Verschiedene: Die Gartenlaube (1875) | |
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ein gutes, einheitliches Zusammenspiel, bei welchem Jeder, auch der Inhaber der kleinsten Rolle, ja selbst jeder Statist und Chorist, mitwirkt und mitspielt, die Seele aller dramatischen Aufführungen ist. Mehrere Jahre hindurch führte er die Regie aller Stücke selbst, und erst seit einem Jahre greift Herr Tetzlaff in dieselbe ein, dabei gänzlich den Grundsätzen des Directors folgend, die von dem Fleiß und dem Eifer der Mitglieder auf’s Beste unterstützt werden. Nur unter einer solchen Bühnenleitung kann es gelingen, dem Publicum Vorstellungen zu bieten, die nicht zu den alltäglichen zu zählen sind.
Als treue Wacht steht dem Institute ein Consortium zur Seite, das aus drei Mitgliedern der Berliner Geld-Aristokratie besteht, von denen der rührige A. Hofmann, bekannt als Verleger des Kladderadatsch und – Millionär, den Vorsitz führt, wozu ihn seine genaue Kenntniß des Theaters, wie die Verbindung mit Schriftstellern und Journalisten wohl berechtigen.
Noch werden die Festklänge von Karl August’s hundertjährigem Regierungsjubiläum nachklingen, wenn sich bereits der Jubel eines zweiten großen Weimarischen Festes mit ihnen vermischen wird, – eines Festes, das, mit dem ersten auf das Innigste verbunden, nicht allein für Weimar, sondern für ganz Deutschland ebenso hohe, fast noch höhere Bedeutung hat; die Säcularfeier von Goethe’s Eintritt in Weimar.
Auf die Einladung des Herzogs fuhr Goethe im November 1775 von Frankfurt nach Weimar, um als Gast Karl August’s einige Zeit an dessen Hofe zu weilen. Im Auftrage desselben begleitete ihn dahin ein junger Cavalier, welcher während seines Aufenthaltes in Frankfurt bereits
mit Goethe und dessen Eltern so befreundet geworden war, daß er in einem später zu erwähnenden Briefe Goethe seinen Bruder, Goethe’s Eltern seine Eltern nannte. Es war der Weimarische Kammerjunker von Kalb, nach von Seckendorff’s Schilderung „ein geistreicher Mann von guter Figur, von dessen Charakter man aber nicht das Beste sagte“. Schon damals die volle Gunst des Herzogs genießend, wurde er, als sein Vater, der Kammerpräsident von Kalb nach Kalbsrieth sich zurückzog, von Karl August trotz den Bedenken und Vorstellungen des Ministeriums zum Kammerpräsidenten ernannt und fungirte als solcher bis zum Jahre 1782, wo er wegen übler Amtsführung entlassen werden mußte. Wie hätte er damals, im November 1775, ahnen können, daß der junge Frankfurter Rechtsanwalt, der junge Dichter Goethe, welchen er im Wagen nach Weimar geleitete, schon nach sechs Jahren sein Nachfolger im Vorsitz der Kammer werden sollte! –
Am Morgen des 7. Novembers 1775, mit dem Glockenschlage fünf Uhr, trafen sie in Weimar ein, wo Goethe zunächst im Hause des alten Kammerpräsidenten von Kalb freundlichste Aufnahme und Wohnung fand. Dort saß noch denselben Tag Wieland, der Erzieher des jungen Fürsten, der Gesellschafter und Freund der Herzogin-Mutter, welcher unlängst seiner Alceste wegen von Goethe in der Farce „Götter, Helden und Wieland“ so hart angegriffen war, bei Tafel mit Goethe zusammen und wurde „ganz verliebt in den herrlichen Jüngling“. „Meine Seele“ – schrieb er am 10. November – „ist so voll von Goethe, wie ein Thautropfen von der Morgensonne. Der göttliche Mensch wird, denk’ ich, länger bei uns bleiben, als er anfangs selbst dachte, und wenn’s möglich ist, daß aus Weimar etwas Gescheites wird, so wird es seine Gegenwart wirken.