Verschiedene: Die Gartenlaube (1875) | |
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Parlamente stattfanden. Hoffmann wurde Strauß in Ludwigsburg gegenüber gestellt und siegte in der heißen Wahlschlacht über ihn. Er saß als einziger Vertreter des Pietismus in der Paulskirche zu Frankfurt. Seine lebhafte Phantasie erfaßte den hohen, schöpfungslustigen Freiheitsgeist jener Tage, der über die Menschheit gekommen war, und träumte von einer religiösen Wiedergeburt der deutschen Nation, unbeschadet ihrer politischen Auferstehung. Als er sich darin getäuscht sah, als dann auch die politischen Hoffnungen in frühen Herbst traten und entblätterten, da rettete sich die Entwickelungskraft Hoffmann’s in ein Eden, wo die Menschheit sich erneuern und zur wahren Glückseligkeit auf Erden gelangen könne. Er war der Ueberzeugung, daß dies nur möglich sei, wenn die Prophezeiungen der Bibel zur alleinigen Richtschnur des Lebens genommen würden und die christliche Gemeinschaft durch Rückkehr zu der Einfalt und Gläubigkeit der Apostel des verheißenen tausendjährigen Reiches sich würdig erweise.
Mit Schrift und Wort warb er nun für seine Meinung. Alles bestehende Christenthum erschien ihm entartet, der Pietismus verworren, alle socialen Mißstände führte er auf diese geistige Zerrüttung zurück. Was einzig retten könne, sei der Aufbau eines Tempels, das heißt die Bildung einer unabhängig von den Kirchen, auf rein christlicher Grundlage organisirten Gesellschaft, ähnlich der ersten Christengemeinde, mit einer äußeren Lebensordnung nach dem Vorbilde des Volkes Israel in seiner besten Zeit und mit der festen Glaubenskraft desselben. Da die heilige Schrift Jerusalem und das umliegende Land als den Ort der Erde bezeichnet, von wo diese rein biblische Lebensordnung ihren Ausgang nehmen müsse, so richtete er auch seine Blicke auf Palästina. Dort sollte das erste Christenthum durch ihn in lebendiger Gestaltung neu erstehen.
In der That fand schon 1849 diese Idee ihre Anhänger in Ludwigsburg und wurde fortan mit Erfolg weiter in pietistische Kreise getragen. Die Zeitschrift „Süddeutsche Warte“ erklärte sich im Juli 1853 sogar als besonderes „Organ für die Sammlung des Volkes Gottes in Jerusalem“, und ein Jahr später war die Anhängerzahl so groß, daß sie sich als Gemeinde constituiren konnte und Hoffmann mit einem der Paulus, mit Hardegg und dem bald darauf verstorbenen Höhn als freiwilliger Ausschuß derselben zusammentrat.
Ihrem Plane gemäß richtete die Gesellschaft des „Neuen Tempels“, wie sie sich nannte, 1854 eine mit vierhundertneununddreißig Unterschriften versehene Bittschrift an den Bundestag, daß dieser sich bei der türkischen Regierung dafür verwende, der Gesellschaft zu ihrer Uebersiedelung in’s gelobte Land Ackergebiet um billigen Preis zu verkaufen und ihr Schutz zu gewähren. Der Bundestag lehnte das Gesuch ab. Zeigte sich nun auch die Ausführung der Hauptidee schwierig, so verzichtete man doch keineswegs darauf. Man gelobte sich Treue der gläubigen Ueberzeugung und faßte sich in Geduld. Um aber einen Anfang mit der äußeren Lebenseinrichtung nach biblischen Vorschriften machen zu können, die Idee überhaupt erst in die Wirklichkeit zu übertragen, legte ein Theil der Secte unter Hoffmann im Jahre 1856 eine Niederlassung auf dem um vierzigtausend Gulden erworbenen Kirschenhardthof bei Marbach am Neckar, Schiller ’s Heimath, an. Sie bildete fortan gleichsam die Vorbereitungsschule für die eigentliche Bestimmung der Mitglieder des „Neuen Tempels“, die in der Ansiedelung in Palästina erblühen sollte.
Denn darauf hielt man den Blick sehnsuchtsvoll gerichtet. Schon 1858 waren so viele Mittel gesammelt, daß drei Männer als Kundschafter nach Palästina gesandt werden konnten, die mehrere Monate lang das Land durchforschten, um zu erklären, „in wiefern es für die in der Weissagung ihm bestimmte Aufgabe tauge, der Anfangspunkt des Reiches Gottes auf Erden zu werden“. Der Bericht war wenigstens soweit aufmunternd, daß er eine Ansiedelung daselbst „nur von einer für die großen Zwecke der Weissagung organisirten Gesellschaft“ als erfolgreich hinstellte. Als solche betrachtete sich aber die Secte entschieden, und um es zu bekräftigen, faßte sie in einer Versammlung auf dem Kirschenhardthofe im Juni 1861 den Beschluß, aus der württembergischen Landeskirche auszutreten, sich auch von dem sie befehdenden Pietismus loszusagen und als selbstständige religiöse Gesellschaft unter dem Namen „Deutscher Tempel“ ihre Zwecke zu verfolgen. Es waren damals an dreitausend Seelen, die sich dazu in Württemberg vereinigten; abgesehen von einzelnen Gesinnungsgenossen in den übrigen deutschen Ländern, in der Schweiz, in Südrußland und Nordamerika, zumeist dort hingewanderte schwäbische Verwandte, die in anderen Secten die gesuchte religiöse Befriedigung nicht gefunden haben mochten. Die „Süddeutsche Warte“ unterhielt die geistige Verbindung mit diesen entfernteren Mitgliedern, die sich auch wohl Freunde Jerusalems nannten.
