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Seite:Die Gartenlaube (1875) 877.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Bekrittelung ausüben, und schenkte man auch dem Ersten wenig Vertrauen, von den Aussagen des Letzten bleibt sicher etwas haften. Wenn aber schon auf den Gesunden eine solche Wirkung ausgeübt wird, wie verkümmert man erst, einem armen Kranken sein unglückliches Dasein! Verbanne man also schon aus Zartgefühl diesen verderblichen Umgangsfehler! Viel Frohsinn kann dadurch erhalten werden.

Dr. –a–. 



„Julklapp!“ – dem Süd- und Mitteldeutschen ist’s ein fremder Wortklang ohne Farbe und Bedeutung, dem Bewohner der Ostseeküste und der angrenzenden Provinzen ein Zauberlaut, der ihm wie mit magischer Gewalt die köstlichsten Kindheitserinnerungen wachruft.

Weihnachtsabend! Da erwacht in den kleinen und mittelgroßen Städten Norddeutschlands mit der hereinbrechenden Dämmerung, wenn die Fest-Glocken von allen Thürmen läuten und durch die Fenster die strahlenden Tannenbäume leuchten, ein seltsam reges Leben auf Straßen und Gassen. Alles läuft und rennt über das schneebedeckte Pflaster – hier ein flinkes Dienstmädchen, unter der Schürze geheimnißvoll einen Korb mit hundert Packetchen bergend, dort ein stattlicher Livréebedienter, einen leichten Wagen mit vielen kleinen Kisten und Kästen nach sich ziehend. „Hollah! vorgesehen!“ ruft er eben einem vorübereilenden Packträger zu, der, den ganzen Arm voll sauber eingewickelter Sächelchen, gefährlich mit ihm carambolirt – und da liegen sie schon alle im Schnee, die tausend Packete unseres wackeren Dienstmannes Numero so und so. Ein altes Mütterchen, das, von Schneeflocken ganz bedeckt und einen großen Sack auf dem Rücken tragend, aussieht, als wäre sie der Knecht Ruprecht in weiblicher Gestalt, muß eiligst zur Seite springen, um nicht die Rückwirkung dieses Zusammenstoßes der beiden Männer an ihren gebrechlichen Gliedern empfindlich zu spüren. Es ist eben am Weihnachtsabend eine wahre Völkerwanderung auf Gassen und Plätzen in den Städten des Nordens.

„Julklapp, Julklapp!“ tönt es von allen Seiten. Dazwischen schallen die Klingeln an den Hausthüren – sie fehlen nie in den kleineren norddeutschen Städten – so hell und so lustig in das bunte Treiben hinein, wie kaum an einem anderen Tage im Jahre. Und unmittelbar auf jeden Klingelschall läßt sich ein fröhliches „Julklapp!“ vernehmen. Hui, wie bei diesem Rufe die Packete fliegen – weit hinein in den Hausflur und oft bis in die äußerste Ecke desselben. Schnell fällt die Hausthür wieder in’s Schloß, und der muntere Julklapp-Rufer, der schnelle Packet-Werfer ist hurtig um die nächste Ecke verschwunden, damit Niemand ihn sehe, Niemand ihn verrathe.

Innen in den Häusern aber knarren die Thüren geschäftig, denn zu den um den leuchtenden Christbaum versammelten Familiengliedern bringen die Dienstboten Packet auf Packet vom Flur herein – Julklappen, wie diese lustigen Weihnachtsboten genannt werden, und nun geht’s an’s Auspacken. So eine Julklappe ist ein seltsam’ Ding. Die erste Umhüllung trägt etwa die Aufschrift: „Der ehrsamen Hausfrau!“ und ein schelmischer Vers darunter macht den häuslichen Tugenden der edeln Dame ein Compliment. Sie öffnet – aber ach! sie ist betrogen; denn auf dem zweiten Papierumschlage liest sie die Adresse des würdigen Herrn Gemahls, der nun das Packet empfängt und neben seinem Namen eine humoristische Verherrlichung seines lieben Ich oder auch eine grausame Satire auf seine besten Eigenschaften entdeckt, je nach Laune und Beziehung des Absenders. „Wird Papa das Geschenk bekommen?“ – „Nein, mein Junge, es ist für Dich.“ Und der Herr Sohn hat nun die dritte Umhüllung zu öffnen – aber auch der ist düpirt. Und so wandert die Julklappe von Hand zu Hand, bis endlich die liebliche Tochter oder an wen sonst die letzte Adresse gerichtet war, das Geschenk in Händen hält, einen Ring oder eine goldene Uhr, oder auch nur ein Buch oder ein Kleidungsstück, kostbar oder werthlos – es ist eben Weihnachten, und wie die Herzen weit oder eng, die Cassen voll oder leer sind, so fallen auch die Festesgaben prächtig oder schlicht aus.

