Verschiedene: Die Gartenlaube (1876) | |
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und ich forderte ihn auf, mit mir nach der Auenstraße 2 zu Thomas zu gehen, wir trafen denselben jedoch nicht an. Da es meine Zeit nicht erlaubte, ihn abermals zu begleiten, ging Fuchs andern Tags allein zu Thomas. Wie ich vermuthete, war Letzterer nicht im Stande, sich Fuchs gegenüber in deutscher Sprache über die Beschaffenheit des gewünschten Werkes vollkommen verständlich auszudrücken. Fuchs hatte denn auch den Auftrag als zu unwichtig unberücksichtigt gelassen.
Ich sah Thomas später noch einige Male und glaubte aus seinen Worten schließen zu müssen, daß er nicht rechtes Vertrauen zu Fuchs gefaßt habe, was jedenfalls seinen Grund darin hatte, daß Dieser Alles, was ihm Jener gesagt in Folge mangelhafter Ausdrucksweise nicht recht begriffen hatte. Da ich gehofft hatte, meinem Freunde Fuchs zu einem guten Geschäfte zu verhelfen, so bedauerte ich den erfolglosen Ausgang dieser Sache sehr und wiederholte Thomas, daß meiner Meinung nach Fuchs, und nur er allein, im Stande sei, seine Aufgabe befriedigend zu lösen. Thomas ist dann nach Dresden gezogen, und Fuchs wie ich glaubten die ganze Angelegenheit als vergessen betrachten zu müssen.
Auf der Wiener Ausstellung hat Thomas Gelegenheit gehabt zu sehen, daß J. I. Fuchs in Bernburg kein gewöhnlicher Uhrmacher sei, wie die von ihm ausgestellte neuconstruirte Thurmuhr mit freischwingendem Pendel ohne Steigrad, die so großes Aufsehen bei Kennern erregte, bewies; Thomas setzte sich trotzdem nicht mit Fuchs, sondern mit Wiener Fabrikanten in Verbindung, keiner hat jedoch die Aufgabe zur vollkommenen Zufriedenheit lösen können. Zu nicht geringem Erstaunen des Herrn Fuchs erschien Thomas am 9. März 1875 in Bernburg, brachte ein Wiener Werk mit, hob dessen Mängel und Unzuverlässigkeiten hervor und fügte die Bemerkung hinzu, daß man ihn auch in Wien von verschiedenen Seiten auf Fuchs aufmerksam gemacht habe, als denjenigen, der die gewünschten Vervollkommnungen zu erreichen im Stande sei.
Jetzt sah Fuchs, daß es Thomas wirklich Ernst mit seinem Auftrage sei, bemerkte auch, daß sein Auftraggeber nunmehr der deutschen Sprache weit besser mächtig sei als im Frühjahr 1873, und bat dann, ihm nochmals den Zweck des Werkes und die Anforderungen an dasselbe auseinanderzusetzen. Darauf gab denn Thomas etwa folgende Erklärung ab:
Er habe eine neue Erfindung in der Seidenfabrikation gemacht und wünsche das Werk zunächst in einer Seidenweberei in Rußland anzuwenden. Es müsse volle zehn Tage laufen und am zehnten einen Hebel auslösen, welcher wiederum einen Mechanismus in Bewegung zu setzen habe; diesen Mechanismus würde er später selbst anbringen; seine Bestimmung sei, tausend Fäden mit einem Ruck zu zerreißen. Das Uhrwerk müsse ganz geräuschlos und die gegebene Zeit von zehn Tagen, mit höchstens einigen Stunden Unterschied, laufen. Es solle nämlich an der Peripherie eines großen, sich um seine Achse drehenden Rades befestigt werden, dürfe daher in keiner Lage seinen gleichmäßigen ruhigen Gang verlieren.
Meinem Freunde Fuchs kam allerdings die Bestimmung dieses Werkes etwas sonderbar vor, allein die Forderungen, die heutzutage an die Mechanik gestellt werden, sind oftmals sehr complicirt; so hatte er z. B. einige Zeit vorher ein Uhrwerk gebaut, welches, in einem Saale aufgestellt, die Fäden von zwölf Nähmaschinen in sich vereinte und so jeden Tag genau zeigte, wie viel Seide auf den Maschinen verarbeitet wurde.
Nachdem der Preis von hundert Thalern und die Lieferzeit zum 1. April festgesetzt, auch ein weiterer Auftrag auf zwanzig Stück in Aussicht gestellt worden war, ging Fuchs an die Arbeit. Er hat seine Aufgabe meisterhaft gelöst. Er baute ein Laufwerk, das heißt ohne Hemmung (Echappement), wie jedes Uhrwerk hat, und erzielte dadurch einen völlig geräuschlosen Lauf des Werkes, den er so zu reguliren verstand, daß es richtige zehn Tage mit einer geringen Abweichung von sechs bis acht Stunden lief; zur Auslösung des Hebels hatte er einen neuen, sinnreichen Mechanismus, den er bei seinen Thurmuhren ohne Steig- oder Hemmungsrad angebracht, verwandt.
