Verschiedene: Die Gartenlaube (1876) | |
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den alten einzurammen, die verlängerten Pfeiler auf ein Betonfundament zu stellen. Das Mauerwerk der alten Pfeiler wurde schichtenweise ausgestemmt, um eine enge Verbindung der anzubauenden Pfeiler mit einander zu ermöglichen, und daß dies gelang, beweisen die Trümmer der geborstenen Pfeiler. Die die verlängerten Pfeiler umgebenden Spundwände sollten außerdem das Betonfundament unter denselben gegen Unterwaschungen schützen. Der Brückenbau schritt rüstig vor; die Brücke wurde im Herbst letzten Jahres dem Verkehr definitiv übergeben. Während des Baues, welcher jahrelang andauerte, zeigte sich nie ein Merkmal von schwacher Fundirung, sondern die Brücke schien sicher und fest auf ewig erbaut.
Die Elbe beschreibt in ihrem Laufe unterhalb Riesa einen großen Bogen, in dessen Scheitel etwa die Brücke den Strom überschreitet. Die Folge von diesem Umstande ist, daß die Elbe ihre Wasser mit mehr Macht dem linken (Riesaer) Ufer zutreibt, als dem rechten. Daher auch zieht sich die Schifffahrtsstraße daselbst näher dem linken Ufer entlang, und es stellte sich heraus, daß es eine sehr große Erleichterung für die Schifffahrt sein müßte, wenn die zwei ersten (linksuferigen) alten Brückenpfeiler aus dem Strome entfernt werden könnten, wenn also an dieser Stelle statt drei Brückenöffnungen eine einzige das Schifffahrtswasser überspanne.
Deshalb wurden die beiden ersten alten Pfeiler nicht mehr dazu verwendet, die neue Brücke zu tragen. Statt der zwölf Brückenöffnungen der alten Brücke erhielt die neue nun am linken Ufer zwei gemauerte Brückenbogen mit etwa je fünfzehn Meter Spannweite, dann eine Oeffnung von zweiundneunzig Meter und am rechtsuferigen Ende der Brücke drei Oeffnungen von je dreißig Meter. Dieser schloß sich ein durch steinerne Bogen hergestellter Viaduct von ferneren drei Oeffnungen an. Die Spannweite von zweiundneunzig Meter überschritt die beiden ersten Flußpfeiler, welche entfernt werden sollten, sowie die Brücke fertig wäre; diese Pfeiler lagen etwa ein und ein Viertel Meter unter der neuen eisernen Brücke. – Am 19. Februar dieses Jahres war zu Riesa eine Conferenz der Betriebs-Ingenieure der Leipzig–Dresdener Bahn, um den Fahrplan für den kommenden Sommer zu berathen. Die Techniker der Bahn benutzten aber zugleich auch die Gelegenheit, den wild unter der Brücke durchbrausenden Eisgang der Elbe zu beobachten. Keinem von Allen zeigte sich nur das kleinste Merkmal von Senkungen an den Brückenpfeilern. Mag es nun sein, daß der Eisgang, welcher zur Weihnachtszeit von 1875 oder in den ersten Tagen des eben stattfindenden Eisganges zwischen den zwei ersten alten Brückenpfeilern einen vorübergehenden Eisschutz gebildet hatte, oder daß der Strom selbst, wilder als sonst im Bogen dahinbrausend, sich stärker dem Riesaer Ufer zugewandt hatte, – um neun Uhr Abends des 19. Februar hörte der Weichensteller zunächst der Brücke plötzlich ein seltsames Klingen, und bevor er nur sich erdenken konnte, was das Klingen und Reißen bedeuten könnte, prasselte die stromaufwärts gelegene Straßenbrücke am linken Ufer nieder, und gleich darauf stürzte die ganze zweiundneunzig Meter lange Brückenspannung in den wild schäumenden Strom. Ein Zug, welcher auf dem nächst der Brücke gelegenen Riesaer Bahnhof eben nach Dresden abfahren wollte, konnte noch bei Zeiten von der eingetretenen Katastrophe benachrichtigt und dadurch ein vielleicht schreckliches Unglück und hundertfacher Tod verhindert werden.
Die Fahrbahn und das Trottoir der gestürzten Straßenbrücke war aus Bohlen fest auf die eisernen Träger angebolzt, sodaß sogar durch den Sturz nur wenig Bohlen sich lösten, die meisten aber noch mit dem Eisenwerke eng verbunden blieben. Diese Bohlen nebst den Eisentheilen bildeten plötzlich quer durch den Strom hindurch einen acht Meter hohen Damm, über welchen sich die braunen Wasser des Stromes nur theilweise wie über ein hohes Wehr hinabwälzten. Theilweise drängte dieser eiserne Damm den Strom nach der Stelle, wo er allein einen Ausweg finden konnte, nach dem rechten Ufer zu, und erzeugte gegen den Pfeiler, welcher dort die zweiundneunzig Meter langen doppelten Eisenbahnträger trug, einen ungewöhnlich starken, gurgelnden, wühlenden Strom. – Dieses Stürzen der Wassermassen über den im Strome ragenden Brückentheil, dieses Hinüberdringen ungewöhnlicher Wassermengen gegen den einen Pfeiler, spülte und untergrub das Fundament desselben in solcher Weise, daß nicht nur die neue Betongründung des verlängerten Pfeilers vollständig unterwaschen, sondern daß der Pfahlrost des alten Pfeilers selbst wahrscheinlich vollständig losgespült wurde.
