen Leiden doch innerlich gebrochen, schon im folgenden Jahre kurz nach einander starben. Es war ihr letzter und ein verzeihlicher Stolz, mit dem die ehrenfeste und tapfere Landjägermeisterin noch auf dem Sterbebett sagte: „Ich maintenirte meinen Posten.“
Heinrich Beta. Soeben, nach Schluß dieser Nummer (am 1. April) geht uns die Trauerbotschaft vom Tode unseres langjährigen Mitarbeiters Dr. H. Beta zu, dem Verfasser der erst in voriger Nummer abgedruckten „Erinnerungen an Freiligrath“. Wir werden auf diesen uns so nahe angehenden Todesfall noch in der nächsten Woche zurückkommen.
Herr Gustav Höcker, im Jahre 1867 in Karlsruhe, wird um die Freundlichkeit ersucht, uns seine Adresse anzugeben.
M. St. in R-st. Das Carus Sterne’sche Buch „Werden und Vergehen“, aus dem wir übrigens in unserer Nr. 42, 1875, einen längeren Abschnitt mittheilten, ist nunmehr bei Gebrüder Bornträger in Berlin erschienen und durch jede Buchhandlung zu beziehen.
Fr. Cl. J–ph. in Los Angeles. Ihr von warmer Heimathliebe erfülltes Gedicht leiht zwar einem ansprechenden Gedanken Ausdruck, ist aber in der vorliegenden Form zum Abdrucke in unserem Blatte nicht recht geeignet.
E. M. in Barmen. Ist in den Papierkorb gewandert.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_278.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)