Verschiedene: Die Gartenlaube (1875) | |
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Schauplatz, um zu versuchen, wie Einem die Weltrolle zu Gesicht stände. Ich übereile mich darum nicht, und Freiheit und Genüge werden die Hauptconditionen der neuen Einrichtung sein.“ Wieland aber schrieb am 26. Januar an Merck: „Goethe kommt nicht wieder von hier los, Karl August kann nicht mehr ohne ihn schwimmen noch waten.“ Der Herzog bot Alles auf, seinen Busenfreund in Weimar festzuhalten. Wohl entschloß Goethe, seiner Natur und seiner Dichterneigung eingedenk, sich nur schwer, diesen Wünschen zu willfahren. An Frau von Stein schrieb er am 29. Januar, es gehe ihm verflucht durch Kopf und Herz, ob er bleibe oder gehe, und noch bis zum März äußerte er wiederholt sorgliche Bedenken. Doch am 8. März schrieb er: „Den Hof hab’ ich nun probirt, nun will ich auch das Regiment probiren.“ Sein Entschluß war gefaßt: er blieb, er blieb aus Liebe zu Frau von Stein und aus Freundschaft zu Karl August, der ihn überdies auch durch Befriedigung seines Herzenswunsches nach eigener Häuslichkeit an Weimar fesselte. Aus dem Kalb’schen Hause war Goethe in das sogenannte kleine Jägerhaus (das jetzt zum Justizamtsgebäude verwandelt ist) gezogen, damals einer kleinen Burg gleichend, in welcher er, wie er scherzend äußerte, sich im Nothfalle mit seinem Bedienten Seidel einige Tage gegen ein ganzes Corps wehren zu können meinte. Durch Karl August erhielt er im Frühjahre 1776 den (vorher Bertuch gehörigen) Garten nebst Gartenhaus jenseits der Ilm, nahm ihn am 21. April in Besitz und fing im Mai die untere Anlage des Gartens an. An Gräfin Auguste von Stolberg schrieb er damals: „Hab’ ein liebes Gärtchen vorm Thore an der Ilm, schöne Wiesen, in einem Thale; ist ein altes Häuschen drin, das ich mir repariren lasse,“ und seine Mutter, die wackere Frau Rath, am 26. Mai an Klinger: „Der Doctor ist vergnügt und wohl in seinem Weimar, hat gleich vor der Stadt einen herrlichen Garten, welcher dem Herzoge gehört, bezogen. Weimar muß vors Wiedergehen ein gefährlicher Ort seyn, Alles bleibt dort. Nun, wenn’s dem Völklein wohl ist, so gesegne’s ihnen Gott.“ Und wie die Mutter, so konnte auch der Vater den Wünschen des Sohnes und seines Freundes, des Herzogs, nicht widerstehen, als Letzterer durch von Kalb an sie nach Frankfurt schreiben ließ: „Die wechselseitige Neigung des Herzogs gegen Ihren vortrefflichen Sohn, das ohnumschränkte Vertrauen, so er in ihn setzt, macht es beyden ohnmöglich, sich von einander zu trennen. Nie würde er darauf verfallen seyn, meinem Goethe eine andere Stelle, einen andern Charakter als den von seinem Freunde anzutragen, der Herzog weiß zu gut, daß alle andern unter seinem Werthe sind, wenn nicht die hergebrachten Formen solches nöthig machten. Mit Beibehaltung seiner gänzlichen Freiheit, der Freiheit Urlaub zu nehmen, die Dienste ganz zu verlassen, wann er will, wird unser junger edler Fürst in der Voraussetzung, daß Sie unfähig sind, Ihre Einwilligung dazu zu versagen, Ihren Sohn unter dem Titel eines Geheimen Legationsrathes und mit einem Gehalte von tausendzweihundert Thalern in sein Ministerium ziehen. – Gern unternähm’ ich, Ihnen die Verhältnisse meines Bruders (Goethe) zu bezeichnen, wenn ich mich dazu vermögend fühlte. Denken Sie Sich ihn als den vertrautesten Freund unseres lieben Herzogs, ohne welchen er keinen Tag existiren kann, von allen braven Jungen bis zur Schwärmerei geliebt, alles was wider uns war vernichtet, und Sie werden Sich noch immer zu wenig denken.“
Trotz allen aristokratischen Anfeindungen Goethe’s und trotz den Bedenken und Vorstellungen des Ministers von Fritsch erfolgte am 11. Juni 1776 die Ernennung zum Geheimen Legationsrath (am 3. September 1779 Geheimer Rath), und ebenso freudig als fromm schrieb Frau Rath im Juli 1776 an Salzmann, den Straßburger Freund ihres Sohnes: „Wir hörten gestern sehr viel Schönes und Gutes von unserem Sohne. Ich bin überzeugt, Sie freuen sich unserer Freuden, Sie, ein so alter Freund und Bekannter vom Doctor, nehmen allen Antheil an seinem Glücke, können als Menschenfreund fühlen, wenn der Psalmist sagt: ,Wohl Dem, der Freude an seinen Kindern erlebt!’ wie wohl das den Eltern thun muß. Gott regiere ihn ferner und lasse ihn in den Weimarischen Landen viel Gutes stiften! Ich bin überzeugt, Sie sagen mit uns Amen.“
