Verschiedene: Die Gartenlaube (1876) | |
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officiel“ am 22. März eine drohende Kundgebung erließen, deren kurzer Sinn war, daß sie die Freiheit der Presse achten würden, so lange dieselbe so frei wäre, nur in ihrem, der Stadthausherren, Sinne zu schreiben. Nur 277,300 Wähler gingen zu den Urnen und aus diesen kamen als gewählt hervor die (nach der Reihenfolge der 20 Arrondissements gezählten) Bürger 1) Adam, Barré, Méline, Rochard; 2) Brelay, Chéron, Loiseau-Pinson, Tirard; 3) Arnaud, Demay, Dupont, Murat, Pindy; 4) Amouroux, Arnould, Clémence, Gérardin, Lefrançais; 5) Blanchet, Jourde, Ledroit, Régère, Tridon; 6) Beslay, Goupil, Leroy, Robinet, Varlin; 7) Brunel, Lefèvre, Parisel, Urbain; 8) Allix, Arnould, Rigault, Vaillant; 9) Desmarest, Ferry, Nast, Parent, Ranc; 10) Babick, Champy, Fortuné, Gambon, Pyat, Rastoul; 11) Assi, Avrial, Delescluze, Eudes, Mortier, Protot; 12) Fruneau, Geresme, Theiß, Varlin; 13) Chardon, Duval, Fränckel, Maillot; 14) Billioray, Decamp, Martelet; 15) Clément, Langevin, Vallès; 16) Bouteiller, Marmottan; 17) Chalain, Clément, Gerardin, Malon, Varlin; 18) Blanqui, J. B. Clément, Dereure, Ferré, Grosset, Theiß, Vermorel; 19) Buget, Courent, Delescluze, Miot, Ostyn, Oudet; 20) Bergeret, Blanqui, Flourens, Ranvier.
Abgesehen von den Doppelwahlen und dem von Paris abwesenden Blanqui, ist die thatsächliche Mitgliederzahl der Kommune nie eine vollzählige gewesen. Denn keineswegs waren alle die Gewählten mit der Sache einverstanden. Die sämmtlichen Erkorenen der Arrondissements 1, 2, 9 und 16 verweigerten die Annahme der Wahl. Ebenso in anderen Bezirken die Herren Fruneau, Goupil, Lefèvre, Leroy, Murat und Robinet. Am 16. April verschritt man zu Ergänzungswahlen, an welchen aber nur ein Achtel der Wahlberechtigten theilnahm. Unter den Gewählten sind Cluseret, Courbet, Garibaldi (Menotti) und Vésinier zu nennen. Andere, wie Briosne und Rogeard, lehnten das ihnen übertragene Mandat ab. In drei Bezirken kam wegen allzu dünner Betheiligung gar keine Wahl zustande. Die Kommune war demnach vom Anfang bis zum Ende niemals vollständig; niemals repräsentirte sie sämmtliche Quartiere oder gar sämmtliche Bevölkerungsklassen von Paris. Wohl war unter ihre rothen Mitglieder da und dort ein blaues oder wenigstens röthlichbläuliches hineingesprenkelt, z. B. der Bürger Beslay und der wackere Färbergesell V. Clément, aber Blauheit oder auch nur Bläulichkeit vermochte gegen das triumphirend herrschende Roth nicht aufzukommen.
Frühmorgens am 26. März hatte das Centralkomité mittels einer vom Tage zuvor datirten Proklamation seine Selbstauflösung angekündigt. Aber es war das eigentlich nur ein so thun. Denn nach öffentlich aufgelöstem Komité fuhr ein geheimes, welchem Assi vorsaß, zu bestehen und zu amten oder wenigstens mitzuamten fort.
Am 28. März wurden die „Saturnia regna“ der Kommune auf dem Stadthausplatz unter großem Festjubel ausgerufen und sah die frühlingswarm scheinende Sonne wieder einmal eins jener pariser Haupt- und Staatsspektakel, wie sie deren an derselben Stelle schon so manches gesehen hatte. Einhundert oder gar zweihundert Bataillone Bürgerwehr waren da in Parade aufgestellt. Vor der Front des riesigen Stadtpalastes war eine große Bretterbühne aufgeschlagen. Darauf saßen die Mitglieder des gehenden Centralkomité und die der kommenden Kommune, alle mit rothen Schärpen geschmückt. Ueber die Bühne ragte eine gipserne Statue der Republik empor, einen rothen Gürtel über den Hüften, die rothe phrygische Mütze auf dem Kopfe. Vor die eherne Bildsäule Heinrichs des Vierten sammt seinem bronzenen Gaul hatte man eine spanische Wand von rothen Fahnen hingestellt, um die Augen der Bürger und Bürgerinnen, Republikaner und Republikanerinnen durch den Anblick eines „Tyrannen“ nicht zu beleidigen. Die eigentliche Ceremonie, das heißt die Uebergabe der Gewalt von seiten des Centralkomité an die Kommune, wurde kaum bemerkt in dieser Flut von Farben, Sonnenstralen und Waffenglitzern, in diesem Schwall von hunderttausend Menschenstimmen. Das „Vive la république!“ wurde auf der Estrade ausgebracht und zur Antwort scholl vom Platze herauf zurück: „Vive la commune!“ Ein Meer von Bajonnetten, Degenspitzen, Hüten, Kappis und Taschentüchern wogt empor. Die sämmtlichen Musikbanden intoniren die Marseillaise; alle Anwesenden, Männer, Frauen, Kinder fallen ein in die herzbewegende Weise des alten Zauberliedes, und die am Seinequai aufgestellte Batterie donnert den Takt des brausenden Chorgesangs.
