Verschiedene: Die Gartenlaube (1875) | |
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Neigung des Menschen zur Sünde. So wenig wie alles dies, konnte er die Erdbeben, Wirbelwinde, Ueberschwemmungen, Seuchen etc. einem allgütigen und allmächtigen Wesen zuschreiben; er findet auch im Monotheismus (Lehre von Einem Gott) keine Beruhigung; logische Nothwendigkeiten treiben ihn zur Annahme einer dem gütigen Lichtwesen und seinen Schöpfungen feindlich gegenüberstehenden Macht der Finsterniß. Die Personification der Letzteren, welche wieder recht auffallend auf die Sonnennatur des Urmonotheismus zurückweist, dieser Teufel also war ein nothwendiger Lückenbüßer, um den Weltschöpfer von dem Vorwurfe zu befreien, auch solche ekle Wesen wie die Schlangen und ähnliches Gewürm, die Fliegen und überhaupt das Böse in der Welt erschaffen zu haben. In ihrer rohesten Gestalt findet sich diese dualistische (zweiheitliche) Weltauffassung, bei welcher der gute Gott für stärker, der böse aber für listiger und gefährlicher gilt, schon bei vielen Naturvölkern, und nicht wenige unter ihnen theilen die Ansicht der Hottentotten, daß man dem „Capitain von Oben“, wie sie die wohlwollende Macht nennen, keine Verehrung und Opfer schulde, weil er aus eigenem Antriebe den Menschen nur Gutes erweise, und dafür doppelte Anstrengungen machen sollte, den „Capitain von Unten“, der stets aufgelegt sei, dem Menschen zu schaden, mit allen Mitteln zu versöhnen.
Die durchgebildeteren Religionsgebäude der Inder, Perser, Aegypter, Juden, Skandinavier etc. faßten diesen Gegensatz schließlich mehr und mehr als die Empörung einer abgefallenen Gottheit auf, die mit dem Herrscher der Welt um den Besitz kämpft und ihm seine eigenen Geschöpfe abwendig zu machen sucht, um sie endlich als Heerschaaren gegen ihn in’s Feld führen zu können. Und so wurde denn unter Mithülfe der Eva gleich bei dem ersten Menschen der Anfang gemacht, und so verlor dieser seine Unschuld, Unsterblichkeit und alle die Vorzüge, welche ihm das unmittelbare Hervorgehen aus der Hand des Schöpfers sicherten. Die Sünde und das Elend kamen damit auf die Welt, ohne daß den Schöpfer ein anderer Vorwurf träfe, als der, den Menschen nicht stark genug gemacht zu haben. Und die alte Ueberlieferung verfährt ganz den neueren Anschauungen gemäß, indem sie diese Neigung zur Sünde alsbald erblich werden ließ. Die ganze Menschheit scheint verloren.