Der fromme Wunsch der wackeren Mutter ist für Weimar, für Goethe, für die gesammte deutsche Nation in segensreiche Erfüllung gegangen. Zwar hat man oft gezweifelt, ob es für Goethe und die Entwickelung seines Dichtergenies nicht besser gewesen wäre, wenn er, statt in Weimar zu bleiben, nach Frankfurt zurückgekehrt wäre, und es haben diese Zweifel zum Theil Grund. Die vielfachen Geschäfte, namentlich auch die ihm übertragende Militärcommission, Wegebaucommission, Kammergeschäfte etc. nahmen ihn, seine Zeit und Kräfte dermaßen in Anspruch, daß die dichterische Production ganz wesentlich beeinträchtigt wurde. Das Durcheinander wurde ihm selbst bisweilen zu viel; er fand „den Kopf durch das tausendfache Zeug verwüstet“; er fand, „daß er doch fast zu viel sich auflade“, und manche angefangene Dichtung blieb liegen, da „die Unruhe, in der er lebte, ihn nicht über dergleichen vergnüglichen Arbeiten bleiben ließ“. Das Bedürfniß, sich zu poetischer Productivität wiederherzustellen, war das zweite Motiv seiner Flucht nach Italien. – Aber andererseits entsprach sein Leben, seine vielseitige amtliche Thätigkeit in Weimar gerade einem Bedürfnisse seiner innersten Natur. Während der ersten Jahre würden seine mächtigen Leidenschaften ihn aufgerieben haben, wenn nicht solche Vielthätigkeit sein Wesen in schönem Gleichgewichte erhalten hätte. Und gerade hierdurch wurde seine Kenntniß des Lebens, der Menschen und der Natur, seine Erfahrung bereichert, und indem er (um mit seinen eigenen Worten zu reden) durch seine Stellung zum Hofe und verschiedenartige Zweige des Staatsdienstes die Realität in sich aufzunehmen genöthigt war, wurde hierdurch und durch die mannigfachen Anregungen, welche das geistig bewegte Leben des Weimarischen Kreises ihm gab, die vielseitige und harmonische Ausbildung und Entwickelung seines ganzen Wesen ungemein gefördert.
In seinem Geheimtagebuche läßt es sich von Tag zu Tag verfolgen. Dies Alles bot ihm Weimar; nimmermehr würde es ihm der enge Frankfurter Kreis und die anwaltliche Proceßführung geboten haben. Das wußte Niemand besser, als Goethe selbst. Laut eines seiner Briefe an Lavater, aus dem Februar 1777, „lebte er ganz glücklich in anhaltendem Reiben und Treiben des Lebens“ und bemerkte sich am 13. Januar 1779 in das Tagebuch: „der Druck der Geschäfte ist sehr schön der Seele; wenn sie entladen ist, spielt sie freier und genießt des Lebens.“ An seinen Freund Knebel schrieb er 1782: „ich danke Gott, daß er mich, bei meiner Natur, in so eine engweite Situation gesetzt hat, wo die mannigfaltigen Fasern meiner Existenz alle durchgebeizt werden können und müssen,“ und der Vertrautesten seines Herzens, seiner Mutter, legte er in zwei Briefen, vom 9. August 1779 und 11. August 1781 über seine ganze Situation so klar und unumwundene Geständnisse ab, daß hiernach jedes weitere Wort über jene Streitfrage überflüssig geworden ist. In dem ersteren Briefe, in welchem er seinen und des Herzogs Besuch im Frankfurter Vaterhause ankündigte, bemerkt er: „ich habe Alles, was ein Mensch verlangen kann, ein Leben, in dem ich mich täglich übe und täglich wachse, und komme diesmal gesund, ohne Leidenschaft, ohne Verworrenheit, ohne dumpfes Treiben, sondern wie ein von Gott Geliebter, der die Hälfte seines Lebens hingebracht hat und aus vergangenen Leiden manches Gute für die Zukunft hofft, und auch für künftiges Leiden die Brust bewährt hat; wenn ich Euch vergnügt finde, werd’ ich mit Lust zurückkehren an die Arbeit und die Mühe des Tags, die mich erwartet.“ Der andere Brief, von 1781, enthält die Beichte: „Was meine Lage betrifft, so hat sie, ohnerachtet großer Beschwernisse, auch sehr viel Erwünschtes für mich, wovon der beste Beweis ist, daß ich mir keine andere mögliche denken kann, in die ich gegenwärtig hinüber gehen möchte. Merck und mehrere beurtheilen meinen Zustand ganz falsch; sie sehen das nur, was ich aufopfere, und nicht was ich gewinne, und sie können nicht begreifen, daß ich täglich reicher werde, indem ich täglich so viel hingebe. Sie erinnern sich der letzten Zeiten, die ich bei Ihnen, eh’ ich hinüber ging, zubrachte; unter solchen fortwährenden Umständen würde ich gewiß zu Grunde gegangen sein. Das Unverhältniß des engen und langsam bewegten bürgerlichen Kreises zu der Weite und Geschwindigkeit meines Wesens hätte mich rasend gemacht. Bei der lebhaften Einbildung und Ahndung menschlicher Dinge wäre ich doch immer unbekannt in der Welt und in einer ewigen Kindheit geblieben, welche meist durch Eigendünkel und alle verwandten Fehler sich und Anderen unerträglich wird. Wieviel glücklicher war es, mich in ein Verhältniß gesetzt zu sehen, dem
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 771. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_771.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)