Verschiedene: Die Gartenlaube (1875) | |
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gleich nicht zwölf Stunden aus einander sind etc. – Hier liegen wir recht in den Fichten drin bei natürlich guten Menschen. Unterwegs haben wir in den Schenken den gedruckten Karl August gegrüßt und haben gefühlt, wie lieb wir Sie haben, daß uns Ihr Name auch neben dem (L. S.) Freude machte etc. – Gute, herzliche Nacht! – Noch ein Wort, ehe ich schlafen gehe. Wie ich so in der Nacht gegen das Fichtengebirge ritt, kam das Gefühl der Vergangenheit, meines Schicksals und meiner Liebe über mich, und sang so bei mir selber:
Holde Lili, warst so lang’
All’ meine Lust und all’ mein Sang,
Bist, ach! nun all’ mein Schmerz, und doch
All’ mein Sang bist Du noch.
Nun aber und abermal gute Nacht!
Gehab Dich wohl bei den hundert Lichtern,
Die Dich umglänzen,
Und all’ den Gesichtern,
Die Dich umschwänzen
Und umcredenzen;
Find’st doch nur wahre Freud’ und Ruh’
Bei Seelen, grad’ und treu wie Du.“
Bei Tagesanbruch setzte er den Brief fort: „Fatales Thauwetter, und so der ganze Ton des Tages verstimmt; wollen sehen, wie wir ihn wieder aufbringen. Der herrliche Morgenstern, den ich mir von nun an zum Wappen nehme, steht hoch am Himmel etc. – Die Kirche geht an, in die wir nicht gehen werden, aber den Pfarrer laß ich fragen, ob er die Odyssee nicht hat; und hat er sie nicht, so schicke ich nach Jena, denn unmöglich ist die zu entbehren in dieser Homerisch einfachen Welt etc. – Nun muß ich meinen Boten fortschicken, der Das nach Weimar trägt. Lassen Sie, lieber gnädiger Herr, den Brief Niemand sehen, als Wedeln[1]. Alles, was mich umgiebt, Einsiedel, Kalb, Bertuch, das ganze Haus legt sich zu Füßen.
Der Pflicht vergessen
Wir Fische nie.“
So schließt der Brief. Um elf war der Bote noch nicht da, der Schlittschuhe mitbringen sollte; es wurden ihm „tausend Flüche entgegengeschickt“, inzwischen wurde „in der Gegend herumgekrochen und geschlichen.“ Das Tagebuchblatt Goethe’s fährt fort: „Der Bote ist da, und nun auf’s Eis. Segen zum Morgen und Mahlzeit, lieber gnädiger Herr – die Schrittschuhe sind vergessen! Ich habe gestampft und geflucht und eine Viertelstunde am Fenster gestanden und gemault; nun laben sie mich mit der Hoffnung, es käm’ noch ein Bote nach. Muß also ohne geschritten zu Tische. – Abends vier. Sind gekommen, habe gefahren und mir ist’s wohl.“ – Der Abend wurde von den fröhlichen Gesellen „mit Würfeln und Karten vervagabundet“, am ersten Feiertag nach Bürgel zum Amthaus und zurück nach Waldeck geritten. Endlich war auch die Odyssee aufgetrieben und Kraus eingetroffen, und das Tagebuchsblatt schließt mit der ergötzlichen Schilderung: „Nach Tische rammelten sich Rugantino und Basko, nachdem wir vorher unsere Imagination spazieren geritten, wie’s sein möchte, wenn wir Spitzbuben und Vagabunden wären, und, um das natürlich vorzustellen, die Kleider gewechselt hatten. Kraus war auch gekommen und sah in Bertuch’s weißem Tressenrock und einer alten Perrücke des Wildmeisters wie ein verdorbener Landschreiber, Einsiedel in meinem Frack mit blauem Krägelchen wie ein verspielt Bübchen, und ich in Kalb’s blauem Rock mit gelben Knöpfen, rothem Kragen und vertrotteltem Kreuz und Schnurrbart wie ein Capitalspitzbube aus.“
Die Antwort des Herzogs sollte nicht lang’ auf sich warten lassen. Von Gotha aus schrieb am 25. December 1775 (wie eine Bleistiftnotiz darauf dieses Datum angiebt) Karl August seinen ersten Brief an Goethe. Nur ein Fragment davon war bisher bekannt, und selbst Vogel’s Ausgabe vom Briefwechsel Karl August’s mit Goethe hat nur dieses Fragment. In der obenerwähnten Schrift „Vor hundert Jahren“ theile ich die herzlich-brüderliche Antwort des achtzehnjährigen Herzogs zum ersten Male vollständig mit. Aber nicht nur der Inhalt derselben ist charakteristisch, auch die Form ist es, und wir glauben unseren Lesern durch den Abdruck des Briefes in treuem Facsimile, wie er auf vorstehender Seite wiedergegeben wird, eine besondere Freude zu bereiten.
Fürwahr, es giebt keine charakteristische Urkunde für die damalige Denkungsweise Karl August’s, keinen schlagenderen Beweis für den tiefen Eindruck, welchen Goethe auf ihn gemacht, kein besseres Denkmal für den damals geschlossenen innigen Bruderbund des Fürsten und des Dichters.