Bei dem Suchen nach einem Auswege führen die Denkgesetze auch hier bei den Indern, Persern, Aegyptern, Juden etc. zu demselben Ergebnisse. Um das Werk des Bösen zu vernichten, sendet Gott seinen eigenen Sohn zum Kampfe aus, läßt ihn dabei leiden, sterben, in die Unterwelt gehen und durch dieses Selbstopfer die Macht des Bösen vernichten. Confutse, Buddah, Osiris, Zoroaster, Mithras, Hercules, Dionysos, Balder, alle diese hochverehrten Namen deuten immer wieder auf den alten Naturmythus zurück, auf den Kampf des Lichtes mit der Finsterniß, bei welchem ersteres in den vom Aequator entfernten Ländern zeitweise mehr oder weniger vollkommen unterliegt, aber Weihnachten wieder neu geboren wird, im Frühlinge seine Auferstehung und im Sommer seinen Sieg feiert. Alle die genannten Sonnenkämpfer gelten zum großen Theile übereinstimmend als lange verkündete Jungfrauensöhne, mehr als einen von ihnen läßt die Mythe von einem durch den bösen Feind veranstalteten allgemeinen Kindermord wunderbar errettet werden; die meisten werden vom Teufel versucht, fallen dann einem Verrathe zum Opfer, erstehen aber neu verherrlicht und fahren zum Himmel. Doch gehören diese oft bis in’s Einzelne übereinstimmenden Messiassagen der sonst verschiedenartigsten Religionssysteme vorzugsweise nur der altweltlichen Cultur an und scheinen daher eine in den übrigen Welttheilen noch nicht erreichte Gipfelstufe des religiösen Processes zu bezeichnen. Das Christenthum, dessen Hauptfeste und Symbole bekanntlich ebenfalls auf den Sonnencultus zurückzuführen sind, nahm den schönsten Anlauf, die religiösen Gefühle des Menschen weiter zu veredeln, scheint aber seine Kraft erschöpft zu haben, denn es ist seit Jahrhunderten auf einem bedenklichen Rückzuge zu der tiefern Stufe der Vielgötterei begriffen und dürfte, wenn den Riesenschritten der letzten Zeit nicht ein wirksamer Damm entgegengesetzt wird, bald wieder bei dem Fetischismus der Steinzeit angekommen sein.
Freiburg im Breisgau. (Mit Abbildungen S. 708 u. 709). Ich
war die ganze Nacht über die Bergstraße entlang von Frankfurt a. M.
nach Freiburg im Breisgau gefahren; herbstliche Nebel lagen dichtgeballt
auf den öden Feldern und machten die dunkle Nacht noch dunkler, noch
undurchdringlicher. „Da drüben liegt Straßburg; am Tage, wenn das
Wetter klar und hell ist, können Sie leicht den Münster sehen,“ sagte
mein Reisegefährte, der mir gegenüber saß und nun in die Finsterniß
hinaus deutete. Ich folgte mit dem Blicke seinem Winke, sah aber vor
meinen Augen nichts als pechschwarze Nacht. Wir wickelten uns auf’s
Neue in Mäntel und Plaids und schliefen weiter. Als wir in Freiburg
ankamen, graute kaum der Morgen und ich fand es sehr erquicklich, im
nahen „Zähringer Hof“ noch in aller Bequemlichkeit ein paar Stunden
der Ruhe zu pflegen. Bald stand ich frisch und munter wieder vor dem
Thore des Gasthofes. Da drüben lagen in blauen Duft gehüllt die
Vogesen, und dazwischen dehnte sich das Rheinthal, wogte der Rhein, jetzt
und für immer Deutschlands Strom und nicht seine Grenze.
Als ich, in die Stadt zu wandern, um die Ecke des Hotels bog, stand ich überrascht still. Ich hatte den ersten Blick auf den Schwarzwald, und wie schön und prächtig lag er da, in tiefer, ganz eigenthümlich blauschwarzer Färbung, wie ich sie noch nie an einem deutschen Walde gesehen hatte und wie sie denn auch sein Name auf’s Beste und Treffendste bezeichnet. Mir wurde bei solchem Anblicke ernst und feierlich zu Muthe, und da tönte denn ganz im rechten Augenblicke von dem herrlichen Münsterthurme, der so kühn wie zierlich in die sonnige Luft ragte, das volle Geläute der Glocken – denn es war Sonntag und durch die Straßen wogte die festtäglich gekleidete Menge.
Wer von der Hauptstraße aus die Gassen und Gäßchen der Stadt durchforscht, findet bald, daß das Krumme und Winkelige auch hier allermeist das charakteristische Element ist, ich meinerseits gestehe gern, daß mir solche krumme und winkelige Straßen mit ihren vorspringenden Erkern, mit ihren alten, kunstvollen eisenbeschlagenen Thoren und mit ihrem geschnitzten altersbraunen Holzwerke lieber und interessanter sind, als gar manche breite Prachtstraße mit hochgethürmten, lang hingestreckten Palästen. Und dazu ergießt sich hier noch durch fast alle Straßen in hundert sorgfältig ausgemauerten Kanälen das klare rasch fließende Wasser der Dreisam, die Luft immer reinigend und erfrischend und am Ende, denke ich mir, nur dem nächtlichen Wanderer im Herbste gefährlich, wenn der Markgräfler Most seine losen Geister entfesselt hat, und nicht allein in den Fässern rumort, sondern auch in den Köpfen.