“ Größer noch und schöner, als Wieland ahnte, ist seine Prophezeiung in Erfüllung gegangen, und Goethe selbst war sich dessen vollbewußt. Als er einundfünfzig Jahre später, im Jahre 1826, dem Rath Kräuter, seinem ehemaligen Privatsecretär, ein Bild Frankfurts zum Geschenk machte, schrieb er, der Uebersiedlung vom Main zur Ilm gedenkend, unter das Bild seiner Vaterstadt die oben im Facsimile wiedergegebenen ebenso wahren wie schönen Verse. Mit jenem 7. November 1775 begann, bei innigstem Freundschaftsbunde des Fürsten und des Dichters, die Genie-Periode; mit jenem Tage begann die große Zeit, welche Weimar für alle Zukunft zur classischen Stätte weihen sollte; mit jenem Tage begann nicht für Goethe und Weimar allein, nein, für die gesammte deutsche Literatur eine neue Epoche. Mit dem 7. November des jetzigen Jahres aber vollendet sich seitdem ein Jahrhundert, und mit Leonore im Tasso können wir sagen:
Die Stätte, die ein guter Mensch betrat,
Ist eingeweiht; nach hundert Jahren klingt
Sein Wort und seine That dem Enkel wieder.
So feiert Weimar diesen hundertjährigen Gedenktag, wie einst vor fünzig Jahren den goldenen Jubeltag des greisen Dichters; so feiert ihn Weimar, ja die ganze deutsche Nation gleich jenem unvergeßlichen 4. September 1857, als von der Goethe-Schiller-Doppelstatue vor dem Weimarischen Theater die Hülle fiel. Begehen auch wir diese bedeutsame Säcularfeier, indem wir uns jene ewig denkwürdige Zeit vor hundert Jahren in treuem Bilde zu veranschaulichen suchen!
In frischer, feuriger Jugend, erst sechsundzwanzig Jahre alt, trat Goethe in Weimar ein, nach Heinse’s Schilderung „ein schöner Junge, der vom Wirbel bis zur Zehe Genie und Stärke, ein Herz voll Gefühl, ein Geist voll Feuer und Adlerflügeln.“ Sein Götz von Berlichingen hatte alle Herzen im Sturme erobert; über seinen Werther waren unzählige, sentimental fühlende Herzen in Thränen zerflossen; sein Name war auf Aller Lippen. Und dieser so rasch berühmt gewordene, allgefeierte junge Frankfurter war zugleich in seinem ganzen Wesen das, was sein Schauspiel, sein Roman sagte, und bezauberte über dies durch das gewinnendste, in jedem Zuge den Stempel des Genies tragende Aeußere. Der schlanke und doch nervige, stolze Gliederbau, die prachtvolle Stirn, die glühenden Augen, die gebieterische Nase und die zauberischen Lippen schienen ihres Gleichen nicht zu haben. So schildert ihn Wieland als einen
– schönen Hexenmeister
Mit einem schwarzen Augenpaar,
Zaubernden Augen mit Götterblicken:
Gleich mächtig zu tödten und zu entzücken.
So trat er unter uns, herrlich und hehr,
Ein ächter Geisterkönig, daher,
Und Niemand fragte: Wer ist denn der?
Wir fühlten beim ersten: ’s war Er.
Voll Genialität, voll Lebensdrang und Lebenslust und dabei doch mit stillem, nachzitterndem Schmerz über den Verlust seiner Frankfurter Braut Lili mußte der junge schöne Mann auch in den Weimarischen Kreisen rasch alle Herzen gewinnen. „Wie ein Stern,“ sagt Knebel, „ging er auf. Jedermann hing an ihm, besonders die Damen. Er hatte noch die Werther’sche Montirung an, und viele kleideten sich darnach. Er hatte noch von dem Geiste und den Sitten des Romans an sich, und dieses zog an, sonderlich den jungen Herzog, der sich dadurch in die Geistesverwandtschaft seines jungen Helden zu setzen glaubte.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 755. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_755.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)