Während am Werke gearbeitet wurde, kam Thomas öfter nach Bernburg, um sich von dessen Fortschritt zu überzeugen und die Fertigstellung zu beschleunigen.
Endlich machte ihm Fuchs die Mittheilung, daß das Werk nunmehr zur Ablieferung fertig sei, und fuhr damit am 20. April 1875 nach Leipzig. Hier angekommen, wurde er auf dem Bahnhofe von Thomas empfangen, und Beide gingen in ein Zimmer des „Hôtel de Pologne“. Das Werk wurde in Gang gesetzt und wiederholten Prüfungen unterzogen. Thomas erklärte, daß seine Erwartungen übertroffen seien, und betonte mit besonderer Genugthuung den Umstand, daß das Werk so ganz und gar geräuschlos liefe. Die von Fuchs über den bedungenen Preis hinaus verlangten fünfundzwanzig Thaler zahlte Thomas ohne Weigerung und versprach, ihn in einigen Monaten wieder zu besuchen. Das Wiener Werk blieb bei Fuchs zurück; er hat Thomas nie wieder gesehen.
Das Werk würde also sein Amt genau und sicher verrichtet und die Zeitungen würden von dem spurlosen Verschwinden der „Mosel“ zu erzählen gehabt haben, hätte nicht Thomas vergessen, Fuchs darauf aufmerksam zu machen, daß das Werk einen starken Stoß oder Fall vertragen müsse, denn das Genie des Meister Fuchs würde auch dafür haben sorgen können, daß der Hebel nicht durch starke Erschütterung vor der gegebenen Zeit sich auslöse.
So beklagenswerth die Bremerhavener Katastrophe auch ist, so ist es doch noch bei allem Unglück ein Glück, daß durch Fall oder starken Stoß der Hebel sich so zeitig auslöste; wäre dieser Umstand nicht eingetreten, so hätte Thomas seinen teuflischen Zweck nicht nur sicherlich erreicht, sondern sich auch der Früchte seines Verbrechens wahrscheinlich ungestraft erfreut.
Schutz den Krähen. Der um die Hebung der Forstcultur des nördlichen Oberösterreichs so hochverdiente fürstlich Starhemberg’sche Oberförster, Karl Geyer zu Waxemberg, hat im Laufe des letzten Sommers eine Entdeckung gemacht, die wohl die Aufmerksamkeit der Forstleute verdient. Wie im südlichen Böhmen tritt auch in den weitgedehnten Wäldern des nördlichen Oberösterreichs der Borkenkäfer[WS 1] in verheerender Anzahl auf. Zu seiner möglichsten Vertilgung brachte nun der oben genannte Herr in den ihm unterstellten Forsten nebst andern Mitteln die sogenannte Rindenfalle in Anwendung.
Stücke von Rinde werden mit der Bastseite in der Nähe von käferbehafteten Bäumen auf die Erde gelegt und mit einem Steine beschwert. Die schwärmenden Rüsselkäfer kriechen vor Tagesanbruch unter diese Rindenstücke und können so leicht gesammelt und vertilgt werden. Die auf diese Weise gestellten Rindenfallen waren nun regelmäßig des Morgens umgekehrt, die Steine weggerollt und kein Käfer war zu finden. Anfangs glaubte man es mit einem einfachen Bosheitsacte zu thun zu haben und Herr Geyer befahl, auf den Thäter zu fahnden. Der wachhabende Forstadjunct sah zwar keinen Menschen, jedoch eine große Zahl Raben- und Saatkrähen sich geschäftig in der Nähe der Rindenstücke herumtreiben, dieselben von den Steinen befreien, umdrehen und hin- und herzerren. Unmuthig darüber, schoß er einen der Vögel und hing ihn als Scheuche auf. Aber schon am nächsten Morgen hatte sich dasselbe Spiel wiederholt.
