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Seite:Die Gartenlaube (1875) 772.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


ich von keiner Seite gewachsen war, wo ich durch manche Fehler des Unbegriffs und der Uebereilung mich und Andere kennen zu lernen Gelegenheit genug hatte, wo ich, mir selbst, und dem Schicksale überlassen, durch so viele Prüfungen ging, die vielen hundert Menschen nicht nöthig sein mögen, deren ich aber zu meiner Ausbildung äußerst bedürftig war. Und noch jetzt, wie könnte ich mir, nach meiner Art zu sein, einen glücklicheren Zustand wünschen, als einen der für mich etwas unendliches hat!“

So ward es ihm möglich, Dramen wie Iphigenie, Tasso, Egmont, seine lyrischen Gedichte, seinen Wilhelm Meister, wie ferner, unter harmonischer Entwickelung durch die italienische Reise und später unter freundschaftlichem Zusammenwirken mit dem genialen Schiller sein Gedicht Hermann und Dorothea, seine Balladen, seinen Faust zu schaffen. Sein Eintritt in Weimar schuf für ihn selbst und für die deutsche Literatur, für die Geschichte deutschen Denkens und Dichtens eine neue, große Epoche. Die deutsche Nation hat es an seinem goldenen Jubeltage (7. November 1825) anerkannt; sie spricht diese Anerkennung am bevorstehenden Säcularfeste von Neuem aus; sie wird es anerkennen, solange es überhaupt ein deutsches Volk, eine deutsche Literatur giebt.

Goethe selbst war sich dessen dankbar bewußt, dankbar vor Allem gegen seinen fürstlichen Freund, von welchem er empfangen,

          was Große selten gewähren,
Neigung, Muße, Vertrau’n, Felder und Garten und Haus.

Ihm blieb er der treuste Freund bis zur letzten Stunde. Beim Regierungsjubiläum Karl August’s, 3. September 1825, war er der erste Gratulant. Schon vor sechs Uhr Morgens eilte er zu ihm in das römische Haus im Parke. Als er dem Jugendfreunde gegenüberstand, versagte ihm in Rührung anfangs die Sprache, nur die Worte brachte er hervor: „bis zum letzten Hauche beisammen!“ Karl August, beide Hände des Freundes ergreifend, faßte sich zuerst und gedachte der frohen Jugendzeit. „O, achtzehn Jahr und Ilmenau!“ rief er aus und schloß mit den Worten: „denken wir aber dankbar besonders daran, daß uns auch heut noch erfüllt ist, was uns einst in Tiefurt vorgesungen wurde:

Nur Luft und Licht und Freundeslieb’!
Ermüde nicht, wenn dies noch blieb!“

Als dann wenige Wochen später, am 7. November 1825, Goethe selbst sein Jubelfest beging und von seinem fürstlichen Freunde, seinen Verehrern[WS 1] in Nah und Fern, ja von der ganzen gebildeten Welt mit Glückwünschen und Ehrenbezeigungen überhäuft wurde, gedachte er mit Rührung seiner Uebersiedlung zur Ilm, die „eine Quelle manches Guten, Schönen geworden“; er ließ durch seinen Sohn beim Festmahle auf dem Stadthause dem Freunde Knebel, als „dem Manne, dessen Bekanntschaft und Vermittelung er seine erste freundliche Aufnahme und den Eintritt in dieses Land verdanke“, aus vollem dankerfülltem Herzen ein Hoch bringen.




Ein Parlament im Negligé.
Von Michael Klapp.


Von Zeit zu Zeit bekommt der fleißige Zeitungsleser zu seinem Morgenkaffee oder Morgenthee kleinere oder größere Telegramme aus Belgrad servirt, in denen das wenig melodiöse Wort „Skuptschina“ eine große Rolle spielt. Das Stadium der Allerweltsweisheit, in dem wir uns dank den Tageszeitungen befinden, bringt es mit sich, daß wir auch, nebst den Nachrichten aus den Parlamenten der großen Civilisationsträger, nebst den Berichten aus den Parlamentshäusern Westminsters, dem Versailler Nationaltheater und dem deutschen Reichstage, von den großen Worten, welche die kleineren Völker in ihren Nationalrathsstuben zu sprechen pflegen, immer die frischeste Kunde erhalten. Hat aber der bekannteste „kranke Mann“ Europas, wie in den letzten Wochen gerade, seine Congestionen und politischen Leibbeschwerden, dann tritt erst recht auffallend die serbische „Skuptschina“ aus der großen Telegramm- und Correspondenzmischung unserer Morgenlectüre heraus: die Skuptschina wird einberufen, die Skuptschina will den Krieg erklären, die Skuptschina geht von Kragujewac nach der alten Donauresidenz Belgrad etc. Die Skuptschina – alles dieselbe Skuptschina, jenes Serbenparlament, das sich unter dem Eindrucke des Parlamentarismus, der uns geläufig ist, in der Phantasie zu einem Ding gestaltet, das es so eigentlich gar nicht ist. Was sich wohl solch ein gebildeter Zeitungsleser alles unter jener Skuptschina Parlamentarisch-Schönes denken mag! Ach, Alles nur parlamentarische Illusion, mein Lieber, der du an ein Parlament von Professoren, Advocaten, Gelehrten, Industriellen, höheren Staatsbeamten, Gutsbesitzern etc. denkst, an ein Parlament mit Repräsentationskünsten und soliden Satzungen, die dem alten englischen Vorbilde entnommen sind, an ein Parlament der Peels und Pitts, Palmerstons und Gladstones, Simsons und Vinckes. Eine viel zu gute, zu hohe Meinung, die du da von dem Serbenparlament hast.

