Verschiedene: Die Gartenlaube (1875) | |
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No. 47. | 1875. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.
„Großer Gott!“ rief die Hausfrau erblassend aus und fuhr von ihrem Sitze empor.
„Uffeln – da,“ sagte der Hausherr, „lebendig – leibhaftig da? Und das, das sagen Sie mit dieser Leichenbittermiene?“
„Mein Gott, welches Glück!“ stammelte Fräulein Adelheid ganz athemlos vor Bewegung.
„Er ist da,“ versetzte mit einem leisen Kopfnicken Herr Fäustelmann der Rentmeister, in demselben Ton und wie von der Wirkung, die seine Mittheilung hervorgerufen, nicht im geringsten berührt.
„Aber wo ist er denn? Weshalb bringen Sie ihn nicht her?“ rief Herr von Mansdorf in zitternder Aufregung.
„Er ist in meinem Hause,“ versetzte der Rentmeister. „Er kam vor einer Viertelstunde zu mir. Nachdem ich die Legitimationspapiere, die er mir vorlegte, angesehen, forderte ich ihn auf, sich mit mir zu Ihnen zu bemühen. Das lehnte er jedoch ab.“
„Er lehnte es ab? Und weshalb?“ rief die Hausfrau aus, deren anfängliche Blässe in ein helles Roth der Freude übergegangen war.
„Weil er ein sehr bescheidener, fast blöde zu nennender Herr zu sein scheint,“ versetzte der Rentmeister. „Er ist mit dem festen Glauben gekommen, daß sein Erscheinen bei Ihnen einen großen Schrecken hervorrufen müsse.“
„Er? Schrecken?“ rief Herr von Mansdorf. „Wahrhaftig, Fäustelmann, dann haben Sie ihn mit Ihrer Gespensterseherei angesteckt.“
„Schrecken,“ fuhr der Rentmeister, ohne sich zu einem Eingehen auf diese persönliche Bemerkung seines Herrn herabzulassen, fort, „Schrecken, insofern als er doch erschiene, Sie um die Hälfte Ihres Gutes zu bringen, welches Sie nun schon mehrere Jahre allein inne gehabt –“
„Ah bah – haben Sie ihm denn nicht gesagt, Fäustelmann,“ rief Herr von Mansdorf aus, „daß dieses Gut für mich nicht viel Anderes war, als eine verschlossene Geldlade, zu der man den Schlüssel nicht hat, und daß er just der Schlüssel ist, nach dem wir gesucht haben alle diese Jahre hindurch?“
„Freilich habe ich ihm das gesagt – und das hat ihn auch wohl beruhigt. Doch hat er mich inständig gebeten, ihn erst anzukündigen, bevor er selbst erscheine, und so kündige ich ihn denn an.“
„Und ich will nicht Mansdorf heißen, wenn Sie je in Ihrem Leben etwas Besseres und Erfreulicheres angekündigt haben, Fäustelmann,“ sagte der Hausherr, „und jetzt gehen Sie! Eilen Sie, bringen Sie ihn her, diesen schüchternen und blöden Lehnsvetter!“
„Ich will Herrn Ulrich Gerhard von Uffeln herbeiholen,“ entgegnete der Rentmeister, indem er sich wandte und des Weges, den er gekommen, zurückging.
Die Gesellschaft blickte ihm in athemloser Erwartung nach. Frau von Mansdorf faltete ihre Hände zusammen und rief: „Gott segne den Tag, der uns diesen Mann endlich bringt!“
Der Justitiar aber flüsterte betroffen: „Hoffentlich ist dieser Lehnsvetter keine Vorgeschichte des Spuksehers Fäustelmann.“
Darüber konnte der skeptische Justitiar glücklicher Weise sehr bald beruhigt sein. Herr Fäustelmann brachte den Lehnsvetter richtig und leibhaftig herbei, und es war Nichts an ihm, was wie ein Visionsgebilde ausgesehen hätte. Ein Mann von vielleicht dreißig Jahren, oder wenig mehr, mit blondem Haar, ziemlich ausdruckslosem Gesicht und ein wenig unsteten, schüchtern blickenden Augen. Er sei Militär, sagte er, er sei verabschiedeter französischer Officier; aber Soldatisches, Unternehmendes schaute nicht viel aus diesen Augen heraus. Er war verabschiedet, weil er, während er bei der Armee in Spanien gestanden, in einem Gefechte an der Hand verwundet worden. Der Regimentsarzt hatte ihn ungeschickt behandelt; so war seine rechte Hand gelähmt worden; er konnte wohl das Gelenk, aber nicht die Finger bewegen; wenn er etwas damit erfassen wollte, so mußte er mit der linken Hand es hineinlegen und die Finger darum drücken – dann hielten diese ganz fest wie gesunde. Aber dem Willen gehorchten sie nicht. Das war unheimlich – Fräulein Adelheid schauderte, als er diese Operation zum ersten Male vornahm, um es der Gesellschaft zu zeigen, davor wie vor etwas Abstoßendem zurück. Er war sehr jung schon in französische Kriegsdienste getreten, schon kurz nach der Errichtung des Rheinbundes; seine Eltern, die in Freiburg im Breisgau gelebt, wo der Vater die Stelle eines Syndicus des Domcapitels bekleidet, hatte er während des Feldzugs von 1809 verloren, und dann war er mit einem der Rheinbundregimenter nach Spanien geschickt worden und hatte da unglaubliche Strapazen erdulden, Noth und Entbehrungen aller Art durchkämpfen müssen; von diesen Strapazen und diesen Entbehrungen sprach er vorzugsweise, mehr als von den Schlachten, an denen er theilgenommen und den kriegerischen Thaten seines Corps – ein Umstand, der offenbar für seinen friedfertigen Sinn zeugte.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 781. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_781.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)