Und während man sich noch den Kopf darüber zerbricht, wer der freundliche Geber sein mag, während man noch auf den abgerissenen Papierumhüllungen an Handschrift und Siegel criminalistische Studien macht, werden schon vom Flur herein neue und immer neue Julklappen gebracht – denn von allen Enden der Stadt kommen die Geschenke in’s Haus geflogen –, und wie das Papier am Fußboden sich mehrt, so steigern sich Jubel und Lust, bis die Lichter am Tannenbaume herunter gebrannt sind und die Glocke zum Imbiß ruft. „Kommt, Kinder! Die Karpfen werden kalt,“ ruft die Frau Mama, und die Freude des Mahls beschließt den Abend. – –

Julklappenscherz, uralte lustige Erfindung des skandinavischen Nordens, wem du je in der Kinderzeit das junge Gemüth erfüllt und die leichtbewegliche Phantasie erregt hast, ob es nun im Pommerlande war, in Mecklenburg oder weiter hinauf an der buchenbewaldeten Küste der Ostsee, nie und nimmer vergißt er dich, freundliche Urvätersitte voll Humor und Schelmerei.



Der amerikanische Sonntag. Die Jubel-Weltausstellung in Philadelphia wird manches originelle vor den bisherigen Ausstellungen voraus haben. Der Amerikaner stellt sich und seine charakteristischen Eigenthümlichkeiten nämlich selbst aus und – giebt sich bloß. Die Besucher der Ausstellung werden unter Anderem Gelegenheit haben zu bemerken, wie Amerika seinen größten Feiertag im Jahre, den 4. Juli, mit Ohren und Sinne betäubendem Geknatter aus allen Arten von Feuerwerkskörpern und Schießwaffen, begleitet von Feuersbrünsten, Körperverletzungen, ja Tödtungen sogar, begeht. Es wird gerade zur Zeit der Wahl eines Präsidenten sein, in welcher sich die beiden Parteien und ihre Vertreter bekanntlich die liebenswürdigsten Angriffe entgegenwerfen und die Presse in gewisser Beziehung das Unglaubliche leistet. Aber den Gästen wird es auch nicht erspart werden, den puritanischen Sonntag Amerikas mit seiner deutsch-amerikanischen Hinterthür in die verpönten Wirthshäuser kennen zu lernen. Denn die volle Gewissensfreiheit ertheilende große Republik schreibt nichtsdestoweniger durch Gesetzgebung und Gewohnheit jene Heiligung des Sabbaths vor, die sich in den „blauen Gesetzen Connecticuts“ so weit vermaß, am Sonntage nicht nur jede Reise und jeden Spaziergang, sondern sogar zu verbieten, daß Eheleute sich küssen durften (bei Liebenden wird es der Reiz des „Verbotenen“ wohl doppelt süß gemacht haben). Die Herren, unter deren Leitung die Weltausstellung in Philadelphia steht, haben sich denn auch nicht von der amerikanischen Engherzigkeit zu emancipiren vermocht, mit Rücksicht auf ihre ausländischen Gäste das Internationale eines solchen Unternehmens zu achten, sondern halten die Ausstellung an Sonntagen geschlossen. Denn das steht deutlich in den von dem Executiv-Comité gut geheißenen Anordnungen zu lesen, wo es unter Anderem heißt. „Die Ausstellung wird am 10. Mai 1876 eröffnet werden, und mit Ausnahme des Sonntags jeden Tag bis zum 10. November dem Besuche offen stehen.“ Diese Bestimmung hat bisher keinen Widerruf erfahren, und die Commissionäre denken auch nicht im Mindesten an eine Abänderung derselben. Daß die Herren auf das Volk, auf die arbeitenden Classen nicht die mindeste Rücksicht nehmen, das ist man schon gewohnt. Es liegt in der Rücksichtslosigkeit und Unduldsamkeit der Pfaffenclique, welche den Armen nicht die geringste Unterhaltung und Erholung gönnt und den Menschen nur zum Sclaven der Werkstätte und der Kirche machen will.

