Verschiedene: Die Gartenlaube (1876) | |
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Maß halten kann, verliert das Gleichgewicht und fällt. Ich glaube fest an eine sittliche Weltordnung. Diese sehe ich in der Herrschaft der Gewalt nicht; deshalb bin ich in der Hoffnung, daß auf die jetzige böse Zeit eine bessere folgen wird. – Hier, lieber Vater! haben Sie mein politisches Glaubensbekenntniß, so gut ich, als eine Frau, es formen und zusammensetzen kann.
Gern werden Sie, lieber Vater, hören, daß das Unglück, welches uns getroffen hat, in unser eheliches und häusliches Leben nicht eingedrungen ist, vielmehr dasselbe befestigt und uns noch werther gemacht hat. Der König ist der beste Mensch, ist gütiger und liebevoller, als je. Oft glaube ich in ihm den Liebhaber, den Bräutigam zu sehen. Mit einem Worte, er gefällt mir in allen Stücken und ich gefalle ihm, und uns ist am wohlsten, wenn wir zusammen sind. Verzeihen Sie, lieber Vater, daß ich dies mit einer gewissen Ruhmredigkeit sage! Es liegt darin der kunstlose Ausdruck meines Glückes, welches Keinem auf der Welt wärmer am Herzen liegt, als Ihnen, bester, zärtlichster Vater! Gegen andere Menschen, auch das habe ich von dem Könige gelernt, mag ich davon nicht sprechen; es ist genug, daß wir es wissen. – Unsere Kinder sind unsere Schätze, und unsere Augen ruhen voll Zärtlichkeit auf ihnen. Der Kronprinz ist voller Leben und Geist. Er hat vorzügliche Talente, die glücklich entwickelt und gebildet werden. Er ist wahr in allen seinen Empfindungen und Worten, und seine Lebhaftigkeit macht Verstellung unmöglich. Er lernt mit vorzüglichem Erfolge Geschichte, und das Große und Gute zieht seinen idealischen Sinn an sich. Für das Witzige hat er viel Empfänglichkeit, und seine komischen überraschenden Einfälle unterhalten uns sehr angenehm. Er hängt vorzüglich an der Mutter, und er kann nicht reiner sein, als er ist. Ich habe ihn sehr lieb und spreche oft mit ihm, wie es sein wird, wenn er einmal König ist.
Unser Sohn Wilhelm wird, wenn mich nicht Alles trügt, wie sein Vater, einfach, bieder und verständig. Auch in seinem Aeußeren hat er die meiste Aehnlichkeit mit ihm, nur wird er nicht so schön. Sie sehen, lieber Vater, ich bin noch in meinen Mann verliebt. Unsere Tochter Charlotte macht mir immer mehr Freude; sie ist zwar verschlossen und in sich gekehrt, verbirgt aber, wie ihr Vater, hinter einer scheinbar kalten Hülle ein warmes, theilnehmendes Herz. Karl ist gutmüthig,[WS 1] fröhlich, bieder und talentvoll; körperlich entwickelt er sich ebenso gut wie geistig. Er hat oft naive Einfälle, die uns zum Lachen reizen. Er ist heiter und witzig. Er wird, ohne die Theilnahme an dem Wohle und Wehe Anderer zu verlieren, leicht und fröhlich durch’s Leben gehen. – Unsere Tochter Alexandrine ist, wie Mädchen ihres Alters und Temperaments sind, anschmiegend und kindlich. Sie zeigt eine richtige Auffassungsgabe, eine lebhafte Einbildungskraft und kann oft herzlich lachen. Sie hat Anlage zum Satirischen und sieht dabei ernsthaft aus, doch schadet das ihrer Gutmüthigkeit nicht. Von der kleinen Louise läßt sich noch nichts sagen. Möge sie ihrer Ahnfrau, der liebenswürdigen und frommen Louise von Oranien, der würdigen Gemahlin des großen Kurfürsten, ähnlich werden!