Auch der Wunsch des Herzogs, mit Goethe zusammen Waldeck zu sehen, ging in Erfüllung. Am 25. October 1776 waren sie Beide zusammen dort auf der Jagd. Karl August ging am Abende fort, Goethe aber blieb bis zum nächsten Tage, an welchem er über Jena nach Weimar zurückkehrte. Auf diesem Wege „erfand“ er sein Drama „Die Geschwister“; im Juli 1780 ging Karl August von Dornburg aus nach Waldeck auf die Rehjagd, „um Bertuch’s Monplaisir zu sehen“.
Von dem Briefe des Herzogs aber können wir nicht scheiden, ohne noch eine Bemerkung über den „großen Hund“ und eine Erläuterung hinsichtlich der „Miselchen“ beizufügen. Den Hund finden wir als den treuen Begleiter Karl August’s am 31. Mai 1776 auf dem Kyffhäuser wieder; dort war es, wo des großen Hundes wegen der ergötzliche Conflict mit dem Jägerburschen stattfand, worüber Schöll’s Karl-August-Büchlein berichtet. Der Bursche bedrohte den Hund mit Erschießen, seinen Herrn mit Arretur, bis sich der Letztere zum Schrecken des Jägerburschen als der Herzog von Weimar zu erkennen gab. Jedenfalls war es auch derselbe Hund, welcher der Herzogin Louise, die sich in ihres Gemahls Charakter und Ungebundenheit noch nicht finden konnte, nicht geringen Verdruß erregte und zu der Aueßerung Goethe’s in einem Briefe an Frau von Stein aus dem Januar 1776 Veranlassung gab: „Ihr Verdruß über’s Herzogs Hund war auch so sichtlich. Sie haben eben immer Beide Unrecht. Er hätt’ ihn draus lassen sollen, und da er hier war, hätt’ sie ihn eben auch leiden können.“
„Misel“ oder „Miselchen“ war in der damaligen Kunstsprache des Weimarischen Kreises der übliche Ausdruck für die Mädchen, mit denen man liebelte, und das Liebeln war damals für den jugendlich-feurigen Dichter Herzensbedürfniß wie es zu den Liebhabereien des jungen Fürsten gehörte. Wie Goethe selbst gestanden, „log und trog er sich bei allen hübschen Gesichtern herum“. Mit Schönen aus dem Bürger- und Bauernstande in Weimar, Ilmenau, Stützerbach etc., wie mit adligen Schönen wurde in frischer Lebenslust geliebelt, und so erklärt es sich, wie, heiter genug, der Herzog unter Anpreisung der „Bravheit“ der dortigen Miselchen seinen Freund nach Gotha einlud. Doch auch ernstere Herzensverhältnisse begannen schon damals sich zu gestalten. Zwar gehörte die große Künstlerin Weimars, die reizend-schöne Corona Schröter, zu welcher Goethe bald darauf in ein so inniges Liebesverhältniß trat, noch nicht Weimar an, aber die Beziehungen Goethe’s zu der geistvoll-coquetten, ebenso eifersüchtigen als anmuthig-pikanten Frau Oberstallmeister von Stein hatten bereits begonnen. Bei ihr suchte er Trost und Ersatz für Lili’s Verlust, suchte für seine Dichtungen ein empfängliches Gemüth, für sein Herz Freundschaft und Liebe, und sie, die kluge Frau, wußte – obwohl sieben Jahre älter, als er, und obwohl Gattin und bereits Mutter von sieben Kindern (von denen noch drei am Leben) – den flatterhaften, durch seinen Geist und seine Schönheit Alles bezaubernden Dichterjüngling zu fesseln und in jenem vieljährigen ungesunden, zuletzt förmlich krankhaften Verhältnisse zu ihr festzuhalten, welches für ihn so verhängnißvoll wurde, ihn an der Begründung häuslichen Eheglückes verhinderte, ihn endlich zur Flucht nach Italien, seiner Rettung, nöthigte. Immerhin bleiben der Frau von Stein für alle Zeit zwei Verdienste: sie war es, welche, „dem heißen Blute Mäßigung tropfend“, dazu beigetragen, daß das brausende Dichtergemüth sich soweit beruhigte und klärte, daß Meisterwerke classischer Vollendung wie eine Iphigenie, ein Tasso entstehen konnten; sie war es auch, die im Vereine mit Karl August’s Freundschaft den Dichter zum Bleiben in Weimar bewog.
Schon am 5. Januar 1776 schrieb Goethe an Merck: „Wirst hoffentlich bald vernehmen, daß ich auch auf dem Theatro mundi was zu tragiren weiß und mich in allen tragikomischen Farcen leidlich betrage,“ und weiter am 22. Januar: „Ich bin nun in alle Hof- und politische Händel verwickelt und werde fast nicht wieder weg können. Meine Lage ist vortheilhaft genug, und die Herzogthümer Weimar und Eisenach immer ein
- ↑ Oberforstmeister von Wedel, ein Jugendgespiele des Herzogs, bekannt durch seinen trockenen Witz und seine tollen Einfälle.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 770. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_770.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)