Eine ganze Reihe von Augen- und Ohrenzeugen hat erklärt, daß dieser Augenblick ein sehr ergreifender gewesen sei und daß sich dabei das Volk von Paris wieder einmal in seiner ganzen Begeisterungsfähigkeit und Liebenswürdigkeit gezeigt habe.
Zweifelsohne. Aber bei alledem drängt sich einem doch die Wahrnehmung auf, daß schon der festliche Beginn der Kommuneherrschaft die Geistesöde, den Ideenmangel und die Gedankenarmuth der ganzen Bewegung signalisirte und symbolisirte. Nicht einmal ihre Inthronisirung wußten die Herren von der Kommune irgendwie originell in Scene zu setzen. Das ganze Spektakel vom 28. März mußte jedem Kenner der Revolutionsgeschichte wie ein Abklatsch jener Spektakel vorkommen, welche Anno 1793 der „Oberceremonienmeister des Schreckens“, der Maler David, inscenirt hatte. Nur mehr Roth wurde jetzt aufgewendet und bedeutend weniger Redekunst. An Phrasenschwulst und Tiradenbombast dagegen fehlte es auch jetzt nicht. Sagte doch das scheinbar gegangene Centralkomité am Abend des Tages in einem Maueranschlag den Bewohnern von Paris, daß diesen „heute dem großartigsten Schauspiel anzuwohnen gegönnt gewesen sei, welches jemals Menschenaugen geblendet und Menschenherzen gerührt hat. Denn Paris begrüßte die Republik und hieß sie willkommen. Paris schlug im Buche der Geschichte eine neue Seite auf und schrieb seinen mächtigen Namen darauf“ – u. s. w. im Geleier nach bekannter Melodie. Charakteristisch, wenn auch nicht origineller als das übrige, war der Schluß des Aktenstücks. Man weiß ja, daß schon die Reden und Proklame der ersten Revolution neben „la patrie“ immerfort „l’humanité“ und „le genre humain“ gestellt, sowie das Evangelium von der Freiheit, Gleichheit und Bruderschaft allen Völkern des Erdkreises zu bringen verheißen hatten. So auch das Abendproklam vom 28. März. Denn nachdem es die „stolze Parole“ ausgegeben: „Den Tod für das Vaterland!“ forderte es die Pariser auf, fest und vertrauensvoll um die Kommune sich zu scharen, weil nur dadurch das große Endziel zu erreichen wäre: – die „Universalrepublik“.
Der gewohnte gallische Größenwahnsinn, wiederum der alte Chauvinismus, diesmal mit einem rothen Mäntelchen angethan.
Am Bodensee.
Das Dampfroß braust am Gestade entlang,
Ueber dem Wasser hallt Sturmgesang.
Die in Spiegelglätte noch eben schliefen,
Die Wogen, sie steigen herauf aus den Tiefen,
Nahen sich rollend dem Uferdeich,
Recken empor sich wie graue Gespenster,
Schleudern den Gischt in’s Wagenfenster,
Sinken zurück dann mit Donnerhall
Wohl! Ich verstehe das wilde Grollen
Der Wasserberge, der aufruhrtollen;
Die Wogen, sie können es nimmer vergessen,
Daß sie die Herrschaft einst besessen,
Vordem umschmiegt mit brausendem Schwall.
Doch aus der Wasser umfangendem Schooß
Rang, mälig sich hebend, das Land sich los.
Sie sahen, verdrängt, in Höhen und Gründen
Und reicher stets aus des Stoffes Schranken
Gestaltet ersteh’n der Schöpfung Gedanken.
Der Zauber der Formen, Farben und Töne
Schmückte die Flur mit harmonischer Schöne,
Und der Mensch ward geboren als Herr der Welt.
Das ist es, weshalb die neidischen grollen
Und schäumend wider die Ufer rollen,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_100.jpg&oldid=- (Version vom 7.10.2021)