Auch Schreiber dieses hatte sie, bis ihm günstige Verhältnisse die erste Bekanntschaft mit einer Skuptschina vermittelt hatten.

Es war im Jahre 1868, im Hochsommer; der Mord an dem Serbenfürsten Michael Obrenowitsch hatte mich nach Belgrad geführt. Das alte Türkennest war in großer Aufregung. In der Waldeinsamkeit des Parkes von Toptschider, die etwa eine halbe Stunde von Koschutjnak (Hirschpark) entfernt ist, war der Fürst von drei wüsten Parteigängern der entthronten Karageorgewitsche mörderisch angefallen und niedergemacht worden. Auf den Lippen das „Ruku libam“ (Küsse die Hand), hielten die Mörder, als der Fürst an ihnen vorbeikam, in der nach rückwärts gekehrten Hand die vierläufigen Revolver, die sie, kaum daß ihnen die fürstliche Gesellschaft den Rücken gezeigt, nach den einzelnen Opfern abbrannten. Die zwölf Schüsse hatten ihre verfluchte Schuldigkeit gethan; in verschiedener Richtung sank die fürstliche Begleitung, theils schwer, theils leicht verwundet, dahin. Zusammengebrochen deckte Michael Obrenowitsch ein blutbeflecktes Stück Erde; da trat einer der verwegensten der Mordgesellen, Radovanowitsch mit Namen, (ich vergesse noch heute nicht sein wildes entmenschtes Antlitz, wie es sich mir dazumal, bei der Gerichtsverhandlung zeigte, die ihm und noch anderen fünfzehn Verschworenen den gerechten Tod eingetragen) an den Fürsten heran, den gefallenen Körper untersuchend, ob er noch Leben besitze. Nicht sicher seiner Untersuchungsergebnisse, fragte der Ruchlose:

Obrenowitsch, lebst Du noch?

Michael, der in der That noch lebte, glaubte wohl die Stimme seines Adjutanten Garaschanin zu hören und sagte: „Gast“ (Ja). Ein Wink von Radovanowitsch, und die Unmenschen alle, die im Mörderbunde standen, fielen nun über ihn her, und Mordinstrumente aller Art, bis zum Hackmesser herab, vollendeten das schändliche Werk, das eine Reihe von Schüssen, die aber kein edles Organ getroffen, nicht ganz zu thun vermocht hatten.

Die ersten Wochen dieser aufregungsreichen [WS 2] Zeit gehörten selbstverständlich der Aufspürung der Mörder. Sie waren alle nach und nach festgenommen worden, und das über einen großen Theil des Landes gespannte Netz der Verschwörung wider die Dynastie Obrenowitsch lag nach und nach sichtbar vor Augen. Militär, Advocaten, mißvergnügte höhere Beamte, denen ihre Faulheit noch mit zu wenigen Dukaten bezahlt dünkte, waren mit Verwandten der entthronten Karageorgewitsche und einigen entlassenen Sträflingen den unsauberen Bund eingegangen, der dem Fürsten Michael das Leben kostete. Niemand im Lande zweifelte einen Augenblick, wer der erste Urheber des Complotes, wer der indirecte Theilhaber jener in Toptschider vor sich gegangenen Schandthat sein könne. Sein Name wurde allgemein genannt, von allen Tagesberichten gebrandmarkt, ab der der Träger dieses Namens, Peter Karageorgewitsch, befand sich ruhig und sicher in der Magyarenhauptstadt, und auch später vorgenommene Gerichtsproceduren, die freilich wenig Halsnothpeinliches an sich hatten, thaten ihm nichts zu Leide. Die fünfzehn Mordgesellen waren alle zugleich, an einem und demselben Morgen, in einem der Gräben der alten Festung executionsmäßig erschossen, in die Grube gesunken;

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Verehreren
  2. Vorlage: aufregungungsreichen
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 772. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_772.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)