Als Herr Geyer diesen Bericht vernahm, machte ihn das dreiste Verhalten der sonst so vorsichtigen Vögel stutzen und den wahren Sachverhalt ahnend, untersuchte er den Magen der geschossenen Krähe. Derselbe war mit gefressenen Borkenkäfern[WS 1] ganz angefüllt. Der Magen mehrerer anderer im Walde geschossener Krähen zeigte denselben Inhalt. Unzweifelhaft sind sonach die Krähen unsere besten Alliirten im Kampfe gegen die Borkenkäfer[WS 1]. Bei dem durch den gefräßigen „Borkwurm“ so arg bedrohten Bestande unserer Wälder ist daher die Schonung dieser nützlichen Vögel nothwendig. Erwägt man ferner, eine wie große Zahl von Mäusen, Schnecken und Würmern die Krähe unaufhörlich vertilgt, so wird man zugeben müssen, daß diese armen schwarzen Gesellen vollkommen mit Unrecht für „vogelfrei“ erklärt werden. Es wäre sehr wünschenswerth, daß die Jagdbesitzer in Zukunft das Schießen der Krähen zu jeder Zeit streng untersagten, statt für das Erlegen derselben, wie es jetzt üblich ist, Schußgeld zu zahlen. Fällt auch mitunter ein faustgroßes Häschen oder ein Rebhuhn der Krähe als Beute – der große der Land- und besonders der Forstwirthschaft durch Schonung dieses Vogels gebrachte Nutzen wiegt gewiß diesen doch nur winzigen Verlust des Jägers auf.
W. in Lgza. Das in den dreißiger Jahren erschienene Gedicht über Kolter können wir Ihnen leider nicht mehr verschaffen, doch erinnern wir uns noch, daß es damals in einer Sammlung von „Gedichten, zum Vortrage passend“, abgedruckt war und hübsch und einfach, im volksthümlichen Tone die „nach einer wahren Begebenheit“ versificirte Scene aus dem Leben des Seiltänzers erzählt. Der Inhalt ist etwa folgender:
Ein reisender Handwerksbursche, ein armer Teufel, kommt nach langer Fußtour, bestaubt und erschöpft, endlich in einer Provinzialstadt an, wo er etwas rasten will. Trompetentöne und vorübereilende Menschenmenge veranlassen ihn, nach einem großen Platze zu eilen, wo gerade eine „Seiltänzergesellschaft“ ihre Production beginnt. Der arme Bursche vergißt ob des wunderbaren, für ihn so interessanten Schauspiels seine Ermüdung und klatscht freudig und eifrig mit. Gegen Schluß der Vorstellung wird, wie es allgemein Gebrauch ist, bei den außerhalb des Ringes stehenden Zuschauern vom Künstlerpersonale eine Collecte veranstaltet, diesmal vom Director der Truppe selbst. Bei unserm Burschen angekommen und dessen dürftiges Aussehen berücksichtigend, will der Sammler schon weitergehen, da hält ihn Ersterer mit freudig erregtem Antlitze zurück und wirft mit zitternder Hand – einen Dreier, der einen großen Theil seines winzigen Vermögens bildet, auf den ihm vorgehaltenen Teller, in etwas traurig vibrirendem Tone die Worte hinzufügend: leider wäre es ihm unmöglich, wie er wohl wollte, mehr zu geben, da er selber fast nichts besäße. – Kolter – denn er war der Einsammler – fragt den Handwerksburschen nun aus, woher er komme etc. und wie ihm die Vorstellung gefalle. Der Bursche ist des größten Lobes voll, gesteht, sich prachtvoll amüsirt zu haben, ferner daß er lange ohne Arbeit sei und seine ganze Baarschaft fast aufgezehrt habe etc. – Da ersucht Kolter ihn plötzlich, seine Mütze einmal herzuhalten; der Bursche thut solches mit befremdetem Gesichte, und Kolter schüttet den ganzen Inhalt des Tellers, hoch angefüllt, mit nicht wenigen Silbermünzen darunter, in die vorgehaltene Mütze des verdutzten Zuschauers mit den Worten: „So, nun gehe in die Herberge, lasse Dir zu essen geben und ruhe Dich hübsch aus!“ – Im nächsten Augenblicke war Kolter schon aus dem Gesichtskreise des Handwerksburschen verschwunden.
K. in Dr. Dergleichen Verkennungen und falsche Beurtheilungen kommen nicht nur in der Schule, sondern mehr noch im Militär-, Universitäts- und Beamtenleben vor. Als Stephan, der jetzige Chef des deutschen Postwesens, als junger Postsecretair von Cöln nach Magdeburg versetzt wurde, fühlte sich sein damaliger Oberpostdirector verpflichtet, Herrn Stephan den wohlgemeinten Rath zu geben, sich einen anderen Berufskreis zu suchen, da er bei der Post nie Carrière machen würde.
A. H. in Dresden. Sie haben die Wette verloren. Das Meyer’sche Lexicon berichtet ausdrücklich, daß in Pommern Gänse in der Schwere von dreißig bis sechsunddreißig Pfund nicht zu den Seltenheiten gehören.
☛ Leider erlaubte uns der Raum dieser Nummer nicht, derselben die versprochene Fortsetzung von Levin Schücking’s „Der Doppelgänger“ einzureihen. Die genannte Erzählung wird erst von Nr. 2 ab ohne Unterbrechung, Nummer für Nummer, bis zum Schlusse fortgeführt werden.
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Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ a b c gemeint ist der Fichten-Rüssel-Käfer; vergl. Kleiner Briefkasten in Heft 8
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_020.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)