Nachmittags lag ich im Schatten der alten, prächtigen Linden bei der Loretto-Capelle auf dem Schlierberge. Man hat von der Stadt dorthin kaum eine halbe Stunde zu gehen. Aber die Aussicht von da ist entzückend schön. Schlicht und einfach liegt die Capelle zwischen den Bäumen, und durch die Stämme blickt man hinunter auf die blühende Landschaft und auf die Stadt, aus deren Häuserwirrwarr der Dom wie ein Riese zum Himmel ragt. Seine hoheitsvolle Pracht zu schildern, ist hier nicht meine Absicht. Aber wahrhaftig, man kommt, indem man die malerisch daliegende, aber doch verhältnißmäßig kleine Stadt übersieht, leicht genug zu der Frage: Wer hat diesen Riesen gesetzt zu jenen Zwergen?
Doch wie gesagt, die Aussicht ist überraschend schön und schien es mir gar wohl zu verdienen, daß ich sie für die Leser der Gartenlaube in meinem Malerbuche skizzirte. Die Loretto-Capelle selbst, von welcher aus ich das Bild entwarf, ist zum Gedächtniß eines blutigen Tages und seiner Opfer erbaut. Der österreichische General Merci vertheidigte die Verschanzungen hier gegen den anstürmenden General Turenne. Dieser trieb damals mit dem berühmt gewordenen „Encore mille!“ – noch Tausend! – immer neue Massen gegen ihn in den Kampf. Genau hundert Jahre später – 1744 – stand hier, Freiburg belagernd, Ludwig der Fünfzehnte von Frankreich, als eine Kanonenkugel, vom Schloßberge hierher gesandt, neben ihm einschlug, ohne ihn zu verletzen. Diese Kugel ist über der Capellenthür eingemauert.
Das Verlangen Frankreichs nach der rebenumblühten, fleißigen und gewerbthätigen Stadt ist wohl für immer gestillt, und der schwarzen Feinde im Innern wird die durchaus freisinnige und aufgeklärte Mehrheit der Bevölkerung wohl auch noch Herr werden. Die Gegensätze stehen schroff zu einander. Im Kaufhause, dem Münster gegenüber, haben erst jüngst die heimath- und vaterlandslosen Ultramontanen getagt und Gift und Haß gegen des deutschen Reiches Wiedererstehung gespieen, und auf dem Rottecksplatze steht das Denkmal des großen Freiheitskämpfers, der unerschrocken und muthvoll in erster Reihe für Deutschlands Größe und Wiedergeburt gegen Hof und Adel stritt und focht.
Damals ward Freiburg ein „Centralpunkt des revolutionären Geistes“ gescholten – möge es im Sinne Rotteck’s immer die Ehrenburg der deutschen Freiheit sein!
Aufforderung. Elise Schildche, geb. Herrling, gebürtig aus Schwarznau, Fürstenthum Wittgenstein, Provinz Westfalen, Königreich Preußen, im Jahre 1848–1849 nach Amerika ausgewandert, gab zuletzt Nachricht von New-York im Jahre 1850. Dieselbe wird ersucht, ihren Aufenthalt anzugeben, wie auch Alle, die über Leben und Tod derselben Auskunft geben können, gebeten werden, dies der Mutter der Vermißten, der Frau Louise Herrling, 59 Siegel-Str. Chicago, Ill. gefälligst anzuzeigen, da der Genannten eine bedeutende Erbschaft von ihrem Bruder Fritz Herrling harrt.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 712. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_712.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)