Da habe ich Ihnen, geliebter Vater, meine ganze Galerie vorgeführt. Sie werden sagen: das ist ja eine in ihre Kinder verliebte Mutter, die an ihnen nur Gutes sieht und für ihre Mängel und Fehler keine Augen hat. Und in Wahrheit, böse Anlagen, die für die Zukunft besorgt machen, haben sie nicht. Umstände und Verhältnisse erziehen den Menschen, und für unsere Kinder mag es gut sein, daß sie die ernste Seite des Lebens schon in ihrer Jugend kennen lernen. Wären sie im Schooße des Ueberflusses und der Bequemlichkeit groß geworden, so würden sie meinen, das müsse so sein. Daß es aber anders kommen kann, sehen sie an dem ernsten Angesichte ihres Vaters, und an der Wehmuth und den öfteren Thränen der Mutter. Meine Sorgfalt ist meinen Kindern gewidmet für und für, und ich bitte täglich Gott in meinem sie einschließenden Gebete, daß er sie segnen und seinen guten Geist nicht von ihnen nehmen möge. Erhält Gott sie uns, so erhält er mir meine besten Schätze, die Niemand mir entreißen kann. Es mag kommen, was da will, mit und in der Vereinigung unserer Kinder werden wir glückselig sein.“
Ein vierundsiebenzigjähriger politischer Verbrecher. Unsere entfernten, namentlich jenseits der deutschen Grenzen wohnenden Leser bitten wir, den Jahrgang von 1864 der „Gartenlaube“, S. 68, aufzuschlagen. Dort steht vor ihnen der Volksredner, der jetzt, als Greis, das büßt, was er als Volksschriftsteller nach der Ansicht strenger Altgläubigkeit gegen die Ehre der „Kirche“ zu viel gewagt. Das Urtheil ist rechtskräftig geworden durch den Spruch der höchsten Instanz; wir haben es also zu respectiren und beugen uns gehorsam vor der amtlichen Pflichterfüllung.
Ludwig Würkert, den jetzt Verurtheilten, von dem jener illustrirte Artikel von 1864 erzählt, wie er, einer der angesehensten Geistlichen, gefeiertesten Kanzelredner und theologischen Schriftsteller Sachsens, seine Theilnahme an der Volkserhebung von 1849 mit jahrelangem Zuchthaus ersten Grades in Waldheim gebüßt, dann, um Amt, Vermögen und Familie gekommen, sich als Schriftsteller und Dichter durch rastlosen Fleiß wieder eine bescheidene Habe erworben, haben wir damals als Eigenthümer und Leiter des „Hôtel de Saxe“ in Leipzig verlassen, das er zu einer originellen Redehalle „für Volksbildung, Volksveredelung und Volksermuthigung“ erhoben hatte. Später finden wir ihn wieder als Prediger und Wanderredner der frei-religiösen Gemeinde in Hanau, von wo er endlich in einen stillen Winkel seiner Heimath, bei Leisnig, sich zurückzog, noch immer rüstigen Geistes und Körpers blos noch literarischen Arbeiten lebend. Sein reger Trieb, an den geistigen Kämpfen der Zeit, besonders auf religiösem Gebiet, nach seinen Kräften Theil zu nehmen, bewog ihn, den reichen Stoff, den er als Volksredner angesammelt, zu verarbeiten und in einer periodischen Schrift „Die Feldkirche“ niederzulegen; die Theilnahme, welche dieses Werk in den Volkskreisen gefunden hatte, ermuthigte den grauen Kämpfer zur Begründung einer neuen frei-religiösen Wochenschrift, die er seit einem Jahre unter dem Titel „Freie Glocken“ herausgiebt und die durch das jüngste Schicksal des schwergeprüften Greises wohl die allgemeinere Beachtung erwirbt, die sie verdient.