Charakteristisch in jeder Beziehung bleibt aber diese ausschließliche Ausstellung des amerikanischen Sonntags jedenfalls. Sie ist besonders der Stadt der Bruderliebe angemessen (die New-Yorker hätten dies gewiß nicht gethan). Am besten wird es sein, wenn die Ausstellungsgäste an Sonntagen sich nach Newark zurückziehen, wo es „Auf dem deutschen Berg“ bei Kölger’s etc. so lustig zugeht, wie in Deutschland selbst. Tanz, Musik und Gerstensaft verschaffen sich dort trotz Pfaffen Sonntag und Polizei ihr Recht.

D. 


 Weihnacht.

Wie war’s in jenen gold’nen Tagen,
Wo jede Nacht in schönem Traum
Den lichterhellen Weihnachtsbaum
Vor deinen Augen aufgeschlagen,
Bis die ersehnte Stunde kam
Und dem erwartungsvollen Knaben
Mit tausend bunten Liebesgaben
Das Sehnen von der Seele nahm?

War’s denn allein der Gaben Prangen,
Was deine Seel’ in Lust geschwellt,
Als sei ihr eine neue Welt
An jenem Abend aufgegangen?
Was mächtig wie ein Freudenstrom
An deinen jungen Busen stürmte,
Der ziellos seine Wünsche thürmte
Zum sternenhellen Himmelsdom?

Was war es, was in glüh’nden Farben
Noch jetzt in deine Seele taucht,
Wo all’ die Lichter längst verraucht,
Wo all’ die Lieben lange starben,
Was noch in der Erinn’rung Licht
Dein alternd Herz macht höher schwellen,
Noch jetzt in warmen Thränenquellen
Aus deinen milden Augen bricht?

Das war’s: du sahst den Himmel glänzen
Mit tausend Sternen weit und groß,
Und war dein Wünschen grenzenlos,
War auch dein Hoffen ohne Grenzen.
Mit jedem umgestürzten Glück
Sahst eine Hoffnung du zerstieben,
Und nur der Sehnsucht Schmerzen blieben
In deiner wunden Brust zurück.
  Karl Bartsch.



Eine Unsitte auf Bahnhöfen. „Schon zu wiederholten Malen“ – so schreibt man uns aus Crefeld – „war es ein Verdienst der ‚Gartenlaube‘, durch energischen Hinweis auf gewisse Gebrechen des öffentlichen Verkehrs wirksam auf deren Abhülfe hinzuarbeiten und sich den Dank des Publicums zu erwerben. Ihre Mahnung genügte, den Reisenden auf der Eisenbahn Befriedigung des primitivsten Bedürfnisses nach einem Trunk frischen Wassers in brennender Sonnengluth auf fast jedem Bahnhofe unseres Vaterlandes zu verschaffen. Eine neuliche Nummer der ‚Gartenlaube‘ trat wieder mit einer Reihe gerechtfertigter Wünsche hervor, die gewiß nicht vergeblich ausgesprochen sein werden und deren Erfüllung nicht unwesentlich beitragen muß, das Reisen auf der Eisenbahn angenehmer und sicherer zu machen. Nur einen faulen Punkt finde ich noch nicht erwähnt, der die ‚Gartenlaube‘ nicht minder zu energischem Protest veranlassen dürfte, wie Curirschwindel und Gründerthum, weil durch ihn sittliche Interessen unserer Nation tiefer geschädigt werden als man auf den ersten Blick glauben möchte – ich meine die schmutzige Literatur, die sich in der schamlosesten Weise zur Zeit auf fast allen Bahnhöfen breit macht, während sie in den Schaufenstern anständiger Buchhandlungen das Tageslicht scheuen muß. Die erbärmlichen Auswüchse der Phantasie eines Paul de Kock, Sardou, Dumas jr und ähnlicher Scribenten, die schon in ihrer aller guten Sitte Hohn sprechenden Ausstattung ihren unsauberen Inhalt genügend darthun, destomehr aber

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 877. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_877.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)