Zu diesen Arbeiten des Wassers gehörte natürlich Zeit, und so ging es auch bis zum Abend des 22. Februar, wo der bedrohte Pfeiler borst und zusammenbrach und die eine zweiundneunzig Meter lange Eisenbahnconstruction ebenfalls prasselnd, ächzend und zuckend in den Strom hinunterstürzte, während die andere Brückenspannung sich auf die zwei noch stehenden alten Flußpfeiler niederließ, so daß sie jetzt aussieht, wie ein verwundetes Ungeheuer, welches sich auf ein Knie niedergelassen hat. Fast jeden Augenblick glaubt man zu sehen, daß auch die letzte Kraft dasselbe verläßt und es ebenfalls das nasse Grab seines Genossen aufsucht. Beim Hinuntersinken dieses jetzt auf den alten Brückenpfeilern schief ruhenden Brückentheiles verlor das rechtsuferige Ende desselben den Stützpunkt und knickte daher am zweiten Brückenpfeiler steil ab, wie solches auf unserer bildlichen Darstellung des zerstörten Prachtbaues sich richtig darstellt. Die wilden Wassermassen arbeiten und spülen nun immer noch weiter und bedrohen auch die bisher unversehrt gebliebenen Pfeiler, sodaß die Direction der Bahn sich veranlaßt sah, mit Hülfe der Genie- und Pionierabtheilungen der Armee die angestrengtesten Versuche zu machen, den ferneren Verheerungen zu steuern.
Dem Ingenieur ist nun nicht nur die Aufgabe gestellt, die Brücke durch eine neue zu ersetzen, sondern vor Allem die kolossalen Eisenmassen, die wild durcheinander gemischt im Strome liegen, theilweise auch noch mit dem auf den alten Pfeilern ruhenden Brückentheile in verhängnißvollem Zusammenhange stehen, aus dem Flusse zu entfernen. Gerade der Theil des Stromes, in welchem die Brückentheile liegen, ist, wie wir im Eingange nachgewiesen, derjenige, in welchem die Schifffahrt sich bewegt; er sollte also möglichst rasch geräumt oder der Strom provisorisch abgeleitet werden.
Die ganze Brücke hatte folgendes Gewicht: die zwei Eisenbahnbrücken von zusammen zwei Oeffnungen zu je 92 Meter und sechs Oeffnungen zu je 30 Meter hatten ein Gewicht von 19,500 Centner; die Straßenbrücke von einer Oeffnung zu 92 Meter und drei zu 30 Meter wog 11,719 Centner, im Ganzen also belief sich das Gewicht der sämmtlichen Brückentheile auf 31,219 Centner. Von diesen Eisenmassen liegen circa 19,000 Centner über- und untereinander geschoben im Strome und hängen etwa 2,500 Centner auf den alten Pfeilern.
Den eigentlichen Grund der Katastrophe wird wohl erst eine genaue Untersuchung des Flußbettes ergeben, wenn die tiefen Kolke, welche der Strom gewühlt hat, nicht alles Erforschen von vornherein unmöglich machen. Die Erfahrungen, welche man an der Elbe in einer Reihe von über fünfunddreißig Jahren bei der alten Riesaer Brücke gemacht, ließen nicht auf eine solch außergewöhnlich wühlende Thätigkeit des Stromes schließen, wie er sie dieses Frühjahr entwickelt; wäre eine solche Erfahrung auch aus grauer Vorzeit bekannt gewesen – wir sind fest davon überzeugt – die technische Leitung der Eisenbahn hätte alle Mittel zu Hülfe gezogen, um ihr theures Bauwerk dauernd gegen jede solcher Möglichkeiten zu sichern.
Ein Wunderkind. (Zur Illustration Seite 200 und 201.) Gabriel Hackl, der Schöpfer des heute von uns mitgetheilten reizenden Bildes, ist ein geborener Oesterreicher, erhielt aber seine Ausbildung in dem Atelier des ausgezeichneten Malers Professor Piloty in München, dessen feine Auffassung und Compositionsgabe auf ihn übergegangen zu sein scheint. Dafür spricht unser „Wunderkind“. Man betrachte die äußerst gewandte Gruppirung des Bildes! Der kleine Virtuos hat die Ehre, sich vor den versammelten Vettern und Basen produciren zu dürfen, seine Kunst scheint aber in den Zuhörern sehr getheilte Empfindungen hervorzurufen. Während die Mutter nicht ohne Selbstgefühl mehr auf das Urtheil der Verwandten, als auf die von dem jugendlichen Geiger hervorgezauberten Töne zu lauschen scheint, giebt sich der Onkel, rechts vom kleinen Künstler, dem stillen Genusse der Klänge hin, die jüngere Generation am andern Ende des Tisches aber ist mit dem Lobe des talentvollen Musikers weniger karg und ermuntert ihn durch anerkennende Zurufe. Einen humorvollen Contrast hierzu bilden die gleichgültig dreinschauenden Kindergestalten.
A. R. in Brünn. Daß der Chef-Redacteur unseres Blattes zur Abwendung der in Oesterreich über die Gartenlaube verhängten Postdebit-Entziehung persönlich in Wien gewesen und sogar bei Ministern und anderen hohen Herren antichambrirt habe, wie Wiener Blätter mit Angabe höchst komischer Einzelheiten berichten, ist nichts als ein eitel Märchen.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_208.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)