Auf dem Kirschenhardthofe rüstete man sich unterdessen ernstlich, den Zug in’s gelobte Land zu unternehmen und dort eine neue, beglückende Heimath zur Vorbereitung des einst zu erwartenden Paradieses zu gründen. In einer besonderen Schule wurden junge Männer zu Evangelisten ausgebildet, deren Aufgabe in der Ausbreitung der Ideen des „Tempels“ bestand. Vier derselben gingen nach Palästina vorauf, um die arabische Sprache zu lernen und sich mit den Verhältnissen des Landes so vertraut zu machen, daß sie ihren nachfolgenden Genossen mit Rath und That zu Hülfe kommen konnten. Von einer Rettung der christlichen Gesellschaft in Europa hoffte man Nichts; man gab sie verloren. Doch destomehr wuchs das Verlangen, sich auch von dem politischen und gesellschaftlichen Verband mit ihr möglichst loszulösen. Mit Ausbruch des Krieges von 1866 sah man in diesem Kreise die schlimmsten Befürchtungen sich erfüllen, ein unheilvolleres Elend über Deutschland hereinbrechen. Wie in einer Flucht davor brachen mehrere schwäbische Familien ihre Hausstände ab und wanderten nach Palästina aus. Kaum aber, daß sie in der Ebene Jesreel es zum Anfang einer Ackerbau-Colonie gebracht hatten, als die meisten der Ansiedler den Einflüssen des Klima’s und den ungewohnten Anstrengungen erlagen.
Diese traurige Erfahrung erschütterte gleichwohl die Zuversicht der Gesellschaft nicht. Nach wie vor belebte sie der Gedanke einer Uebersiedlung nach Palästina. In einer Versammlung der Aeltesten und Leiter, im März 1868, kam es denn zu dem Beschlusse, daß zwei der Vorsteher nach dem gelobten Lande ziehen sollten, um Quartier für eine lebensfähige Colonie zu machen. Es waren Hoffmann und Hardegg, die diese Reise unternahmen, der Eine, um einen Missionsposten in Palästina zu errichten, der Andere, um die materiellen Angelegenheiten zu besorgen. Ihre Familien nahmen sie mit sich. Es schreckte sie nicht ab, daß ihr Vorhaben nichts weniger als freundlich von den türkischen Behörden aufgenommen wurde, daß eine Menge von Widerwärtigkeiten und Schwierigkeiten sich ihnen entgegenstellten. Sie untersuchten das Land und bestimmten dann Haifa als ersten Ansiedlungsort, bald hernach durch zufällig in Jaffa sich darbietende Erwerbung von Grundstücken einer dort wieder eingehenden nordamerikanischen Secte auch diese Stadt zum gleichen Zwecke.
In kleinen Abtheilungen ging dann die Auswanderung der Gläubigen aus Württemberg vor sich, zumeist mit Familien. Jahr um Jahr zogen neue Ansiedler an und richteten sich mit ihren Gewerben oder Ackerbauwirthschaften in dem Lande ihrer Sehnsucht, trotz herber Enttäuschung über Natur und Zustände daselbst, ein, und zwar ein Theil in Haifa, ein anderer in Jaffa, etliche in Jerusalem selbst, in Nazareth und Ramle, in Beirut, Alexandrien und Constantinopel; für speciell Ackerbau treibende Familien wurde sogar eine Stunde von Jaffa eine neue Colonie angelegt, die den Namen Sarona erhielt.
Sechs Jahre lang bestanden die Ansiedlungen unabhängig neben einander, dann aber machte sich das Bedürfniß einer einheitlichen Leitung derselben geltend. Unter den Hauptgründern der Gesellschaft war freilich der Zwist so tief geworden, daß Hardegg wieder nach Deutschland zurückging und sogar aus der Tempelgesellschaft austrat. Aber statt seiner kam 1873 Christoph Paulus nach Jaffa, und Beide wurden nun von den Colonien zu Vorstehern erwählt, Hoffmann als erster, Paulus als sein Stellvertreter.
Die Zahl der Ansiedler in Palästina beläuft sich jetzt auf siebenhundertundfünfzig Köpfe. Davon sind in Jerusalem achtzehn Familien und etliche junge Leute, zusammen etwa hundert Personen, in und bei Jaffa dreiunddreißig Familien, die Mehrzahl mit Gewerben und Gartenbau beschäftigt. In dieser zweihundertundzwanzig Köpfe starken Gemeinde besteht ein Krankenhaus für Europäer und Araber mit zehn Betten, mit Apotheke
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 872. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_872.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)