Ein in der genannten Zeitschrift abgedrucktes, ein „Osterwort“ einleitendes Gedicht ist es, welches die Bestrafung L. Würkert’s herbeiführte. Dieses Gedicht sammt dem ganzen Osterwort ist schon früher veröffentlicht worden, namentlich zu Gunsten der Hinterbliebenen Roßmäßler’s in mehreren Auflagen gedruckt, weit verbreitet und damals nirgends beanstandet worden. Zu seiner Vertheidigung gab L. Würkert eine „Schutzschrift“ (Leipzig, Verlag von Thiele und Freese) heraus, auf welche wir diejenigen Leser, welche der Angelegenheit ihre nähere Aufmerksamkeit schenken wollen, verweisen müssen. Sie hat freilich so wenig, wie die ausgezeichnete juristische Vertheidigung seines Rechtsbeistandes Ficker, eines seiner alten Gesinnungs- und Leidensgenossen, der selbst einst als politischer Verbrecher von zwei Instanzen zu lebenslänglichem Zuchthause verurtheilt worden war, die Kerkerstrafe von dem tapferen Alten abwenden können. Ludwig Würkert sitzt, wenn der Leser diese Zeilen liest, in seiner Gefängnißzelle auf Schloß Mildenstein bei Leisnig. Möge der ehrwürdige Greis auch diese Prüfung ungebrochen überstehen! Niemand wird seine Theilnahme einem Manne versagen, den selbst seine strengsten Richter nur hochachten können und den wir als einen unserer treuesten und muthigsten Kämpfer für Geisteslicht und Menschenrecht zu verehren haben.
Bremerhaven. Zu dem Berichte eines Augenzeugen über die Explosion in Bremerhaven (in unserer vorigen Nummer) bringen wir denjenigen Gartenlaubenlesern, denen die Oertlichkeit des himmelschreienden Verbrechens unbekannt ist, auf Seite 53 eine Abbildung. Sie stellt den Hafenplatz in dem Augenblicke vor dem Ausbruche des Unglücks dar. Zur Linken steht der Schleppdampfer „Simson“; das größte Lloydschiff „Mosel“ wird soeben von den letzten Mitreisenden bestiegen. Vor dem Dampfer packt man das schwere Faß ab, dessen geheimes Schlagwerk, wahrscheinlich durch Aufstoßen auf das Bodenpflaster, vorzeitig den Vernichtungsstoff entzündet und seine Zerstörung noch im Angesichte der Menschen vollbracht hat, während nach dem teufelischen Plane des Urhebers das ewigschweigende Meer sein einziger Zeuge sein sollte. Wir wiederholen hier die Bitte an unsere Leser, auch dieses Bild als einen Hülferuf für die beklagenswerthen Hinterbliebenen der so schrecklich Hingeschlachteten betrachten zu wollen.
Frau Mathilde Boer in Berlin. „Aus der Pension. Briefe einer Fünfzehnjährigen an eine Siebenzehnjährige. Frei nach dem Englischen von Sophie Verena“, kurz vor Weihnachten bereits in zweiter Auflage bei I. Guttentag in Berlin erschienen, ist von außen und innen ein liebreizendes Buch, das wir Ihnen zu dem angegebenen Zwecke auf das Dringendste empfehlen. Der ganze Duft der Jugend weht aus diesen Blättern, deren neckischer Humor den tiefen Ernst des Lebens mildert, auf dessen Grunde sie wurzeln. Sie werden selten eine Lectüre finden, die eine so anmuthige Unterhaltung und zugleich so werthvolle Anregung bietet und jedes Alter und Geschlecht auf gleiche Weise fesseln und befriedigen wird. Auf der englischen Unterlage hat Sophie Verena ein deutsches Werk geschaffen, dem kein Vorzug ihrer Originalschöpfungen fehlt.
A. M. in R. Wie kommen Sie darauf, den in unserem Artikel über den Berliner Börsen- und Gründungsschwindel (Nr. 51, 1875) genannten Banquier Louis Bamberger (Mitgründer der Potsdamer Brauerei) mit dem Abgeordneten Dr. Ludwig Bamberger in Verbindung zu bringen? Die beiden genannten Herren haben durchaus nichts mit einander gemein.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: gutmüthtg
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_056.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)